Politik, Sachbuch

Die Zwangsläufigkeit der Krise

Nicht der Wertverlust des Euro gefährdet Europa, sondern die fehlende politische Bereitschaft, dem internationalen Finanzsystem neue Regeln zu geben.

Die Krise ist zurück. Der Euro ist in Bedrängnis und Europas Verantwortungsträger geraten in Panik: »Wenn der Euro scheitert, dann scheitert Europa, dann scheitert die Idee der europäischen Einigung«, dramatisierte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ist das beschlossene und milliardenschwere EU-Hilfspaket für Not leidende Euro-Mitglieder das letzte Aufbäumen der Europäischen Union? Steht die Staatengemeinschaft tatsächlich vor dem Aus?

Die erschienene Analyse der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise von Nouriel Roubini und Stephen Mihm mahnt zu Sachlichkeit. Die beiden Autoren zeigen in Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft, dass »Krisen keineswegs die Ausnahme sind, sondern die Regel«. Krisen seien deshalb keine unvorhersehbaren Ereignisse, sondern eher »Gewohnheitstiere« mit absehbarem Verlauf und bekannten Handlungsoptionen. Die Wirtschaftsgeschichte verlaufe daher naturgemäß wellenartig. Hochs und Tiefs wechseln sich mehr oder minder zwangsläufig ab, und Krisen sind unvermeidbar.

Das klänge fast zu lapidar, um es ernst zu nehmen, zeichnete sich mit Nouriel Roubini dafür nicht ein Finanz- und Wirtschaftsexperte von Großformat verantwortlich. Der Wirtschaftsprofessor beriet US-Präsident Bill Clinton in Wirtschafts- und Finanzfragen. Bereits 2006 hatte er die Finanzkrise kommen sehen, warnte vor dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Immobilienpreise und den fatalen Auswirkungen auf den globalen Finanzsektor. Roubini blieb ungehört – die Krise kam.

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Nouriel Roubini, Stephen Mihm: Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer und Petra Pyka. Campus Verlag 2010. 470 Seiten. 24,90 Euro. Hier bestellen

Mit seinem Co-Autoren, dem Journalisten Stephen Mihm, hat er nichts Geringeres als eine Wirtschaftskrisentheorie entwickelt. Das Autorenduo erforscht in seinem Buch die historischen Vorläufer für die jüngste Finanzkrise. Sie setzen sich mit den dabei entstandenen Krisenansätzen auseinander und picken sich aus diesen die sinnvollsten Elemente heraus, um so die Blaupausen für eine Krisen-Wirtschaftspolitik zu entwerfen, die nicht nur finanzpolitische Katastrophen zu überwinden, sondern künftige Wirtschaftsschocks auch zu verhindern sucht. Völlig undogmatisch haben sie aus so unterschiedlichen Ansätzen wie der Kapitalismuskritik von Karl Marx, der keynesianischen Fiskalpolitik und der Schumpeterschen »kreativen Zerstörung« eine Handlungsanleitung geschaffen, um Krisen zu meistern und Paniken am Markt, die den Zusammenbruch oftmals erst herbeiführen, zu verhindern.

Ohne Staat geht das nicht, so ihre Hauptthese. Die Hoffnung auf den stets sich selbst heilenden und gerechten Markt, wie sie die Chicago Boys um Milton Friedman mit ihrer Laissez-faire-Politik gepredigt haben, sei falsch. Zugleich erteilen sie der grenzenlosen Konjunkturpolitik à la Keynes, wie sie die Industriestaaten in den letzten zwei Jahren praktiziert haben, eine Absage. Die undifferenzierte Rettungspolitik der Konjunkturprogramme habe die Disziplin der Märkte untergraben und dazu geführt, dass wir uns »in der schlimmsten aller Welten« befänden. In dieser gehen gerettete Konzerne davon aus, auch in künftigen Krisen wieder staatliche Hilfe zu bekommen und zocken so ungehemmt weiter. Schlechte Banken und heruntergewirtschaftete Konzerne sollten aber nicht gerettet, sondern »kreativ zerstört« werden, fordern Roubini und Mihm. Unternehmen wie Lehman-Brothers oder Hypo Real Estate, die zu groß sind, um sie fallen zu lassen, gehören zerschlagen. Nur so könnten wieder klare Verhältnisse im verworrenen weltweiten Finanzsystem geschaffen werden.

An Ordnung habe es dort gefehlt. Nur deshalb konnten Hedgefonds und Rating-Agenturen mit ihren undurchsichtigen Finanzprodukten und mit eilfertiger Hilfe gieriger Investmentbanker ihr Unwesen treiben. Die längst überfällige Strukturreform des globalisierten Finanzmarkts ist bis heute ausgeblieben. Zweifelhafte Spekulationsinstrumente wie Derivate und Kreditausfallversicherungen befriedigen daher weiterhin die Gier der Banker und richten Milliardenschäden an. Besonders heftig sind die Konsequenzen derzeit in Europa zu spüren. Mit gigantischen Wetten gegen die europäische Währung haben Hedgefonds den Absturz des Euro mit verschuldet.

Die weltweite Finanzkrise infolge der Lehman-Pleite war das Vorspiel für die europäische Zwangslage. Die milliardenschweren Konjunkturprogramme hatten die ohnehin schon defizitären Haushalte vieler europäischer Staaten zusätzlich belastet. Der Wertanstieg des Euro gegenüber dem Dollar in den letzten zwei Jahren erhöhte die Schuldenlast weiter. Die so genannten PIGS (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien) stecken in großen haushaltspolitischen Schwierigkeiten. Nach Griechenlands Zusammenbruch könnten weitere Wetten gegen den Euro eine Abwärtsspirale auslösen, die Investoren dazu bringen könnte, ihre Gelder panisch aus den übrigen Krisengebieten der EU abzuziehen. Länder wie Spanien oder Portugal könnten aufgrund einer solchen Panik mit in den Abgrund gerissen werden.

Was wie eine Beschreibung des Ist-Zustands klingt, ist dem Werk beider Autoren entnommen. Ob Roubini damit erneut seinen Ruf als »Kassandra der Gegenwart« bestätigt, sei dahingestellt. Aber was tun, um diese Panik zu verhindern? Die Autoren empfiehlt gesamteuropäische Solidarität und Verantwortung; eine griechische Staatspleite müsse mit aller Kraft verhindert werden – das milliardenschwere Rettungspaket der EU ist ein Zeichen dafür. Zugleich warnen sie vor falschem Sparzwang – und könnten damit die Forderungen zur Finanzdisziplin einiger bundesdeutscher Politiker meinen. Würde Griechenland nicht gerettet, könnten auch die anderen Club-Med-Staaten ins Straucheln geraten und die Währungsunion wäre somit in Gefahr, prophezeit Roubini. Um der gemeinsamen Verantwortung für Europa endlich gerecht zu werden, sei eine »Vereinigung der Haushalte« überfällig, um künftige Exzesse und falsche nationale Finanzpolitiken zu verhindern. Die globalisierte Finanzwelt erfordert eine Politik, die nicht mehr national, sondern international denkt und bei Bedarf regulierend eingreift. Denn nach der Krise, ist vor der Krise.

Dieser Beitrag erschien in der Sonntagsausgabe der taz – die tageszeitung vom 7.6.2010.