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Ein Leben zwischen Schmerz und Lust

Präsenz zeichnet diesen Menschen aus. Physische und intellektuelle Präsenz. Und Klarheit. Masse und Klarheit. Ein Kämpfer für die Menschrechte, weltweit. Drunter tut es ein Mann wie Wolfgang Kaleck nicht. Und Gott sei Dank tut er es für nichts Weniger. Der Versuch eines Porträts dieses Heimatlosen und Gehetzten anlässlich seines gerade erschienenen Buches »Mit Recht gegen die Macht«.

Wolfgang Kaleck ist ein deutscher Rechtsanwalt, ein Fachanwalt für Strafrecht mit den Tätigkeitsschwerpunkten europäisches und internationales Strafrecht, Wehr- und Kriegsdienstverweigerungsrecht sowie Menschenrechte. Kaleck ist ein politischer Jurist, ein linker, politischer Jurist, dem man seine politische Sozialisation in den achtziger Jahren Westdeutschlands ansieht und anhört. Einer, der vor Gericht gegen Diktatoren, Kriegsverbrecher und rücksichtslose Unternehmen kämpft. Nicht als eitler Einzelkämpfer, sondern innerhalb eines Netzwerks von Mitstreitern, die sich für eine bessere, solidarischere Welt einsetzen.

Er war Bundesvorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV), er ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und schreibt für die Zeit den Blog Recht subversiv – Aus der Werkstatt eines Anwalts und Menschenrechtlers. Er verklagte bereits den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und vertritt aktuell den Whistleblower Edward Snowden. Seit seiner Gründung im Frühjahr 2007 leitet er als Generalsekretär das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin. Dieser Center wurde von einer kleinen Gruppe renommierter Menschenrechtsanwälte gegründet, um die Menschenrechte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie anderen Menschenrechtsdeklarationen und nationalen Verfassungen garantiert werden, mit juristischen Mitteln zu schützen und durchzusetzen. Es vernetzt Menschenrechtsanwälte und Menschenrechtsaktivisten weltweit, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihr Wissen und ihre Erfahrung im Kampf um Menschenrechte auszutauschen und gemeinsam Strategien über die Grenzen hinweg zu entwickeln.

Für diese Arbeit wurde Kaleck im November 2014 mit dem Hermann-Kesten-Preis ausgezeichnet, einem Preis, der Persönlichkeiten würdigt, die sich im Sinne der internationalen PEN-Charta in besonderer Weise für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller und Journalisten einsetzen. Den Antrieb für seine Arbeit fasst Kaleck in die Worte, die von der Person stammen, nach der der Preis benannt ist: »Es ist eine Lust zu leben, eine mit Schmerzen verbrämte Lust wie die Liebe, wie die Betrachtung der Welt und der Menschen, wie alles Dichten und Denken«.

Kaleck, gerade einmal Mitte Fünfzig, hat bisher ein abenteuerliches, ein spannendes Leben erlebt, ein Leben, das genügend Stoff für etliche Leben bereithält. Tauschen möchte ich nicht mit ihm. Das Unstete, die Unrast, das Gehetzte, Getriebene, die Kalecks Leben prägen, hielte ich nicht aus. Nicht umsonst ist ein Kapitel seines neuen Buches mit »Der Nomade« überschrieben. Aber vielleicht wäre es zu all dem nicht gekommen, wenn Kaleck nicht eine Freundin gehabt hätte, die ihn im Sommer nach Mexiko City nachgezogen hätte, wo er 1990 für ein Vierteljahr sein Referendariat fortsetzen konnte und von wo aus er einen unglücklichen Kontinent kennenlernt. Lateinamerika, die vielen Station in Mexiko, Guatemala, Argentinien, Chile, Paraguay, veränderten ihn und machten aus ihm jenen erfolgreichen und wichtigen Anwalt für Menschenrechte, der er heute ist.

Kalecks Lebensgeschichte findet sich in seinem neuen Buch Mit Recht gegen die Macht wieder. Es ist ein autobiografisches, vor allem aber ein politisches Werk. Ein Buch, das, wie ZEIT-Journalistin Carolin Emcke bei der Vorstellung im Maxim-Gorki-Theater sagte, »selten geschrieben wird und selten zu lesen ist«. Emcke, selbst eine der klügsten und genauesten Essayistinnen unseres Landes, beschreibt Mit Recht gegen die Macht als Ideengeschichte, als eine Geschichte der Durchsetzung der Menschenrechte, die sich auch als »Bildungsroman der sentimentalen Art durch Menschen, denen er [Wolfgang Kaleck] begegnet ist« lesen lasse (womit sie vielleicht die schönste Beschreibung, die man Buch und Autor überhaupt zukommen lassen kann, gefunden hat).

Eine der vielen Menschen, den Wolfgang Kaleck begegnet ist, ist Ellen Marx. Sie ist der heimliche, der stille Star des Buches. »Eine der klügsten und stärksten Frauen, denen ich je begegnet bin«, wie Kaleck vermerkt. Die Begegnung mit dieser starken Frau ist eine von vielen, die im Buch beschrieben sind, aber wohl diejenige, die die Leser am meisten bewegt. Kaleck trifft Ende der neunziger Jahre in Buenos Aires auf Ellen Marx, einer 1921 in Berlin geborenen Dame, deren Wohnung in der argentinischen Hauptstadt »eher nach Berlin-Charlottenburg denn nach Lateinamerika aussieht«. Sie hatte Mitte der siebziger Jahre ihre Tochter verloren. Leonor Marx wurde am 21. August 1976 von argentinischen Militärs entführt und verschwand. Sie war nicht die einzige. Die Nationale Kommission über das Verschwinden von Menschen in Argentinien schätzte die Zahl der dort zwischen 1976 und 1983 vom Militär umgebrachten Menschen auf 9.000, merkte jedoch an, dass die tatsächliche Zahl höher sein könnte. Menschenrechtsorganisationen setzen die Zahl gewöhnlich bei 30.000 an. Von dieser Zahl geht auch Wolfgang Kaleck aus.

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Wolfgang Kaleck: Mit Recht gegen die Macht – Unser weltweiter Kampf für die Menschenrechte. Hanser Berlin 2015. 224 Seiten. 19,90 Euro. Hier bestellen

Nach dem Ende der Junta-Diktatur implementiert der demokratisch gewählte Präsident Raul Alfonsin ein unabhängiges Gremium, jene Nationale Kommission über das Verschwinden von Menschen in Argentinien, das Einblick in Gerichtsakten und andere staatliche Dokumente nehmen sollte, um das Schicksal der Verschwundenen zu ermitteln. Der Abschlussbericht trug den Titel »Nunca más« – »nie wieder«. Auf dieser Basis wurden Junta-Mitglieder angeklagt und 1985/86 zu hohen Haftstrafen verurteilt (Mehr dazu in Roland Paris: Wenn die Waffen Schweigen. Friedenskonsolidierung nach innerstaatlichen Gewaltkonflikten).

So leicht dieser außergewöhnliche, ja gar historische Erfolg klingt, so heftig war er umkämpft. Ranghohe Mitglieder der immer noch mächtigen Armee drohten unverhohlen mit Putsch. Die Regierung erließ Amnestiegesetze, die eine zwei Dekaden lange Straflosigkeit nach sich zog. Ungeachtet dessen kämpfte die argentinische Menschenrechtsbewegung weiter. Woche für Woche machten Mütter, die Madres de Plaza de Mayo, vor dem Präsidentenpalast auf ihre verschwundenen Kinder aufmerksam. Unter ihnen eben auch Ellen Marx. Sie machte Kaleck auf das Verschwinden ihrer Tochter aufmerksam, um ihn zu gewinnen, Klage zu erheben. Nicht in Argentinien selbst, sondern in Deutschland. Seit Mitte der neunziger Jahre brachten Rechtsanwälte in Frankreich, Italien und Spanien die Fälle argentinischer Militärs vor Gericht.

Ellen Marx ging es nicht darum, einen privilegierten Zugang als in Deutschland Geborene zur hiesigen Justiz zu nutzen. Sie sah sich als Teil der größeren Bewegung, die sich zum Lebensziel machte, die Schicksale aller dreißigtausend Verschwundenen aufzuarbeiten. Zähigkeit zeichnete Ellen Marx aus. Zähigkeit, Nehmerqualitäten, ein eiserner Willen, trotz aller Widrigkeiten weiterzumachen. Kaleck schildert die Situation, als es sich abzeichnete, dass die deutsche Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen wollte. Er schildert, wie er sich windet. Wie er Formulierung benutzte, um dem Schrecken vorzugreifen. Wie er trotz besseren Wissens dem Fall und Ellen Marx Hoffnung machen möchte. Sie antwortete in ihrer psychischen Robustheit, er solle sich um sie als »alte und hartgesottene Kämpferin« keine Sorgen machen, Niederlagen sei sie seit über 20 Jahren gewohnt, sondern er solle einfach weitermachen.

Ihre Aufforderung und auch Kalecks Zähigkeit zahlen sich aus. Das bayerische Justizministerium stellte mehrere Staatsanwälte ab, die sich um den Fall, der sich fast vor einer Generation auf einem anderen Kontinent abspielte, kümmerten. Ellen Marx ist nicht das Glück vergönnt, dass das Verschwinden ihrer Tochter juristisch aufgeklärt wurde. Weder in Deutschland, noch in Argentinien. Sie hat aber viel ermöglicht, damit Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch in anderen Staaten verfolgt werden können. Und sie hat die schreckliche Zeit zwischen 1976 und 1983 so in öffentlicher Erinnerung halten können, dass unter den argentinischen Präsidenten Nestor Kirchner und Christina Kirchner die Gerichtsverfahren wieder aufgenommen wurden. Worauf Ellen Marx stolz sein konnte, war eine Geste der deutschen Botschaft in Argentinien. Sie verlegte im Garten der Residenz eine Plakette zur Erinnerung an die Verschwunden. Eine Plakette zur Erinnerung an Leonor Marx und an alle weiteren 30.000 Verschwundenen.

Zu Ellen Marx’ Tod im September 2008 schreibt Kaleck bewegende Worte: »Einer der wichtigsten Menschen meines Lebens ist tot. Ellens Einstellung – hartnäckig, pragmatisch, sich selbst zurücknehmend – hat mich geprägt. Seitdem ich ihr und den anderen Müttern begegnet bin, habe ich selten Zweifel am Sinn unserer Arbeit in Fällen wie den ihren. Ellens Tod kam so schnell, zu schnell. Wie alle ihre Berliner Freunde bin ich froh, dass einen Monat später in den Räumen der Jüdischen Gemeinde in der Fasanenstraße eine Trauerfeier für sie stattfindet – ganz in deren Nähe hatte Ellen siebzig Jahre zuvor gelebt und die Progromnacht vom 9. und 10. November 1938 erlebt.«

Kaleck, dieser Heimatlose und Gehetzte, findet, so liest es sich aus seinem Buch, am ehesten Heimat bei seinen Freunden, bei Menschen, die ihm wichtig sind. Hier tankt er Kraft. Es ist aber nicht seine Beziehungsfähigkeit, die ihn zu einem erfolgreichen und außergewöhnlich wichtigen Rechtsanwalt macht, sondern es ist seine analytisch-strategische Fähigkeit, »mit Recht gegen die Macht« zu agieren. Dass ihm einige Linke deshalb Rechtspositivismus vorwerfen, Naivität, einen blinden Glauben an die geltenden Gesetze, trifft weniger ihn, als diese mit ihrem Zynismus und ihrer mutlosen wie apolitischen Akzeptanz der normativen Kraft des Faktischen.

Kaleck versucht ein Verhältnis von geltendem Recht zu einem darüber hinausreichenden Ideal von Gerechtigkeit zu entwickeln mit einer Strategie des langen Atems. Mit »siegen, ohne zu gewinnen« und mit »wieder scheitern, besser scheitern«. All das hört sich für deutsche Juristen bestenfalls realitätsfern an, schlimmstenfalls wie ein Missbrauch des Rechts für politische Zwecke. Kaleck lässt nicht locker, sondern entwickelt ein Konzept, systematisch zu bestimmten Regionen und Themen die Bandbreite juristischer Mittel einzusetzen – strategic litigation, wie es im angloamerikanischen Rechtsraum genannt wird.

Diese strategische Klageführung ist in Kontinentaleuropa, auch in Deutschland, bislang nicht üblich. Hier tritt man als Jurist an, um Fälle hier und heute zu gewinnen, selten um zukünftiger politischer Ziele willen. Kaleck weiß, dass werden weder er noch seine Freunde alleine schaffen können. Sein Ziel ist eine Globalisierung von unten, eine bisher nicht dagewesene Kooperation von Juristen über alle politischen und kulturellen Unterschiede hinweg. Gerade hier zeigt sich Kalecks Intelligenz und strategische Weitsicht, der man in seinem Buch – dem eine große Reichweite zu wünschen ist – nachspüren kann.

Es ist Wolfgang Kaleck zu gönnen, nein vielmehr uns ist zu wünschen, dass er erfolgreich bleibt. Noch ist die Welt nicht in dem Zustand, in der wir sie uns wünschen. Dafür brauchen wir die Eigenschaften von Menschen wie Ellen Marx und Wolfgang Kaleck. Auch weil sie wissen: »Der Kampf ist nicht leicht, doch wir können gewinnen.«

(Die Illustration im Titelbild ist dem aktuellen Jahresbericht des ECCHR entnommen und stammt von Nghia Nuyen)