Sachbuch

Die Welt der Lust entdecken

Die spanische Illustratorin María Hesse widmet ihr neues Buch der Entdeckung der eigenen Lust. Auch wenn der Band an mancher Stelle an Liv Strömquists feministische Interventionen erinnert, hat diese »Erkundung der weiblichen Sexualität« durch den ganz anderen Strich und den autobiografischen Ansatz ihren eigenen Charme.

María Hesses Selbsterkundungsbuch »Lust« handelt vom sexuellen Erwachen der Autorin. »Mein Körper ist ein Tempel, und manchmal lasse ich jemanden herein«, schreibt sie dort. »Es hat mich viel Kraft gekostet, mit einer Religion zu brechen, die mir die Scham anerzogen hat, und jetzt den Sex zu verehren. Vom Sex aus Liebe zum Sex aus Lust überzugehen, die Gefühle vom Körperlichen zu trennen und letztendlich zu verstehen, dass die größte Lust aus der Verbindung von beidem entsteht.«

María Hesse: Lust. Eine Erkundung der weiblichen Sexualität. Aus dem Spanischen von Karolin Viseneber. Heyne Hardcore 2022. 160 Seiten. 24,00 Euro. Hier bestellen.

Die 40-jährige Illustratorin ist Spaniens Version von Liv Strömquist. Hierzulande ist sie mit ihrer illustrierten Bowie-Biografie bekannt geworden, in ihrer Heimat schätzt man ihre Frida-Kahlo-Lebensgeschichte. Mit »Lust« erscheint nun ihr zweites Buch, ein autobiografischer Emanzipationsroman, der zeigt, wie sie mithilfe weiblicher Vorbilder das Reich der unbelasteten Lust entdeckt hat. Wie Strömquist reist sie dabei durch die Menschheitsgeschichte, orientiert sich an klassischen Texten von Sappho, Kleopatra oder Matha Hari über die klassischen Feministinnen wie Colette, Änäis Nin oder Simone de Beauvoir bis hin zu persönlichen Favoriten wie Helen O’Connell und Mithu Sanyal wegen ihrer Anatomie der Klitoris, Anne Sexton als eine der »wichtigsten amerikanischen Autorinnen der Lust«, Betty Dodson wegen ihrer Ermutigung der Erkundung der eigenen Lustzonen.

Sie schwärmt von den Vagina-Monologen von Eve Ensler, die »etwas losgetreten« haben, legt ihre Entdeckung des Klitoris-Saugers – ihr »absolutes Lieblingsteil« in der Welt der Dildos – und der Menstruationstasse offen. Ausführlich beschreibt sie ihre Erforschung der Anatomie und davon ausgehend die Suche nach den Höhepunkten sexuellen Lustempfindens. Sie legt historische Ursachen für Verklemmungen und Belastungen offen, schreibt über gesellschaftlichen Druck und individuelle Erwartungen und ermuntert zur selbstbewussten Erkundung der eigenen (Ge)Lüste.

Ein Hoch auf die Menstruationstasse | Bild: María Hesse

Hesse taucht auch tief in die Pop-Kultur ein, erinnert sich an feuchte Gefühle bei »Dirty Dancing« und »Sailor Moon«, feiert Marilyn Monroe, Hedy Lamarr und Madonna als grenzüberschreitende und tabubrechende Sexbomben und nimmt das schwierige Frauenbild von George R. R. Martins Erfolgsserie »Game of Thrones« auseinander. Statt dessen legt sie Lena Dunhams »Girls« ans Herz – weil dort »die unantastbare Linie« aufgezeigt werde, »wann es sich um Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung handelt und wann nicht, wann um Empörung über eine demütigende Behandlung und wann um Heuchelei« – und empfiehlt die Pornos von Erika Lust – weil sie einen Weg gefunden hat, »eine feministische, fast unbekannte Sichtweise auf die Bildschirme zu bringen«. Ein Dank geht auch raus an »kämpferische Autorinnen« wie Virginie Despentes, Caitllin Moran und Iris Brey.

Hesses »Erkundung der weiblichen Sexualität« hat durch den eigenwilligen fantasievollen Strich und den autobiografischen Ansatz einen ganz eigenen Charme. Die Spanierin folgt allgemeinen feministischen Ansätzen, intersektionale Fragen von Misogynie und Gewalt klammert sie hingegen weitgehend aus.

Ist das seicht? Vielleicht. Aber warum nicht auch mal einen seichten Feminismus verfolgen. Von Vorreiterinnen und Wegbereiterinnen des Comicfeminismus wie Julie Doucet, Ulli Lust und Liv Strömquist mit ihren punkigen Zeichnungen und tabulosen Erzählungen ist Hesse dann doch noch weit entfernt. So eignet sich der Band in seiner offenen und zugewandten Form eher zum Einstieg ins Thema für ein jüngeres Publikum, das sich mit dem Thema weibliche Sexualität und Lust auseinandersetzen möchte, als für jene, die sich mit dem Themenfeld bereits auseinandersetzt haben.

»Es gibt kein Patentrezept. Menschen sind unterschiedlich, und das gilt auch für ihre Bedürfnisse, es kommt nur darauf an, sich selbst zu erkunden und bereits Gelerntes wieder zu vergessen. Wir müssen frei sein, um unseren Weg zu finden, um uns als heterosexuell, homosexuell, bisexuell, demisexuell, sapiosexuell, pansexuell oder asexuell definieren zu können, und um zu entscheiden, welche Art von Beziehung wir führen möchten, monogam oder auch nicht.« Darauf können sich Feminist:innen ganz egal welcher Prägung gut einigen.