An der Universität Hildesheim findet Ende Oktober eine Tagung zum Thema »Übersetzungen und Adaptionen von Comics« unter der Leitung von Nathalie Mälzer statt. Ich sprach mit der Juniorprofessorin für Transmediale Übersetzung über die besondere Herausforderung der Übersetzung von Bild-Text-Welten und die Situation der Übersetzenden in der Branche.
Frau Mälzer, Sie organisieren für den Herbst eine Tagung zum Thema »Übersetzung von Comics«. Findet das in der Translationsausbildung überhaupt statt oder versuchen Sie damit, eine Lücke zu füllen?
Tagungen zu dem Thema hat es meines Wissens bislang noch nicht gegeben, insbesondere nicht in der Kombination von inter- und intralingualem Übersetzen. Der Tagung vorgeschaltet ist im Sommersemester ein Seminar, dessen Ergebnisse die Studierenden während der Tagung in Form einer Postersession präsentieren werden. Auch an anderen Universitäten werden vereinzelt Seminare zu dem Thema angeboten, etwa an der Humboldt-Universität von Xavier Bihan. Außeruniversitär bietet etwa der Deutsche Übersetzerfonds seit kurzem Seminare für Literarische Übersetzer an, die sich fortbilden wollen. Soweit ich dies überblicke, sind dies aber Ausnahmen.
Sind Sie aufgrund eigener Erfahrung zu dem Thema gekommen oder wurde es aufgrund ihrer Position als Junior-Professorin für transmediale Übersetzung an Sie herangetragen?
Das Thema ist Teil meines aktuellen Forschungsprojekts zur Erarbeitung einer transmedialen und transgenerischen Theorie der Übersetzung von Dialogen und Mündlichkeit. Des Weiteren trage ich mich schon seit einigen Jahren mit dem Gedanken, ein Seminar oder einen Workshop zu dem Thema zu organisieren. Anfangs war ich mir nicht ganz sicher, ob die Studierenden auch Interesse daran hätten. Seit Einführung des Master-Studiengangs »Medientext und Medienübersetzung« vor drei Jahren aber hat sich das Vorhaben konkretisiert. Der Wunsch, eine Tagung zum Comic-Übersetzen zu machen, geht aber auch auf meine wissenschaftlichen Hilfskräfte Maria Wünsche und Philipp Hammer zurück, die sich sehr für Comics interessieren und die Tagung mitorganisieren.
In der Comicbranche gibt es meines Wissens nach einige wenige etablierte Comicübersetzer, die sich ihr Spezialwissen im Learning-by-Doing-Prozess angeeignet haben, und eine Menge Literaturübersetzer. Welche Aspekte der Comicübersetzung vergessen Literaturübersetzer ihrer Erfahrung nach, wenn sie Comics übersetzen sollen?
Ich bin mir gar nicht so sicher, dass sich unter den Comicübersetzern viele Literaturübersetzer befinden – wenn diese Gegenüberstellung überhaupt sinnvoll ist. Jedenfalls hört man von Verlagsseite manchmal, dass es gewisse Vorbehalte gegen Übersetzer von Romanen gibt, weil diese dazu neigten, zu sehr an ihrer Textversion festzuhalten und dem Redakteur nicht ohne weiteres die Endkorrekturen überlassen. Literaturübersetzer haben im Prinzip als Urheber Ihres Textes das letzte Wort und geben die Imprimatur. Bei Comicübersetzungen ist beides meines Wissens nicht der Fall. Symptomatisch dafür ist meines Erachtens schon die unterschiedliche Berufsbezeichnung auf Verlagsseite: bei den Comicverlagen spricht man von Redakteuren, bei den anderen Verlagen von Lektoren. Redakteure greifen meist viel stärker in die Texte ein. All dies hat natürlich mit den unterschiedlichen Produktionsrhythmen und Arbeitsprozessen zu tun. Ein Literaturübersetzer, der im Schnitt mehrere Monate an einem Buch sitzt, leistet sehr intensive Textarbeit und identifiziert sich auch stärker mit dem abgelieferten Text. Comicübersetzer sitzen dagegen oft nur eine bis drei Wochen an ihrem Text. Hinzu kommt, dass in manchen Vorschauen von Comicverlagen keine Übersetzernennung üblich ist, was bei Literaturverlagen inzwischen Standard ist.
Was gilt es bei der Übersetzung eines Comics zu beachten? Ist die Übersetzung der meist dialogisch angelegten Geschichten eine größere Herausforderung?
Neben der eminent wichtigen Berücksichtigung der Bild-Text-Beziehungen, was für das einzelne Panel aber auch panelübergreifend gilt, stellt für Übersetzer die Dialogführung und die fingierte Mündlichkeit eine große Herausforderung dar, der sich einige vielleicht gar nicht bewusst sind. Viele Comics klingen daher übersetzt. Es kann ebenso schwierig sein, einen kurzen Satz oder Ausruf prägnant und für die Figurenzeichnung angemessen zu übersetzen wie einen langen verschachtelter Satz eines Erzähltextes. Aber auch Lautmalereien können dem Übersetzer arge Kopfschmerzen bereiten, gerade wenn sich der Comic in phantastische Welten begibt und man beim Übersetzen bestimmter Geräusche oder Laute nicht mehr auf eigene Alltagserfahrung zurückgreifen kann. Je unrealistischer die Szenarios sind, desto weniger kann sich der Übersetzer auf sein Bauchgefühl, auf sein umgangssprachliches Wissen verlassen. Er muss sich in fiktive Figuren aus teilweise sehr fremden Welten einfühlen und deren Sprechweise plausibel in die Zielsprache übertragen.
Muss man bei Comics noch stärker als bei Literatur hinnehmen, dass bestimmte Dinge nicht übersetzbar sind und gegebenenfalls nicht wahrgenommen werden können?
Es kommt häufig vor, dass bestimmte Dinge nicht übersetzbar sind, dass es keine Entsprechung für einzelne Wörter oder kulturelle Phänomene gibt. Aber das Gute ist ja, dass man einen Text übersetzt und nicht einzelne Wörter. Allein mit einem Wörterbuch kommen Übersetzer meist nicht sehr weit. Das komplexe semiotische Gebilde des Comics ist gleichermaßen einschränkend und befreiend, weil es dem Übersetzer viele Möglichkeiten gibt, eine übersetzerische Lösung zu finden. Die Schwierigkeiten, eine zufriedenstellende Lösung zu finden, liegen bei einem Comic natürlich woanders als bei einem Roman. Die Tatsache, dass sich die Bedeutung aus komplexen Verbindungen von Text und Bildern ergibt, lenkt die Entscheidungen der Übersetzer auf andere Weise, als wenn er einen reinen Schrifttext übersetzt.
Sie sind Expertin für transmediale Übersetzung. Sie werden sich daher auf der Tagung auch mit der »medialen Übersetzung« von erzählerischen Stoffen in Comics auseinandersetzen? Worin liegen hier die Schwierigkeiten? Ist das nicht vergleichbar mit der Adaption eines Romans oder einer Erzählung für die Bühne oder für den Film?
Jeder an ein spezifisches Medium und Zeichensystem gebundene Text, sei es nun ein Film, ein Comic, ein Roman, ein Hörspiel oder ein Theaterstück, ist durch das Medium geprägt und verfügt über ganz eigene Ausdrucksmöglichkeiten dank seines spezifischen Zusammenspiels von Zeichensystemen. Er erlegt dem Stoff, der adaptiert wird (und den es genau genommen unabhängig von einem bestimmten Medium gar nicht gibt) seine eigenen Gesetze auf, er formt ihn. Das hat längst nicht nur formale Konsequenzen, sondern wirkt sich auch auf den Inhalt aus. Das Medium beziehungsweise das Zeichensystem entlockt dem Stoff gewissermaßen neue Aspekte. Bei transmedialen Übersetzungen verändert sich der Stoff, er wird bereichert. Oft beginnen ein interessantes intermediales Spiel, ein intermedialer Wettstreit, bei dem Autoren den Versuch unternehmen, die Grenzen eines Mediums auszureizen. Die Schwierigkeiten der Adaption eines Stoffes von einem Medium ins andere sind durchaus vergleichbar mit den Herausforderungen, die sich bei der Übersetzung von einer Sprache in eine andere stellen. In beiden Fällen wechselt die Codierung. Und häufig gehen Adaption und Übersetzung Hand in Hand. Die entstehenden Übersetzungen und Adaptionen könnte man als das Potenzial eines Werkes bezeichnen. Ein Original an sich gibt es in dieser Logik genauso wenig wie eine endgültige oder einzige richtige Übersetzung. Die Gesamtheit der Adaptionen und Übersetzungen vollenden gewissermaßen das Werk.
Wenn wir über die Übersetzung von Comics sprechen, müssen wir auch über die Rahmenbedingungen sprechen. Comics gelten nach wie vor als Trivial- und Spartenmedien, was mitunter auch Verlage dazu verleitet, dies als Argument in Vertrags- und Honorarverhandlungen einzubringen. Konnten Sie hier schon erste Erkenntnisse sammeln, inwiefern sich die Situation zur Literaturübersetzung hier unterscheidet?
Da die Übersetzung eines Comics oft deutlich weniger Zeit erfordert als die eines Romans, ist es für den Verlag sicher einfacher, schnell einen Übersetzer zu finden, der einen Auftrag übernehmen kann, wenn ein anderer abspringt. Und als je austauschbarer die Übersetzer gelten, desto schlechter ist ihre Verhandlungsposition. Hinzu kommt, dass der Übersetzer eines Comics in eine längere Produktionskette eingebunden ist als der Literaturübersetzer, was seine Position weiterhin verschlechtert. Die Eingriffe des Redakteurs in die Übersetzung aufgrund der schnellen Produktionsrhythmen sind drastischer.
Ich hoffe, dass durch Tagungen wie unsere der Dialog zwischen Praxis und Theorie gestärkt und die Anerkennung der übersetzerischen Leistung befördert wird. Dazu gehört aber auch die Einsicht der Comicmacher, dass Text und Bild gleichwertige Elemente sind, dass eine gute Geschichte nur im gelungenen Zusammenspiel beider Ebenen entsteht und Nachlässigkeiten auf der Textebene – im Original wie in der Übersetzung – ebenso verheerende Auswirkungen auf den Lesegenuss haben können, wie die auf bildlicher Seite.