Rebecca Solnit beweist in ihren emanzipierten Texten, dass sie Lautstärke und Intelligenz zu verbinden vermag. Ihre Bücher »Wenn Männer mir die Welt erklären« und »Die Mutter aller Fragen« versammeln ihre feministischen Essays, mit »Wanderlust« erscheint demnächst eine Erkundung des Menschen in der Natur.
Im Sommer 2003 besucht Rebecca Solnit eine Party im amerikanischen Skiort Aspen. Als sich das Fest seinem Ende neigt, spricht sie der Gastgeber auf ihre Autorentätigkeit an. Sie erinnert sich, dass er sie »in einem Ton, in dem man die siebenjährige Tochter von Freunden ermuntern würde, über ihre Flötenstunde zu berichten« danach fragte, wovon ihre Bücher den handelten. Doch kaum hebt Solnit an, von ihrem neuesten Buch über den Fotografen Eadweard Muybridge zu berichten, fällt ihr ihr Gegenüber schon ins Wort. Zu Muybridge sei gerade ein ausgesprochen wichtiges Buch erschienen, ob sie das denn wisse? Es folgt ein Monolog über das Buch, das jener Mr. Wichtig, wie sich herausstellt, gar nicht gelesen hat, sondern nur von einer Kritik kennt. Dennoch prahlt er selbstgefällig mit seinem Halbwissen. Erst als er mehrmals eindringlich darauf hingewiesen wird, dass Solnit die Autorin eben jenes Buches ist, wird er still.
»Männer erklären mir die Welt, mir und anderen Frauen, ob sie nun wissen, wovon sie reden oder nicht«, erinnert sich Solnit Jahre später in einem Essay an diese Anekdote. Männer wie jenen Mr. Wichtig seien »Zivilisationshindernisse«, schreibt sie da unter der Überschrift Men Explain Things to Me. Sie würden »jeder Frau auf jedem Gebiet« das Leben erschweren und sie in Selbstzweifel und Selbstbeschränkung schulen, und »zugleich das durch nichts gestützte überzogene Selbstvertrauen der Männer« stärken. Der Text verbreitete sich in Windeseile. Unter dem Hashtag #mansplaining berichteten tausende Frauen Ähnliches – selbst Jahre nach Erscheinen des Beitrags.
In ihrem neuen Buch Die Mutter aller Fragen schreibt sie nun, dass auch 300 Jahre Aufklärung nichts daran geändert hätten, dass die Mutterschaft noch immer als zentrales Merkmal für die weibliche Identität gelte. Dahinter stecke die irrtümliche Annahme »dass sich nur über Kinder die eigene Liebesfähigkeit befriedigen lässt«. Sie hat das vor Jahren selbst erlebt, als sie sich in einem Buchgespräch plötzlich für ihre fehlende Mutterschaft rechtfertigen sollte. Der Moderator, erinnert sie sich, stellte also die Mutter aller Fragen, weil er der Ansicht war, »dass ich Kinder haben müsse und es vollkommen unverständlich sei, warum ich keine hatte, weswegen wir eher darüber sprechen müssten, warum ich denn keine hätte, als über die Bücher, die ich ja immerhin hatte.« Indem man also Frauen auf die Rolle der Mutter reduziert, werden sie zum Schweigen gebracht.
Doch nicht alle schweigen, einige sind sogar umso lauter geworden. Virginia Woolf, Katharine Hepburn, Gloria Steinem, Condoleezza Rice, Angela Merkel, Oprah Winfrey, Helen Mirren, Cameron Diaz, Renée Zellweger oder Kim Cattrall führen auch ohne Kinder ein erfülltes Leben. Warum auch nicht, fragt sich aufgeklärter Mensch. Solnits Kinderlosigkeit ist Folge ihrer Biografie. In einem Porträt mit dem Elle-Magazin wird sie mit den Worten zitiert, dass sie »unter idealen Umständen« Kinder hätte haben können, aber im Laufe ihres Lebens von Kerlen umgeben gewesen sei, »die mich bestenfalls zu einer alleinerziehenden Mutter gemacht hätten.« Und dennoch: dass Frauen überproportional häufiger mit der Frage konfrontiert sind als Männer, ist Zeichen einer kulturell tief verwurzelten Misogynie.
Aber wie gehen Männer mit ihrer Vaterrolle um? Wieviel Emotionen lassen sie zu und wo tauchen sie ab? Auch dafür hält Solnit eine Szene parat, die, ohne dass man sie selbst erlebt hat, überaus plausibel klingt. Darin schildert sie, wie sie kurz nach dem Schulabschluss mit einem Freund eine Reise mit dem Auto antritt und der Vater des Freundes noch einmal seinen Sohn anspricht: »Meldet Euch mal. Deine Mutter macht sich sonst Sorgen«, sagte er und wandte sich dann ab, zufrieden damit, seine Botschaft angebracht zu haben. Dass der Vater seine eigenen Sorgen auf die Mutter projiziert und sie damit zum Platzhalter seiner eigenen Gefühle gemacht hatte, ist Solnit erst Jahre später bewusst geworden.
Die Amerikanerin ist aktuell eine der meistgelesenen feministischen Autorinnen. Als erste Frau überhaupt ist sie kurz nach Erscheinen von Men Explain Things to Me zur Easy-Chair-Kolumnistin beim renommierten Harpers Magazin bestellt worden. Sie schreibt zudem regelmäßig für den Guardian und die London Review of Books. Pop-Ikonen wie Lena Dunham und Beyonce zählen zu ihren Fans. Dunham schrieb über Wenn Männer mir die Welt erklären, dass es das erhellendste, besänftigendste und sozial bewussteste Buch zum Thema »Frau sein« sei, dass sie im Jahr des Erscheinens gelesen habe. Auf Facebook, wo Solnit erst seit knapp einem Jahr aktiv ist, folgen ihr über 100.000 Menschen. Die New York Times hat sie zur »Stimme des Widerstands« erkoren.
Zwanzig Bücher hat die in San Francisco lebende Feministin seit 1990 geschrieben, darunter eine kulturgeschichtliche Erkundung der Wanderlust (erscheint im März 2018 bei Matthes & Seitz), ein Buch über den Abschied von ihrer an Alzheimer erkrankten Mutter (Aus der nahen Ferne) oder eine Encyclopedia of Trouble and Spaciousness, in der sie Essays über hungrige Polarbären und atomare Unfälle in Japan versammelt. Beeinflusst von Virginia Woolf und Henry David Thoreau wechselt sie schreibend zwischen Natur und Kultur, Landschaft und Gesellschaft. Ihre Autorschaft mündet im Engagement und umgekehrt. Solnit ist nicht nur eine Ikone der amerikanischen Umweltbewegung, sondern auch eine der brillantesten Vordenkerinnen, wenn es um Menschenrechte und Feminismus geht.
Der Abhang, auf dem die Stellung der Frau in unseren Gesellschaften verhandelt wird, ist in ihren Augen steil und rutschig. »Ein Mann handelt in dem Glauben, du hättest kein Recht zu sprechen und dürftest nicht definieren, was vor sich geht. Das kann sich schlicht darin äußern, dass dir beim Abendessen auf der Konferenz das Wort abgeschnitten wird. Es kann aber auch heißen, dass dir jemand den Mund verbietet, du bedroht wirst, wenn du den Mund aufmachst oder dass du für deine Äußerung geschlagen oder umgebracht wirst, damit du für immer schweigst.« Oder um es mit den Worten der aktuellen Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels Margaret Atwood zu sagen: »Männer fürchten sich davor, dass Frauen über sie lachen. Frauen fürchten sich davor, dass Männer sie umbringen.«
Solnit kommt in ihren feministischen Schriften immer wieder auf das auferlegte Schweigen zurück, das ihrer Ansicht nach auf der ungleichen Verteilung von Macht beruht und verbunden ist mit Scham, Demütigung, Ausschluss, Entwertung, Diskreditierung und Drohung. Den Aussagen von Männern, so schreibt sie in Die Mutter aller Fragen, werde im öffentlichen Diskurs mehr Gewicht gegeben als denen von Frauen. Das führe dazu, dass Männer (vor allem bei Missbrauchsvorwürfen) bis zuletzt versuchen, die Glaubwürdigkeit von Frauen zu untergraben und zu beschädigen – und damit nicht selten erfolgreich sind. Denn »den Opfern Glauben zu schenken bedeutete schließlich, überaus grundlegende Annahmen in Zweifel zu ziehen.«
Solnits These wird vom Fall Harvey Weinstein gestützt. Nachdem der Produzent von Blockbustern wie Der Herr der Ringe oder Kill Bill offenbar jahrzehntelang seinen Trieben freien Lauf lassen und seine Macht in der Filmbranche zur Befriedigung der eigenen Gelüste missbrauchen konnte, hat sich inzwischen eine beeindruckende Menge weiblicher Hollywoodgrößen zu Wort gemeldet und unter dem Hashtag #meeto bekundet, dass auch sie Opfer von Weinsteins schwanzgesteuertem Ego geworden sind. Unter #metoo finden sich analog zum deutschen #aufschrei nicht nur die Geschichten der Weinstein-Opfer, sondern unzählige Beispiele des alltäglichen Machtmissbrauchs von Männern gegenüber Frauen. Das Schweigekartell der Männer wird zunehmend von deren Opfern gebrochen.
Dass allein damit das Problem der prekären Stellung der Frau noch nicht gelöst ist, auch das macht Solnit in Die Mutter aller Fragen deutlich. Zwar ist auch hier der längste Essay dem Schweigen und der Misogynie gewidmet, der Fokus richtet sich aber auf die gesellschaftlichen Veränderungen, die das Aufbrechen der Debatte nach sich zieht. Sie beobachtet die notwendige Transformation des feministischen Diskurses und treibt sie zugleich mit voran. Etwa indem sie das Konzept des Feminismus um die Aspekte Gender, Klasse und Hautfarbe ergänzt. Oder wenn Sie die Kunstwelt in den Blick nimmt und Werke von Henry Miller, John Steinbeck, Charles Bukowski, Philip Roth, Jack Keruac und Vladimir Nabokov auf eine feministische Shit-List setzt, weil deren Werke vermitteln, dass Frauen »nichts als Dreck« seien. Und weil sie keinerlei Anregung bieten, die eigene Position zu erkunden. Genau das sei jetzt aber wichtig. Denn »Kunst gestaltet die Welt, Kunst ist relevant, Kunst macht uns. Oder bricht uns.«
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