Film, Interviews & Porträts

Der Groove der Freiheit

Der Film »Raving Iran« erzählt die Geschichte des DJ-Duos Blade & Beard. Arash und Anoosh sind aus dem Iran geflohen, um ohne Angst auflegen zu können. Wir sprachen mit beiden über das Leben im Iran, heimliche Filmaufnahmen und den Klang der Freiheit.

Arash, Anoosh, habe ich das richtig verstanden? Ihr seid aus dem Iran geflohen, weil ihr Musik macht?

Arash: Ja genau, das stimmt.

Okay, dann sagt kurz, wie gefährlich ist diese Skype-Konferenz für Euch und vor allem für Eure Familien im Iran? Können wir völlig frei sprechen?

Arash: Naja, grundsätzlich schon. Wir würden nur ungern über Politik sprechen. Aber wir sind ja auch Musiker und nicht Politiker.

In dem Film »Raving Iran«, in dem eure Geschichte erzählt wird, gibt es eine für den deutschen Zuschauer recht zentrale Szene. Man sieht dort, wie ihr nach Monaten harter und mitunter recht riskanter Arbeit, eure Musik zu produzieren, an den Mann zu bringen oder ins Ausland zu schicken, eine Einladung zur »Lethargy Street Parade« nach Zürich bekommt. Nach dem Anruf drehst Du Dich Arash zu Anoosh und sagst, dass der Festivalmanager aus der Schweiz mit Dir so gesprochen habe, als sei es kein Problem, mal eben mit Eurer Musik rüberzukommen und aufzulegen. Warum aber ist das ein Problem?

Anoosh: Wir hatten eine Compilation von unseren Sets an verschiedene Festivals weltweit geschickt, eines davon war eben die Street Parade in Zürich. Als wir die Einladung per E-Mail bekamen und dann am Telefon erstmals über Einzelheiten sprachen, waren wir geschockt. Wir könnten es gar nicht glauben, bei uns dürfen wir ja nicht einmal öffentlich auflegen. Wir haben dann aber doch zugesagt, weil wir die Chance gesehen haben, so endlich mal in Europa auflegen zu können.

Was genau ist das Problem mit Musik im Iran?

Arash: Nun, westliche Musik ist grundsätzlich verboten, es drohen Haftstrafen für alle, die damit irgendwie in Kontakt kommen. Man kann also nicht einfach irgendwie in einem Klub gehen oder in einen Laden, solche Musik kaufen.

Wo genau ist da die Grenze? Ihr mixt selbst orientalische Elemente in Eure Musik. Könnte man nicht auch von einer modernen orientalischen Musik sprechen, die ihr macht?

Anoosh: Das könnte man schon, aber unsere Regierung hat grundsätzlich Probleme mit aller Art westlich beeinflusster Musik. Vor allem Musik, die zum Tanzen ausgelegt ist, ist den Behörden zuwider. Denn sie gibt den Menschen ein Gefühl, einen Groove, vor dem sich die Regierung fürchtet. Sie mag den Lifestyle nicht, das Gefühl der Freiheit, das damit verbunden ist.

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Welche Bedeutung hat Elektromusik im Iran eurer Meinung nach? Gibt es viele heimliche DJs wie Euch? Und wie leben die?

Anoosh: Es gibt schon viele DJs im Iran, aber die spielen nicht zwangsweise Techno wie wir. Sie verhalten sich angepasst, auch, weil sie es bevorzugen, die kommerzielle und zugelassene Musik zu spielen. Es gibt ja auch viel persische Popmusik, die ist für das Regime völlig problemlos.

Hattet ihr, als ihr noch im Iran gelebt habt, Vorbilder aus dem Westen? Und wie seid ihr an deren Musik gekommen?

Arash: Aber ja doch, klar haben wir viel westliche Musik gehört. Iran ist zwar weit weg von Europa oder Amerika, aber dank des Internets ist die Welt klein. So hatten wir Zugang zu anderen Künstlern, vor allem auf Musikplattformen.

Wann habt ihr das erste Mal daran gedacht, einen Film über eure Geschichte zu machen?

Anoosh: Ehrlich gesagt haben wir nie daran gedacht, einen Film über unsere Lebenssituation zu machen. Aber immer, wenn wir uns mit den Schwierigkeiten des Musikmachens im Iran auseinandersetzen mussten, haben wir im Scherz zueinander gesagt, dass man darüber mal einen Film machen müsste.

Im Film gibt es eine geheime Rave-Party inmitten der Wüste. Wie funktioniert das genau? Wie organisiert man so etwas, wie organisiert man Equipement, Strom und Leute mitten ins Nirgendwo, ohne dass es jemand merkt?

Anoosh: Das ist eine gute Frage. Diese Party, die man da sieht, ist eine echte Untergrund-Party. Man muss mit allem vorsichtig sein. Wenn irgendjemand, der es nicht wissen sollte, einen Wink davon erfährt, dann gibt es keine Party mehr. Ganz im Gegenteil, dann drohen drastische Strafen. Wir haben deshalb angefangen, nur unsere engsten Freunde einzuladen, die dann wiederum ihre engsten Freunde eingeladen haben, denen sie einhundertprozentig vertrauen konnten. Am Ende waren es dann vierzig bis einhundert Leute, die uns zugesagt haben und für die wir dann alles inklusive Notstromaggregat in die Wüste transportiert haben.

Im Film sieht man, wie ihr aus Teheran rausfahrt und in eine Polizeikontrolle geratet. Was wären mögliche Strafen, wenn Euch die Polizisten mit Technik und so weiter erwischen?

Anoosh: Das kommt drauf an, in welcher Situation genau sie dich erwischen. Einmal haben sie uns kontrolliert, da waren wir die ersten überhaupt auf der Party. Es hat noch niemand getanzt, da ist im Grunde nichts passiert. In einem anderen Fall aber, als schon ein paar Leute da waren, wurden wir alle festgenommen und zwei Tage im Gefängnis festgehalten. Das war schrecklich, auch wenn sie am Ende nichts finden konnten, wegen dem sie uns hätten anklagen können.

Arash: Wenn man im iranischen Strafgesetzbuch nachliest, dann stößt man auf recht rigide Strafen. Das machen sie, um dich einzuschüchtern, um dir Angst zu machen. Sie konzentrieren sich bei den Kontrollen vor allem auf Alkohol, und in dem zweiten Fall war der Alkohol, den wir geordert hatten, noch nicht da. Sie beließen es am Ende bei einer Geldstrafe, obwohl sie nicht einmal etwas finden konnten. Man ist also der Willkür ausgeliefert. Hätten wir nicht zahlen können, hätten sie uns wahrscheinlich zwei, drei Monate lang gefangen gehalten.

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Es gibt im Film auch eine Szene, in der Anoosh bei einer privaten Party, die auffliegt, festgenommen wird. Wie war die Nacht im Gefängnis? Finden da Verhöre statt oder wie muss man sich das vorstellen?

Anoosh: Man ist mit vielen anderen Häftlingen gemeinsam im Untersuchungsgefängnis, darunter auch Menschen, die des Mordes oder anderer Gewaltverbrechen verdächtigt werden. Man ist dann dem Untersuchungsrichter ausgeliefert, der letztendlich die Strafe festlegt. Bei Geldstrafen kommt es dann darauf an, ob man zahlen kann oder nicht. Wenn nicht, muss man länger im Gefängnis bleiben.

Es scheint – auch im Zeitalter von Spotify und iTunes – im Iran schier unmöglich zu sein, seine eigene Musik zu verkaufen, wenn sie westlich ist. Von der Produktion über die Cover-Gestaltung bis hin zum Vertrieb habt ihr alles selbst gemacht und am Ende dennoch niemanden gefunden, der Eure CDs verkauft.

Anoosh: Im Iran gibt es nur eine Handvoll Musiklabel, die sich aber alle auf traditionelle Musik beschränken. Manchmal unterstützen sie Popmusik, die von den Behörden gefördert wird. Im Grunde handelt es sich dabei immer um dieselbe Musik: die Texte sind traurig, der Beat ist fröhlich – das kommt bei den Zensurbeamten an. Will man selbst Musik produzieren und an die Leute bringen, ist man ganz auf sich allein gestellt. Und man muss sich gut überlegen, ob man das Risiko eingehen will. Musik zu produzieren ist verboten. Sie zu promoten oder zu verkaufen ist verboten.

Wie ist es mit dem Schwarzmarkt?

Arash: Er ist sehr gering. Wenn niemand weiß, was du da eigentlich produzierst, gibt es auch keinen Schwarzmarkt, auf dem man das anbieten kann. Weil die Leute es gar nicht suchen. Kaum ein Mensch im Iran weiß, was Deep House überhaupt ist, also fragt auch keiner danach. Im Grunde muss man die Menschen erst von der Musik als solche überzeugen, die man macht, weil sie sie nicht kennen. Dazu gibt es aber keine Gelegenheit, sie ist ja verboten. Also kann man nur immer wieder sagen, dass das gute Musik ist, die man da anbietet.

Ihr habt auch versucht, Euch unter Eurem Künstlernamen »Blade & Beard« als Band registrieren zu lassen. Hätte Euch das irgendwie geholfen?

Anoosh: 2013 entschieden Arash und ich, gemeinsam aufzutreten. Also versuchten wir, uns als Band offiziell registrieren zu lassen, um so über offizielle Umwege die Genehmigung zu bekommen, aufzulegen. Das haben neben uns auch ein paar andere DJs versucht, aber alle sind wie wir gescheitert.

Ihr brauchtet sogar eine Erlaubnis, Eure Musik in andere Länder zu schicken? Wie bekommt man die, wenn man grundsätzlich keine Musik machen darf?

Anoosh: Ja, das stimmt. Aber all diese Probleme kann man umgehen, indem man die Leute kauft, auf die man angewiesen ist. Das ist immer ein wenig riskant, aber es funktioniert meist.

Habt ihr einige der Beamten bestochen?

Anoosh: Ich sag es nicht gern, aber ja, auch wir haben das gemacht. Unsere Musik hätte den Iran sonst niemals verlassen.

Wir sprechen jetzt die ganze Zeit über Techno. Wie ist es mit anderer Musik? Ist es da genauso kompliziert?

Arash: Ja, egal ob wir über Rock’n Roll, Metall oder Hip Hop sprechen, alle haben dieselben Probleme. Leute, die diese Musik machen, sind alle auch in unserer Facebook-Timeline. Sie alle sind Underground-Artists, die auf eigene Faust versuchen, ihre Musik irgendwie unter die Leute zu bekommen.

Im Film sagt ein Drucker, dass die Regierung alles dafür tut, hintergangen zu werden. Ist das die Art, heute im Iran durchzukommen?

Anoosh: Äh ja. Man muss Iraner sein, um zu verstehen, was das bedeutet. Aber alle Iraner werden das bestätigen. Korruption und Betrug sind völlig normal in unserem Land.

Was heißt das im Alltag?

Anoosh (nach langer Pause): Wenn man hier in der Schweiz, wo wir derzeit leben, ehrlich ist und die Dinge beim Namen nennt, dann wird man unterstützt. Eben weil man ehrlich ist. Wenn man im Iran aber ehrlich ist, dann ist man der Dumme. Im Iran musst Du lügen, um voranzukommen.

Als ihr Euch in Zürich beworben habt, habt ihr da überhaupt daran geglaubt, dass es klappen könnte und dass ihr dann auch noch ausreisen dürft?

Anoosh: Es war eine Art verzweifelter Versuch, irgendwie rauszukommen. All die anderen Festivals, an die wir unsere Aufnahmen geschickt hatten, haben sich jemals gemeldet. Und dann kam die E-Mail aus der Schweiz, da stand ich wirklich wie unter Schock.

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Habt ihr sofort daran gedacht, den Iran zu verlassen?

Anoosh: Schon davor hatten wir die Absicht, den Iran zu verlassen. Wir wollten Musik machen, im Iran ging das nicht. Eine Musikkarriere war nur im Ausland möglich. Wir daran, irgendwie nach Australien zu kommen oder nach London, aber nichts davon hat geklappt. Bis die Schweiz anrief.

Ihr lebt mittlerweile in der Schweiz. Könnt ihr jetzt Euren Traum als Musiker leben?

Anoosh: In den ersten beiden Jahren in der Schweiz waren wir in Graubünden, in den Bergen. Vor kurzem aber haben wir unseren Asylbescheid bekommen und sind nach Zürich gezogen. Hier leben wir jetzt als so genannte anerkannte Flüchtlinge.

Im Film bekommt man den Eindruck, dass ihr, angekommen in der Schweiz, in einer völlig anderen, aber ähnlich surrealen Situation ward wie im Iran. Einerseits wart ihr eine Art Botschafter des modernen Iran, wie ihn sich der Westen vorstellt, andererseits aber hat sich keiner wirklich für Eure Situation interessiert. Ihr ward ziemlich verloren in der Unsicherheit, ob ihr den Iran und eure Familien für immer verlassen wolltet oder nicht.

Arash: Wir waren im selben Moment total begeistert und absolut unglücklich. Das erste Mal wurden wir als DJs gebucht und konnten öffentlich, ohne Gefahr, auflegen. Das war grandios. Zugleich mussten wir dafür unser Land und unsere Familien verlassen. Selbst jetzt, wenn ich nur davon rede, werde ich wieder so aufgeregt wie damals. Wir hatten damals viele Interviewanfragen, waren in Radioshows und Musikmagazinen. Uns hat das aber total unsicher und nervös gemacht, weil alles gegen uns oder unsere Familien verwendet werden konnte. Das war auch für uns eine Belastungsprobe.

Habt ihr auf dem Festival mit anderen DJs über Eure Situation gesprochen?

Anoosh: Wir haben nur mit Olaf Hilgenfeld und Iftah Gabbai aka Skinnerbox gesprochen. Iftah ist von Israel und als ich ihm erzählte, dass wir aus dem Iran sind, war er total begeistert. Wir sind damals richtig enge Freunde geworden. Er hatte uns damals auch seine Hilfe angeboten.

Ein großer Teil des Films, im Grunde alles im Iran, ist mit den Kameras von Mobiltelefonen aufgenommen worden. Wie gefährlich waren die Filmaufnahmen?

Arash: Es war wirklich gefährlich. Ich trug mein iPhone mit laufender Kamera in der Brusttasche vom T-Shirt und musste mich entsprechend vorsichtig bewegen, um einerseits nichts zu verwackeln und um uns andererseits nicht zu verraten.

Anoosh: Wir haben ganz am Anfang, als feststand, dass wir das mit dem Filmprojekt versuchen, darüber nachgedacht, wie wir die Aufnahmen am besten machen können. Die ersten Versuche machten wir mit Brillen mit Kameras, aber das hat nicht funktioniert. Dann haben wir es mit den Handys in der Brusttasche versucht. Wir haben viel geübt, etwa wie man mit einer Bewegung die Perspektive ändert oder eine Kamerafahrt durch einen Schalterraum macht oder so. Die Regisseurin Susanne Regina Meures und unsere Freunde gaben uns auch viele Hinweise, wie wir uns verhalten sollten. Schließlich konnten wir nur wenige Aufnahmen wiederholen. Wir konnten beispielsweise nicht noch einmal ins iranische Kulturministerium gehen, um unseren Band-Antrag zu stellen. Das, was man im Film sieht, ist der einzige Anlauf, den wir hatten. Es war sowieso schon gefährlich genug, mit dem laufenden Handy in der Tasche dort hineinzuspazieren. In anderen Fällen aber, etwa bei der Post, konnten wir mehrere Anläufe nehmen. Es ist schließlich nicht ungewöhnlich, dass man mehrmals in der Woche zur Post geht.

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Wie ist die Situation Eurer Familien, Freunde und Unterstützer im Iran? Wurden Sie, als ihr nicht zurückgekommen seid, einbestellt?

Arash: Es geht ihnen gut, auch wenn sie einbestellt wurden. Aber das war nur ein einziges Mal. Ich glaube, sie wollten damit uns und unseren Familien zeigen, dass sie in der Lage sind, zu anderen Mitteln zu greifen, wenn wir hier politischer werden. Aber bitte lassen Sie uns dieses Thema nicht weiter vertiefen.

»Raving Iran« erinnerte mich in seiner Art der heimlichen Aufnahme an Jafar Panahi und dessen Filme. Hat Sie Panahi irgendwie inspiriert?

Anoosh: Wir wollten anderen Menschen weltweit einfach nur zeigen, was es für normale Leute wir uns heißt, im Iran zu leben. Was es heißt, wenn man das machen will, was man liebt – und wenn es so etwas Simples ist wie Musik. Dabei kann sich jeder selbst ein Bild vom Iran machen, in dem so etwas harmloses wie Musik als Bedrohung gilt. An Panahi, dessen Filme wir kennen und mögen, haben wir dabei nicht gedacht. Wir sind auch keine Schauspieler, sondern Musiker, die der Regisseurin dabei helfen wollten, die Probleme im Iran sichtbar zu machen.

»Raving Iran« endet wie Panahis letzter Film »Taxi« mit einem Black Screen. Ist das Euer Kommentar auf die unsichere Zukunft, die vor Euch liegt? Oder wie geht es jetzt bei Euch weiter?

Anoosh: Zum Black Screen kann ich nichts sagen. Ich kann nur über uns sprechen. Wir haben mit der Flüchtlingsanerkennung Reisedokumente bekommen, mit denen wir durch ganz Europa reisen können. Für die USA, Kanada oder Australien bräuchten wir Visa-Dokumente. So haben wir aber zumindest die Möglichkeit, mit unserer Musik herumzukommen. Momentan suchen wir eine Wohnung, was hier in Zürich nicht so einfach ist. Ansonsten versuchen wir jeden Tag, Zeit für Musik zu finden. Wir sind viel auf Kanälen unterwegs, wobei wir auch viel Neues lernen. In ein paar Wochen werden wir unsere neue EP herausbringen und nebenbei suchen wir noch eine Agentur, die uns dabei unterstützt, weitere Gigs zu bekommen. Im Januar 2017 werden wir aber auf jeden Fall beim CTM-Festival in Berlin dabei sein.

Anoosh, Arash, vielen vielen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg mit Eurem Film und der Musik. Man wird sicher bald viel von Euch hören. Alle Neugierigen können Euch auf Facebook folgen oder Eure Musik bei Soundcloud hören.

www.ravingiran.com