Der 1979 geborene Brasilianer Daniel Galera hat mit »Flut« einen der meistdiskutierten Romane zum Brasilienschwerpunkt der Frankfurter Buchmesse 2013 geschrieben. Sein namenloser Ich-Erzähler macht sich darin auf die Suche nach der eigenen Rolle und Identität im Chaos der GeZEITen. Ein Gespräch mit dem Übersetzer des Romans Nicolai von Schweder-Schreiner.
In Daniel Galeras Roman Flut erzählt der 33-jährige Erzähler, wie er nach dem Selbstmord seines Vaters im südbrasilianischen Küstenort Garopaba nach seinem Großvater sucht, der dort vor vielen Jahren unter geheimnisvollen Umständen ums Leben gekommen sein soll. Die Suche nach dem Großvater entpuppt sich als beständiges Kratzen an einer Legende, denn die Geschichte um den mysteriösen Mord an dem Großvater ist längst fester Bestandteil der lokalen Mythologie, in die der Erzähler tief eintaucht – halb aus eigenen Stücken, halb weil er von dem Mythos aufgesogen wird. Ähnlich ergeht es ihm, wenn er in das Meer eintaucht. Fast täglich sucht er den Zweikampf Mensch gegen Natur, in dem ihn die Wellen nicht selten verschlucken und am Strand ausspucken.
Der ins Mythologische zielende Roman Flut liest sich in seinem ebenso melancholischen wie klaren Ton in Teilen wie eine in Zeit und Raum verschobene Variante von Ruan Rulfos bahnbrechendem Geisterroman Pedro Páramo. Daniel Galera, 1979 in São Paolo geboren, zählt in seiner Heimat zu den wichtigsten Gegenwartsautoren. In seinem insgesamt vierten Roman (Flut ist der erste ins Deutsche übertragene Roman) stellt der Brasilianer die großen Fragen nach der Bedeutung des Individuums, nach seiner Identität und der Rolle der Erinnerung – im Zweikampf mit der Natur und mit der Gesellschaft.
Ein Gespräch mit dem Übersetzer Nicolai von Schweder-Schreiner über Daniel Galeras Roman, dessen Untiefen und die Herausforderungen bei der Übersetzung.
Daniel Galeras Roman »Flut« wurde im vergangenen Herbst als einer der wichtigsten und besten Neuerscheinungen zum Brasilien-Schwerpunkt der Buchmesse gelobt. Sie haben den Roman übersetzt. Wie sind Sie zu Galera gekommen?
Ich hatte ein Gutachten zu einem früheren Roman von ihm geschrieben, fand ihn super und hatte außerdem schon mit dem Lektor zusammengearbeitet. Es bot sich quasi ein bisschen an.
Können Sie sich erinnern, was Sie bei der ersten Lektüre von »Flut« am meisten fasziniert hat?
Die erste Lektüre fand während der Übersetzung statt, also relativ langsam und aufmerksam, ich weiß aber, dass ich sofort drin war und Lust hatte, der Figur zu folgen. Galera schreibt außerdem schön schnörkellos und prägnant.
Im Mittelpunkt stehen mit dem jungen Erzähler, seinem Vater und dem vermeintlich ermordeten Großvater drei selbstzufriedene Kerle. Geht man zu weit, wenn man »Flut« zu einem existenzialistischen Männerroman erklärt?
Das würde ich nicht bestätigen. Ich finde eigentlich keinen der Männer selbstzufrieden. Es gibt wahrscheinlich eine Art einsames Sein-Ding-Durchziehen, das durchaus etwas Heroisches hat und auch berührt, gleichzeitig aber immer angreifbar bleibt. Auf den Begriff Männeroman wäre ich nicht gekommen, aber in den Kritiken wurden ja auch Kollegen wie Hemingway und Cormac McCarthy zum Vergleich herangezogen.
Der Erzähler teilt einige Gemeinsamkeiten mit dem Autor – sie sind gleich alt, beide haben einige Jahre in Garopaba gelebt, beide lieben und fürchten das Meer. Wissen Sie, inwiefern »Flut« autobiografisch motiviert ist?
Wie häufig ist es wohl eine Mischung aus eigenen Umständen, aufgeschnappten Ideen und Bildern von anderen Personen. Beispielsweise gab es in der Gegend eine Figur, die an den Großvater in der Höhle erinnert, was die Frauenfiguren angeht, bin ich überfragt, rein autobiografisch ist es zumindest nicht.
Der Erzähler sucht in der südbrasilianischen Hafenstadt Garopaba nach Beweisen für die angebliche Ermordung seines Großvaters. Während die Bewohner nicht über die Geschehnisse sprechen wollen, wird der Erzähler immer stärker in den Todesmythos hineingezogen. Galera erzählt dies detailreich, aber nahezu nüchtern. Ist dies die bewusste Gegensteuerung zu dem Sog, den das Mythologische auf Erzähler und Leser ausübt?
Es ist auf jeden Fall eine gute Kombination.
»Flut« ist auch ein Naturroman, der das Meer als verführerisches und gefährliches Wesen beschreibt. Der Erzähler schwimmt immer wieder aufs offene Meer hinaus, bis zur totalen Erschöpfung konfrontiert er sich teilweise stundenlang mit den Fluten. Wieso sucht er diese Gefahr des eigenen Todes?
Das ist Galeras Faszination für Meer und Tod und damit natürlich auch ein Stück weit der oben genannte Existenzialismus.
Neben dem Kampf Mensch gegen Natur steht im Mittelpunkt des Romans auch die Auseinandersetzung Mensch gegen Mensch. Der Erzähler wird des Öfteren mit der rohen Gewalt der ihn umgebenden Gesellschaft konfrontiert. Im Original wird daher das Bild des blutig eingeseiften Bartes aufgegriffen, den der Erzähler nach einer Prügelei trägt. Warum hat man sich für den davon abweichenden deutschen Titel »Flut« entschieden?
Da hatte ich keinerlei Einfluss drauf, aber der blutige Bart ist auf Deutsch zugegebenermaßen schwierig in einen Titel zu bringen. »Blutbart« könnte man leicht missverstehen, schon akustisch, und schon im portugiesischen Original galt der Titel als gewagt.
Worin bestanden die größten Herausforderungen in der Übersetzung?
Unter anderem bei den langen Wanderungen den genannten Sog nicht zu verlieren, das Lakonisch-Intuitive neu zu erfinden und auf Google Maps die Wege nachzulaufen.
Wenn Sie Daniel Galeras Roman abschließend mit drei Adjektiven beschreiben müssten, welche wären das?
Klassisch. Aufrührend. Stark.
Melancholie, Männer und das Meer gepaart mit einem verkaufswirksamen Titel. Hört sich nach einem möglichen Gegenentwurf zu einem langen Abend während der WM an. Lesen gegen den Rest der Welt….
Klingt spannend und auch irgendwie bedrückend…
Liebe Grüße
Hallo,
das Buch “Flut” wäre genau das richtige Buch für meine Schiegermama. Es klingt auf alle Fälle super spannend! Sie würde sich sicherlich sehr darüber freuen.
Viele Grüße
Susanne
Bin auf der Frankfurter Buchmesse auf dieses Buch aufmerksam geworden und habe es sofort auf meine Wunschliste gepackt. Wäre natürlich toll, wenn ich es hier gewinnen würde. Vielleicht habe ich ja Glück?
Viele Grüße
Ariana
Klingt nach einem sehr interessanten Buch, da versuch ich auch mal mein Glück! 🙂
LG, Angi
Hallo,
zu diesem Buch habe ich einige Rezensionen gelesen. Es fasziniert mich, daß der Erzähler sich keine Gesichter merken kann, und sich daraus ein besonderer Blickwinkel auf seine Suche ergibt.
Liebe Grüße
Gabi
Da ich gerade ein phantastisches Buch beendet habe, wäre es nun an der Zeit für etwas Klassisches. Aufrührendes. Starkes.
Es grüßt hoffnungsvoll
Laura
Hallo,
das macht aber definitiv Lust auf mehr!
Viele Grüße
Kristina H.