Literatur, Roman

Der Meister der Postmoderne

Die verrücktesten Bücher, die ich jemals gelesen habe, stammen aus der Feder von Mark Z. Danielewski. Der amerikanische Autor mit polnischen Wurzeln erzählt nicht nur mit Worten, sondern mit deren Inszenierung. Ob »Das Haus«, »Only Revolutions« oder »Das Fünfzig-Jahr-Schwert« – jedes Buch ist ein Ereignis.

Wenn eines niemals in Frage stand, dann die nahezu außerirdische Genialität dieses Autors. Schon mit seinem Romandebüt, dem Horrorkunstwerk Das Haus – House of Leave bewies er vielschichtig und intelligent, mitreißend und furchteinflößend, verwirrend und alle Sicherheiten aufhebend, dass er unter einem Buch mehr als bedrucktes Papier zwischen zwei Buchdeckeln versteht. Denn dieses Haus, in das im Roman der Pulitzerpreisträger und Fotograf Will Navidson mit seiner Kleinfamilie einzieht, hatte es in sich – nicht nur für seine Bewohner, sondern auch für die Leser.

Das-Haus.-House-of-Leaves
Mark Z. Danielewski: Das Haus – House of Leaves. Aus dem Englischen von Christa Schuenke. Tropen Verlag 2009. 797 Seiten. 29,95 Euro. Hier bestellen

Zwischen diesen Wänden, in denen es sich die Navidsons eingerichtet haben, um wieder zueinander zu finden, geht nicht alles mit rechten Dingen zu. Der Fotograf stellt dies auf seinen Videoaufnahmen fest, die er für einen Dokumentarfilm mit dem Arbeitstitel »Navidson Records« macht. Da stimmen die Proportionen des Hauses plötzlich nicht mehr, unsichtbare Räume tauchen auf und verborgene Türen zu geheimnisvollen Welten öffnen sich. »Manchmal wird der Flur breiter, bis Navidson an einem Punkt schwören könnte, er fährt eine gewaltige Hochebene hinunter«, heißt es da an einer Stelle, »Bald ziehen sich Wände und Durchgänge zurück und verschwinden, dann geht die Decke hoch, bis sie auch absolut nicht mehr zu sehen ist«, an einer anderen. Danielewskis Haus der Blätter verfügt über Räume und Ebenen, die kein Grundriss verzeichnet hat.

Wer dies anhand der Records nicht versteht, begreift es mithilfe des Zampanò, einem blinden Greis mit geheimnisvoller Vergangenheit, der diese Aufnahmen analysiert hat. Seine Ausflüge in die Theorie des Labyrinths bis in die tiefsten Tiefen der Literatur- und Kunstgeschichte, hat er auf Zetteln in einer Truhe gesammelt, die wiederum der junge Tunichtgut Johnny Truant gefunden hat und sie, unter Aufopferung des letzten Restes Lebensordnung, für eine Publikation ordnet.

Alle drei Erzähler haben ihre eigene Schriftype, dazu kommen noch Kommentare von außen und echte sowie vermeintliche Querverweise zu einer Unmenge an Quellenmaterial, dass einem der Kopf dreht. Bei so viel Chaos erhalten die Dinge, die sich hier zutragen, auch immer wieder eine etwas andere Bedeutung. Die Wahrnehmung verschiebt sich langsam aber stetig von der Ebene des Sichtbaren auf die Ebene des Unsichtbaren. Reif Larsen hat dieses Prinzip 2009 für seinen Roman Die Karte meiner Träume angewandt.

Durch den besonderen Textsatz, der mal nahezu weiße Seiten produziert und dann wieder überbordend volle, fast schwarze Seiten schafft, der die Erzählung in ihrer Ausdrucksform aufgreift und diese räumlich umsetzt, kann der Leser diese Räume betreten, darin wandeln, sichtbare und verborgene Türen öffnen und in Räume vordringen, die zuvor noch niemand betreten hatte. Über den Textsatz, die Seitengestaltung, die Seitenfolge, den Textfluss, die Schrifttypen und vieles mehr erhielt Danielewskis Haus eine Vieldimensionalität, die Literatur bis dahin noch nicht kannte.

4 Kommentare

  1. […] Schärfe eingesetzt wird. Er hat hier studierend erfahren können, dass Sprache – wie auch bei Mark Z. Danielewski – vielschichtig und geheimnisvoll ist, dass sie geschmückt und umgarnt werden will und dass der […]

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