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Ein einfaches Leben

Filmstill aus »So Long, My Son« von Wang Xiaoshuai | © Piffl Medien

So früh war das Rennen um die Bären noch nie zu Ende. Nachdem der chinesische Beitrag »One Second« von Zhang Yimou wegen »technischer Probleme« kurzfristig gestrichen wurde, beschließt dessen Landsmann Wang Xiaoshuai mit dem sehenswerten Drama »So long, my son« bereits am Donnerstag den Wettbewerb der 69. Berlinale. Die chinesischen Beiträge im Festival haben einen starken Eindruck hinterlassen. Umso schwerer wiegen die Ausfälle und belasten die chinesische Filmbranche.

Die Zeit der Kulturrevolution ist ein heikles Thema im chinesischen Kino, sie sollte im Mittelpunkt von Yimous autobiografisch motivierten Wettbewerbsbeitrag »One Second« stehen. Erfahren wird man das so schnell nicht, denn der Film, der am Freitag gezeigt werden sollte, wurde am Dienstag aus dem Wettbewerb genommen. »Aufgrund von technischen Problemen bei der Post-Production kann Yi miao zhong (One Second) von Zhang Yimou leider nicht am 15. Februar im Wettbewerb der Berlinale präsentiert werden«, ließ die Pressestelle des Festivals lapidar verlauten. Vielfach wird gemutmaßt, dass der Film nicht das Gütesiegel des chinesischen Propagandaministeriums bekommen hat und somit an der Zensur gescheitert ist. Das gleiche Schicksal ereilte kurz vor dem Festival das chinesische Melodrama »Better Days«, das in der Sektion Generation laufen sollte.

Wang Xiaoshuai, bekannt für »Beijing Bicycle« hat für seinen Film das Signum des gelben Drachens auf rotem Grund vor einem Greenscreen erhalten, das vor jedem chinesischen Beitrag auf diesem Festival eingeblendet wird. Und das, obwohl auch bei ihm die Zeit der Kulturrevolution kritisch verarbeitet wird. Das kann nicht verwundern, seine Trilogie zur Kulturrevolution bewegt sich am Rand des möglichen, sein Debüt »Wintertage, Frühlingstage« steht auf der schwarzen Liste. In seinem neuen, sich über drei Jahrzehnte erstreckenden Film ist die Kulturrevolution nur eine Anekdote im Leben von Yaojun und Liyun. In dieser Zeit wird ein Mann aus dem Freundeskreis des Paares festgenommen, weil er amerikanische Musik hört.

Wang Xiaoshuai: So long, my son | © Li Tienan / Dongchun Films
Wang Xiaoshuai: So long, my son | © Li Tienan / Dongchun Films

Die Handlung setzt aber später im Film ein und beginnt bei dem Sohn von Yaojun und Liyun. Mit Freunden ist er am Staudamm, im Gegensatz zu den anderen traut er sich aber nicht, am Ufer zu spielen, denn er kann nicht schwimmen. Kurz darauf sieht man seine Eltern panisch ans Ufer laufen, an dem der leblose Körper des Jungen liegt.

In Episoden setzt Xiaoshuai, der 2008 mit dem Familiendrama »In Love We Trust« den Silbernen Bären für das Beste Drehbuch gewann, in seinem diesjährigen Beitrag das Leben das Ehepaares zusammen. Da sind die glücklichen Jahre, in denen sie gemeinsam in einer Fabrik arbeiten und sich einen vertrauten Freundeskreis aufbauen konnten. Dann bekommen sie zeitgleich mit einem befreundeten Paar einen Sohn. Beide werden beste Freunde, wachsen wie Brüder auf und verbringen jede freie Minute miteinander – auch den verhängnisvollen Moment am Staudamm verbringen sie zu zweit. Doch zuvor noch wird Liyun ein zweites Mal schwanger. Das passt jedoch nicht zur Ein-Kind-Politik des Zentralkomitees, weshalb die junge Frau von ihrer Freundin und Vorgesetzten zur Abtreibung überredet wird. Gemeinsam mit dem späteren Verlust des Sohnes sind das die dramatischsten Einschläge im Leben der Familie. Doch mit der Schließung der Fabrik, einer verhängnisvollen Affäre, einem widerspenstigen Adoptivsohn und dem Verlust von Heimat und Zugehörigkeit kommen weitere hinzu.

Wang Xiaoshuai: So long, my son | © Li Tienan / Dongchun Films
Wang Xiaoshuai: So long, my son | © Li Tienan / Dongchun Films

Der chinesische Regisseur bindet in sein Drama immer wieder soziale Missstände ein, etwa den Wandel vom Kommunismus zum Raubtierkapitalismus, der auf dem Rücken der kleinen Leute ausgetragen wird, während die alten Kader zur neuen Boheme aufsteigen. Ähnlich wie Yang Chao die Zuschauer in seinem Drama »Crosscurrent« auf einem Boot durch Chinas Gesellschaft reisen ließ, erzählt Wang Xiaoshuai anhand des einfachen Lebens seiner Protagonisten von den Verhältnissen in China. Und die sind oft miserabel.

Zugleich zeigt er den beständigen Kampf von Yaojun und Liyun um Haltung und Würde, ganz egal, was ihnen widerfährt. Dass sein Film zu einem humanistischen Dokument eines einfachen Lebens wird, ist vor allem seinen beiden Hauptdarstellern Wang Jingchun und Yong Mei zu verdanken, die ihre Rollen so intensiv spielen, dass man jede ihrer inneren Regungen in ihren Gesichtszügen abzulesen meint. Es ist ein starker Eindruck, den beide in der Interpretation ihrer alternden Charaktere hinterlassen. Dass sie gemeinsam die Darsteller-Bären gewinnen, wie anno 2015 Charlotte Rampling und Tom Courtenay mit dem britischen Drama »45 Years«, ist jedoch nicht zu erwarten.

Chinesischer Thriller im Panorama

Neben Wang Xiaoshuai lief in der Sektion Panorama Lou Yes packender Thriller »The Shadow Play«. Auch er trägt das staatliche Gütesiegel, fehlende Kritik an den Zuständen in der Volksrepublik China kann man auch ihm nicht vorwerfen. Der Film handelt von Korruption und wirtschaftspolitischen Verstrickungen im Rahmen von Bauvorhaben in Guangzhou, einer prosperierenden Stadt im Süden Chinas. Alte Viertel werden hier abgerissen, neuer Wohnraum soll entstehen. Doch auch im Land der aufgehenden Sonne ist das kein vorwiegend soziales Projekt, sondern eines der Gentrifizierung. Kein Wunder, dass das einhellige Vorgehen von Staat und Investoren auf Empörung in der Bevölkerung stößt. Gleich zu Beginn kommt bei Protesten gegen die Baumaßnahmen der Direktor der städtischen Baudirektion ums Leben. Der junge Polizeibeamte Yang Jiadong, dessen Vater als Ermittler einen geradezu legendären Ruf genießt, übernimmt den Fall. Und gerät in den Abgrund der organisierten Kriminalität.

Lou Ye: The Shadow Play | © DREAM FACTORY
Lou Ye: The Shadow Play | © DREAM FACTORY

Lou Ye, der 2014 mit dem Drama »Blind Massage« erfolgreich im Wettbewerb vertreten war, setzt diese Geschichte geradezu klassisch in Szene, erzählt nicht chronologisch, sondern setzt Puzzlestück für Puzzlestück aufs Tableau, so dass sich erst nach und nach ein Bild ergibt. Das erschwert es ein wenig, der Geschichte zu Folgen, da man die zahlreichen handelnden Personen und ihre Verwicklungen zwischenzeitlich kaum mehr auseinanderhalten kann. Die Kamera bleibt immer nah bei der actionreichen Handlung, der Film schlägt den Zuschauer vollkommen in seinen Bann. Der Film erinnert in seinem gesellschaftskritischen Ton an den Gewinner des Goldenen Bären von 2014 »Schwarze Kohle, dünnes Eis«, ist stilistisch aber eher im Actionfilm als im Film Noir zuhause.

Unabhängig davon belegt er aber die Qualität des chinesischen Kinos, das mit den zwei mutmaßlichen Eingriffen der staatlichen Zensurbehörde schweren Schaden genommen hat.

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