Interviews & Porträts, Sachbuch

»Man muss ein homo politicus sein«

Es ist ein Abtritt auf Raten. Bevor Christoph Links in sein letztes Jahr als Verleger geht, hat er seinen vor 30 Jahren gegründeten Verlag noch bei Aufbau untergebracht. Ganz nebenbei wurde er von seinen Kolleg:innen noch zum Verleger des Jahres gekürt. Ein Gespräch über sein Erfolgsrezept, Versäumnisse der Wende und die Herausforderungen, einen Verlag in neue Hände zu übergeben.

Christoph Links, frisch gebackener Verleger des Jahres 2019. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Sehr viel, ehrlich gesagt. Weil es eine Wahl der Verlegerkollegen ist, also keine irgendwie zusammengesetzte Jury, sondern Kollegen, die wissen, was die anderen Kollegen jeweils zu stemmen und zu schaffen haben. Und weil es jetzt nach 25 Jahren das erste Mal ein ostdeutscher Verlag geworden ist. Das war, denke ich, überfällig und es hätte auch jemand anders sein können, aber es freut mich natürlich, dass jetzt auch dieser Landesteil wahrgenommen wird.

Macht Sie da ihre Entscheidung, sich aus dem Verlegerdasein zurückzuziehen, nicht ein bisschen wehmütig? Kommt man da noch einmal ins Schwanken?

Nein, also das nächste Jahr bin ich ja noch Verleger. Wir werden jetzt nach dem Umzug ins Aufbauhaus die Strukturen so anpassen, dass die Zusammenarbeit mit Aufbau gut funktioniert. Die Zukunft des selbst aufgebauten Unternehmens dann noch mitgestalten zu können, ist für mich eine interessante und wichtige Aufgabe. Aber das operative Geschäft kann ich dann gern Ende nächsten Jahres an meine jüngeren Kollegen übergeben. Wir haben mit Christof Blome, dem früheren Sachbuchchef des Rowohlt-Verlags, einen sehr guten Programmleiter, der das genauso gut weiterführen kann, wie ich das gemacht habe. Ich werde dann auf die Aufsichtsebene wechseln. Denn den Entschluss, zu Aufbau zu gehen, haben wir getroffen, weil Aufbau seine Verlag in eine unabhängige Stiftung überführen wird, so dass auch langfristig die Unabhängigkeit des Hauses gesichert ist. In dem Kuratorium der Stiftung werde ich dann ab 2021 mitarbeiten und kann so auch weiterverfolgen, wie sich die Entwicklung vollzieht. Das ist für beide Seiten eine gute Lösung.

Christoph Nübel (Hg.): Dokumente zur deutschen Militärgeschichte. 1945-1990. Bundesrepublik und DDR im Ost-West-Konflikt. 1.000 Seiten. 80,- Euro
Christoph Nübel (Hg.): Dokumente zur deutschen Militärgeschichte. 1945-1990. Bundesrepublik und DDR im Ost-West-Konflikt. 1.000 Seiten. 80,- Euro

In der Begründung zur Auszeichnung als Verleger des Jahres heißt es: »Er hat den Osten ernst genommen, jenseits von Ostalgie und anders als die Politik.« Fühlen Sie sich und Ihren Anspruch in dieser Beschreibung erkannt?

Ja durchaus. Wir sind ja nur drei Wochen nach dem Mauerfall als einer der ersten ostdeutschen Verlage überhaupt als Neugründung gestartet und haben nicht nur Aufarbeitung der DDR-Geschichte betrieben, sondern immer auch begleitet, wie die deutsche Einheit verläuft. Und wie der Osten im Westen ankommt, integriert und aufgenommen wird. Insofern haben wir den Osten bis in die Gegenwart hinein ernstgenommen und die Entwicklung hin zu einer gesamtdeutschen Perspektive unterstützt. Wir haben erst vor acht Wochen den ersten Band einer deutsch-deutschen Militärgeschichte veröffentlicht, so dass nicht mehr beide Seiten einzeln erzählt werden, sondern die Historiker den Versuch unternommen haben, mit einer Gesamtschau die Entwicklungsbereiche der beiden deutschen Staaten in den Blick zu nehmen. Nach 20 Bänden Stasi-Unterlagen sind wir jetzt bei Band 11 der BND-Aufarbeitung, also auch die Geheimdienst-Geschichte beleuchten wir von beiden Seiten. Insofern haben wir den Osten ernstgenommen, als dass wir wissen wollten, wie auch das Pendant im Westen jeweils dazu ausgesehen und funktioniert hat und wo die noch anstehende Defizite des Einigungsprozesses sind.

Wenn Sie die Defizite ansprechen: Überrascht Sie die gesellschaftspolitische Lage, in der wir uns befinden, oder haben Sie das kommen sehen?

In gewisser Weise war das abzusehen. Ich habe immer darauf verwiesen, dass die Verwerfungen vor allem im Prozess der wirtschaftlichen Einheit heruntergespielt wurden und zu wenig ernst genommen worden sind. Wir haben zu dem Thema auch eine ganze Reihe von Büchern gemacht. Vor 15 Jahren etwa den Band »Am Ziel vorbei«, wo wir eine Zwischenbilanz der Deutschen Einheit gezogen haben. Da wurde sehr deutlich, dass die politische Einheit sehr wohl geglückt und die kulturelle Einheit auf einem guten Weg ist, aber dass die wirtschaftliche Einheit nach wie vor ein großes Problem darstellt und dass hier eine entsprechende Förderung und Strukturpolitik erforderlich ist. Mir war klar, dass sich das schon vorhandene Frustpotential verfestigen und verhärten wird, wenn man entsprechende Maßnahmen nicht ergreift. Und dass es dann auch zu mitunter irrationalen Reaktionen kommen wird. Insofern überrascht mich die Entwicklung jetzt nicht völlig. Obwohl ich mir nicht vorgestellt habe, dass der Ausschlag nach rechts so stark und so extrem in bestimmten Bereichen ausfällt.

Wird die aktuelle gesamtgesellschaftliche Debatte vielleicht auch noch dadurch verstärkt, dass wir auf der einen Seite komplett durchsanierte ostdeutsche Städte haben, gleichzeitig aber die versprochenen blühenden Landschaften ausgeblieben sind?

Natürlich. Die blühenden Landschaften, die Kohl seinerzeit versprochen hat, sind äußere blühende Landschaften. Also die Städte sind saniert, die Märkte und Fassaden bunt angemalt, aber es gibt keine Arbeitsplätze. Die jungen Leute sind gegangen, auf den Straßen sind ein paar Rentner unterwegs und es gibt keine funktionierende vitale Zivilgesellschaft. Ein Problem des Vereinigungsprozesses ist bis heute, dass dieses völlig andere System, das anders organisiert war, nicht ernstgenommen wurde. Wenn ich die Großbetriebe plattmache – 80 Prozent der Industrie sind ja kaputtgegangen –, dann lege ich nicht nur einen Betrieb still, sondern dann ist das Kulturhaus tot, dann ist das Betriebsferienlager weg, der Jugendclub und auch der Sportverein. Der Betrieb war die zentrale gesellschaftliche Organisationseinheit im Osten. Wenn ich den abschaffe, produziere ich ein fehlendes soziales Umfeld. Eine neue Zivilgesellschaft entsteht nicht aus dem Nichts heraus, zumal wenn die aktiven jungen Leute auch noch wegziehen. Da haben wir eine Gesellschaftsstruktur im Osten, die sich substanziell von der im Westen unterscheidet. Gerade in einer Zeit neoliberaler Politik, in der sich der Staat immer mehr aus der Daseinsvorsorge zurückgezogen hat und betont, dass die dann zivilgesellschaftlich organisiert werden muss, war das natürlich verheerend. Die Zivilgesellschaft, die man aus dem Westen im Kopf hatte, gab es in der Form nicht. Insofern ist es an der Zeit, dass die Politik begreift, dass erwartet wird, dass für die Alltagsdaseinsvorsorge mehr getan wird und man zu den Leuten aufs flache Land muss. Dahin, wo lange kein Politiker mehr vorbeikommen ist, weil man sich auf die Leuchttürme konzentriert hat und auf die international ausgerichteten Großstädte. Da ist dann eben die AFD hingegangen und hat sich die Sorgen der Leute angehört. Wenn die Bahn nicht mehr kommt, wenn der Bus eingestellt ist oder nur noch als Schulbus fährt, wenn es im Landkreis keinen Facharzt mehr gibt und bestimmte Grundfunktionen nicht mehr gewährleistet sind, dann drückt sich die Unzufriedenheit mit der Politik eben in Protestwahlen aus. Das muss als Zeichen ausreichend sein, dass da endlich auch gegengesteuert wird.

»Der Betrieb war die zentrale gesellschaftliche Organisationseinheit im Osten. Wenn ich den abschaffe, produziere ich ein fehlendes soziales Umfeld.«
»Der Betrieb war die zentrale gesellschaftliche Organisationseinheit im Osten. Wenn ich den abschaffe, produziere ich ein fehlendes soziales Umfeld.«

Kommen wir auf den Verlag zurück. 30 Jahre Ch. Links Verlag: Worauf sind Sie im Rückblick besonders stolz?

Dass es dreißig Jahre geworden sind.

Was dachten Sie denn, wie lange Sie durchhalten?

Das war völlig offen. Wir sind ja mit DDR-Mark gegründet worden und haben noch im März 1990 auf der Leipziger Messe Lizenzen von Westverlagen gekauft und keiner konnte vorhersehen, wie schnell die Einheit kommt. Mit der Währungsunion war dann plötzlich der Ostmarkt weggebrochen, weil die Läden ihre Regale für die neue Westware freigeräumt haben. Von den rund 200 Neugründung, die es in diesem wunderbaren Jahr der Anarchie gegeben haben soll, ist vielleicht noch ein Dutzend übrig. Es war vollkommen ungewiss, ob man eine Überlebenschance hat, wenn man als kleiner neuer Ostverlag in den großen gesamtdeutschen Markt mit seinen an die 2.000 professionell agierenden Verlagen kommt. Wir haben uns aber von Anfang auf den Westmarkt ausgerichtet, hatten ein entsprechendes Vertriebssystem und Vertreter in den alten Bundesländern. Wir sind es ziemlich professionell angegangen, weil die drei Mitarbeiter, die damals beim Verlag waren, mehrheitlich Branchenerfahrungen hatten und aus anderen Verlagen kamen. Wir wussten schon, dass es nicht nur um interessante Inhalte geht, sondern auch darum, sie entsprechend zu verkaufen und in die Öffentlichkeit zu bringen. Wir haben mit viel Augenmerk für Vertrieb und Medienarbeit unseren Platz gefunden. Wir sind – Schuster, bleib bei deinen Leisten – immer ein Sachbuch-Verlag für Politik und Zeitgeschichte geblieben und eben nicht ins Kochbuch oder die Reise-Abteilung ausgewichen. Diese Schmalspur hat dazu geführt, dass wir ein Profil, eine Art Markenkern ausbilden konnten, mit dem man uns auch wahrgenommen hat.

30 Jahre ChLinks
Christoph Links: 30 Jahre Ch. Links Verlag. Eine Chronik. 376 Seiten. 10,- Euro

Wie wichtig war dabei die personelle Stabilität?

Sehr wichtig. Wir hatten immer professionell agierende Leute, die sich mit ganzer Kraft eingebracht haben. Wir waren alle immer festangestellt, hatten nie ein Modell mit vielen Freien oder Praktikanten. So sind wir ein Team von zehn, zwischenzeitlich sogar zwölf Leuten geworden, die einfach alle wussten, dass es um unseren Arbeitsplatz geht. Denn wir haben alles Geld, dass wir verdient haben, im Verlag gelassen. Auch ich habe nie etwas entnommen. Ich habe das gleiche verdient, wie die anderen Kollegen auch. Uns allen war klar, dass wir uns ein Weihnachtsgeld zahlen können, wenn wir es gut hinkriegen. Und wenn wir das nicht schaffen, müssen wir mit einem einfachen Gehalt im Dezember nach Hause gehen. Wir haben es auch nicht immer geschafft. In diesem Jahr hat’s mal wieder geklappt, im vorigen Jahr hat es nur für ein halbes Gehalt erreicht. Wir haben auch immer gemeinsam entschieden, welche Titel wir ins Programm nehmen und uns gemeinsam dafür eingesetzt. Es gab also nie Rivalitäten zwischen einzelnen Abteilungen. Und wenn ein Titel mal nicht so gelaufen ist, wie man sich das erhofft hat, dann hat nicht der eine mit dem Finger auf den anderen gezeigt, sondern dann haben wir gesagt, dass wir es gemeinsam nicht geschafft haben. Dann haben wir uns nochmal hingesetzt und überlegt, was man an Marketing noch zusätzlich machen können. Das Verlagsgeschäft ist ein riskantes Geschäft, deswegen gibt’s ja in der Regel auch kaum Bankkredite. Wir haben dann auf das System der stillen Teilhaber. Als private Darlehensgeber waren diese dann mit zweieinhalbtausend Euro, kleinen Summen, beteiligt. Wir waren von niemandem weiter einzeln abhängig und konnten immer frei agieren. Dadurch hat es dann am Ende geklappt und das freut mich natürlich.

War es mal richtig eng?

Ja, wir haben da auch immer transparent und offen drüber geredet. Wir haben mit dem letzten jetzt insgesamt vier Bücher zur Verlagsgeschichte publiziert und da auch über unsere wirtschaftlichen Ergebnisse berichtet. Wir hatten 1996 einen harten Einbruch, wo wir auch mal mit zwei Kollegen weniger gearbeitet haben. Die sind nach einem Jahr zurückgekommen, als es uns wieder besser gehen. 2002 als der Euro kam, hatten wir noch einmal so ein Einbruch und haben uns dann ganz gut stabilisiert auf rund anderthalb Millionen Jahresumsatz. Da bleiben dann am Ende mal eintausend, mal dreitausend und in guten Jahren auch mal zehntausend Euro übrig. Das ist natürlich für einen Bänker keine erstrebenswerte Umsatzrendite, aber das bedeutet für uns 50 spannende Bücher pro Jahr und für zehn Leute kleine, aber lebensfähige Gehälter. In diesem gemeinsamen Wollen, unsere Inhalte zu bewegen und unsere Arbeitsplätze zu verteidigen, haben wir uns meines Erachtens ganz gut geschlagen.

Wie viele Titel sind denn insgesamt in den letzten 30 Jahren erschienen?

Mit dem kommenden Frühjahrsprogramm kommen wir an die 1.100 Titel von über 1.500 Autoren heran. Wir haben mehr Autoren als Titel, weil wir viele Sammelwerke mit mehreren Autoren haben. Das war für mich natürlich auch eine Verantwortung und Verpflichtung, wenn man selbst aufs Rentenalter zugeht und nicht bis zum Umfallen arbeiten will. Ich bin ja als Autor Verleger geworden und will selbst auch noch einmal schreiben, also war klar, zu meinem 65. Geburtstag muss eine Lösung her.

Die Lösung heißt jetzt Aufbau. Wie ist es dazu gekommen?

Das war nicht so einfach. Es ist in diesen Zeiten nicht so leicht, jemanden zu finden, der sagt, »Ja, ich stemme das alleine, ich trage das wirtschaftliche Risiko, ich übernehme die juristische und die personelle Verantwortung und übernehme auch die selbstschuldnerische Bürgschaft für den Kontokorrentkredit…« – also für all das, was man sich über die Jahre aufgeladen hat. Denn in Zeiten eher schrumpfender Printmärkte sind jüngere Leute verständlicherweise vorsichtig. Drei Mal haben uns die designierten Nachfolger gesagt, dass sie gern die Programmleitung übernehmen, sich aber nicht für alles mit Haut und Haaren verpflichten wollen. Also haben wir nach einer Lösung gesucht, wo wir den Verlag als ein bestehendes Gebilde weiter führen können. Und da ist der Aufbau-Verlag auf uns zugekommen, der mit einer Insolvenz ja auch eine bewegte Geschichte hinter sich hat. Unter den neuen Eigentümern ist der Verlag dann gut durchstrukturiert worden und seit drei Jahren auch wieder wirtschaftlich erfolgreich. Aufbau ist jetzt in der Wachstumsphase, will im Sachbuch wachsen und sagte dann, dass sich das eigene und unser Programm ideal ergänzen. Man hat uns zugesichert, dass wir mit eigenem Label, der bestehenden Mannschaft und weiteren Existenzgarantien kommen können. Durch die Absicht, die Verlage in eine Stiftung einzubringen, ist auch langfristig die Selbständigkeit des Verlages gesichert.

Das heißt, der Verlag bleibt eigenständig und wird nicht zu einem Imprint von Aufbau?

Im Moment ist der Verlag noch eine selbständige Legaleinheit, also eine eigenständige juristische GmbH, soll aber im Verlauf des nächsten Jahres in den Aufbau-Verlag und mit dem Aufbau-Verlag in die Stiftung integriert werden. Als eigenständiges Label soll Ch. Links aber weiter existieren, mit einem eigenständigen Programm, seinem Profil und der eigenen Mannschaft.

Was heißt das für die Mitgliedschaft des Verlags in der Kurt Wolff Stiftung?

Leider können wir nicht Mitglied der Stiftung bleiben, weil eine Grundbedingung der Mitgliedschaft in der Kurt Wolff Stiftung ist, dass man ein unabhängiger Verlag ist. Mit der Übernahme letztes Jahr durch den Aufbau Verlag ist das nicht mehr gegeben. Aus dem gleichen Grund durften wir auch nicht beim Deutschen Verlagspreis mitmachen, den Monika Grütters erstmals an unabhängige Verlage bis zu einem Umsatz von drei Millionen Euro verliehen hat.

Hans-Hermann Hertle: Chronik des Mauerfalls. Die dramatischen Ereignisse um den 9. November 1989. 360 Seiten. 18,- Euro
Hans-Hermann Hertle: Chronik des Mauerfalls. Die dramatischen Ereignisse um den 9. November 1989. 360 Seiten. 18,- Euro

Welche Titel sind Ihnen besonders wichtig? Gibt es einen einzelnen, der heraussticht?

Es gibt Titel, die inhaltlich sehr wichtig waren, andere, die wirtschaftlich sehr wichtig waren und es gab Lieblinge, die einem am Herzen liegen, auch wenn sie es wirtschaftlich nicht geschafft haben, sich zu amortisieren. Ein Titel, der sich langfristig sehr gut behauptet hat, ist Hans-Hermann Hertles »Chronik des Mauerfalls«, die seit 25 Jahren nonstop bei uns lieferbar und inzwischen in der 13. Auflage ist. In diesem Herbst haben wir es nochmal unter dem Titel »Sofort, unverzüglich« neu strukturiert und um neue Erkenntnisse ergänzt noch einmal rausgebracht. Von der Neuausgabe drucken wir gerade auch schon die dritte Auflage. Also dieser Titel hat inhaltlich viel bewegt und ist auch wirtschaftlich ertragreich. So ein Titel liegt einem als Verleger natürlich am Herzen. Und dann gibt’s aber auch Bücher, die man inhaltlich liebt, die es aber nicht in der Gunst des Publikums geschafft haben. Etwa »Das rebellische Wort«, eine Übersetzung aus dem Englischen mit sechs Autoren, unter anderem mit Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka, in dem es um die Frage geht, was Literatur heute noch gesellschaftlich bewegen kann. Davon haben wir keine 100 Stück verkauft. Solche Titel bleiben auch besonders in Erinnerung, weil man viel Kraft und Geld investiert hat. Aber auch, weil man es inhaltlich wichtig findet. Ich bin ja seit 25 Jahren beim PEN engagiert, kümmere mich um verfolgte Autoren und bin in der IG Meinungsfreiheit beim Börsenverein aktiv. Da blutet einem das Herz besonders, wenn so ein Titel aus wirtschaftlichen Gründen scheitert.

Zuletzt hatten Sie einige Titel, die wichtige Debatten angestoßen haben.

Genau das ist unser Anspruch. Das ist uns im letzten Jahr mit dem Buch »Integriert doch erstmal uns. Eine Streitschrift für den Osten« von Petra Köpping gelungen. Sie geht darin der Frage nach , warum die Nachwende-Ungerechtigkeiten, die es im Zuge des wirtschaftlichen Einigungsprozesses gegeben hat, bisher nicht öffentlich verhandelt werden. Etwa, dass die Betriebsrenten von den Reichsbahnern und vielen anderen Betrieben bis heute verschwunden sind. Die Leute haben da eingezahlt und nie etwas ausgezahlt bekommen. Sie fragt, warum Frauen, die in der DDR geschieden worden und sich mit wenig Geld für verkürzte Arbeit durchschlagen mussten, keinen Rentenanspruchsausgleich bekommen. Oder warum mehrere Dutzend Berufsgruppen im Vereinigungsprozess Nachteile erlitten haben. Über diese Fragen ist nicht geredet worden. Oder dass diejenigen, die ewig umgeschult wurden und sich neu erfinden mussten, zwischenzeitlich in einem Ein-Euro-Job oder einer ABM-Maßnahme waren, jetzt eine kleine Rente haben. Was in denen auch an Verletzung sitzt? Oder was das mit Menschen macht, wenn ein gestandener Diplom-Ingenieur plötzlich an Haustüren Versicherungen verkaufen soll. Diese Fragen betreffen all das, was immer unter dem Begriff »Anerkennung der Lebensleistungen« läuft. Was in diesen Biografien an Anpassungsfähigkeit und Transformationskraft steckt. Dass das nicht gewürdigt wird und viele sogar als die jammernden Schwach-Ossis abgetan werden, muss die Leute frustrieren und führt zu Verbitterungen. All das spricht Köpping in ihrem Buch an. Wir haben davon in einem Jahr fünf Auflagen verkauft, dass hätte ich nie vermutet. Sie hat ganz offensichtlich für viele Menschen einen Nerv getroffen, nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch im Westen, weil man dort wissen wollte, warum im Osten die AfD-Zahlen so hoch sind.

Petra Köpping: Integriert doch erst mal uns! Eine Streitschrift für den Osten. 208 Seiten. 18,- Euro
Petra Köpping: Integriert doch erst mal uns! Eine Streitschrift für den Osten. 208 Seiten. 18,- Euro

Wenn ich es richtig erinnere, hat noch nie ein Buch aus Ihrem Verlag einen der großen Literaturpreise gewonnen. Enttäuscht Sie das?

Nein, denn viele unserer Autoren haben andere Preise bekommen, vom Hamburger Bibliothekspreis bis zum Wirtschaftsbuch oder Wissenschaftsbuch des Jahres. Da sind auf verschiedenen Ebenen durchaus Preise zusammengekommen. Das freut mich natürlich für unsere Autoren. Und auch wir als Verlag sind ja gewertschätzt worden, sowohl durch den Kurt-Wolff-Preis 2016 als auch durch die Auszeichnung meiner Person als Verleger des Jahres.

Was ist das Erfolgsrezept Ihres Verlags?

Man muss einen Nerv für die Probleme der Gesellschaft haben. Den muss man ausbilden. Das kann man tun, indem man unendlich viel in der Gesellschaft unterwegs ist. Sprich: nicht nur viel Zeitung lesen und Medien konsumieren, sondern auf die Leute zugehen. Wir machen im Jahr 200 bis 250 Veranstaltung mit unseren Büchern. Im Sachbuch sind das ja keine klassischen Lesungen, sondern Diskussionsabende. Der Autor stellt kompakt die Kernthesen seines Werkes vor und geht dann mit dem Publikum in die Diskussion. Da kommen sehr viele Dinge hoch, da muss man erspüren, was virulent ist. Hilfreich ist auch die Mitarbeit in gesellschaftlichen Gremien. Ich war im Beraterstab des Bundeswirtschaftsministeriums für den Mittelstand, ich war im Aufsichtsrat der Frankfurter Buchmesse, ich war in Gremien beim PEN und im Börsenverein und und und. Man muss wirklich ein homo politicus sein, wenn man ein politisch-zeitgeschichtliches Sachbuchprogramm machen will.

Das heißt, Sie setzen Ihre Themen selbst?

Wir arbeiten so gut wie nie mit Autorenagenturen. Wenn ich immer nur am Schreibtisch sitzen und darauf hoffen würde, dass andere mir etwas anbieten, dann kriege ich schwer ein eigenes Profil hin, denn dann wird mir heute dieses und morgen jenes angeboten. Mindestens die Hälfte unserer Bücher entstehen auf der Grundlage unserer Ideen. Da gehen wir auf Autoren zu und fragen, ob sie zu dem Thema X oder dem Thema Y etwas schreiben wollen. Für unseren aktuellen Titel »Betriebsstörung. Das Chaos bei der Bahn und die überfällige Verkehrswende« sind wir zum Verkehrsclub Deutschland gegangen und haben gefragt, welcher der dortigen Fachjournalisten dazu etwas machen kann. So haben wir mit Thomas Wüpper den Experten auf dem Gebiet gefunden, der mit uns zusammen das Buch entwickelt hat. Und dieses selbst aktiv sein, selbst ein Gespür für die Probleme der Gesellschaft haben, um für diese Partner zu suchen und zu binden, ist wichtig, um ordentliche Sachbücher zu machen. Aber wenn ich selbst ein Gespür für die Vorgänge in der Gesellschaft habe und weiß, was an Diskussionsstoff ansteht, dann kann ich auch selbst dazu aktiv auf Autoren zugehen. Und genau das war unser Weg.

Thomas Wüpper: Betriebsstörung. Das Chaos bei der Bahn und die überfällige Verkehrswende. 264 Seiten. 15,- Euro
Thomas Wüpper: Betriebsstörung. Das Chaos bei der Bahn und die überfällige Verkehrswende. 264 Seiten. 15,- Euro

Was heißt das für die Zusammenarbeit mit den Autoren?

Man muss mit den Autoren ihre Themen meist noch einmal umarbeiten und in ein Sachbuch für ein größeres Publikum verwandeln. Denn im Sachbuch sind die Autoren entweder Journalisten oder Wissenschaftler. Die einen haben tiefgründig recherchiert und mehr Material, als sie auf einer Zeitungsseite unterbringen können. Die anderen haben jahrelang geforscht und wollen ihre Erkenntnisse nicht nur in der Wissenschaftsedition mit kleiner Auflage unterbringen. Mit beiden muss man intensiv zusammenarbeiten, auf sie zugehen und respektieren. Dann wird man auch weiterempfohlen.

An Ihrer neuen Verlagstür ist zu lesen »Über unsere Bücher lässt sich streiten«. Ist es das, was Sie wollen? Streitschriften verlegen?

Wir wollen die gesellschaftliche Diskussion befördern. Wir legen es nicht auf Streit an, aber wir wollen, dass die Probleme der Gesellschaft nicht verdrängt, sondern offen ausgesprochen und diskutiert werden. Das hat mit einem alten DDR-Impuls zu tun. Ich habe ja auch mal als Journalist gearbeitet, bis mich die Stasi da 1986 vor die Tür gesetzt hat. Dieses über bestimmte Themen nicht reden oder die Sachen schön reden, sollte es nicht noch mal geben. Das war immer mein Ansatz. Dazu gehört eben auch, dass man Dinge aushalten muss. Dass andere bestimmte Dinge anders sehen. Und dass es Kontroversen gibt. Da muss man dann auch bereit sein, juristische Konsequenzen zu tragen, etwa wenn einen völkische Siedler oder Rechte vom Land mit Klagen oder Abmahnung überziehen. Das gehört dann eben dazu, das muss man aushalten und mit seinen Autoren gemeinsam durchstehen.

Wenn Ihnen vor fünf Jahren jemand gesagt hätte, dass Sie von der Kanzlei, in der der ehemalige Verfassungsschutzpräsident aktiv ist, mit Klagen überzogen werden, hätten Sie das geglaubt?

So konkret nicht, aber dass der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge ziemlich blind war, wissen wir seit langem. Wir haben das in mehreren Büchern thematisiert. Der Verfassungsschutz sollte ein Frühwarnsystem der Demokratie sein, um zu sehen, wo sich gefährliche Entwicklungen zusammenbrauen. Dieser Funktion als Frühwarnsystem kommt er im rechten Bereich seit langem schon nicht mehr nach. Das haben wir mit dem Buch über die Reichsbürger nachgewiesen, das haben wir anhand der Identitären belegt und schon in »Neonazis in Nadelstreifen« deutlich gemacht. Insofern wundert es mich nicht, dass Herr Maaßen bei einer Kanzlei in Köln angeheuert hat, die auch die AfD vertritt und die uns gerade mit einer ganzen Serie von Abmahnung überzogen hat.

Völkische Landnahme
Andrea Röpke, Andreas Speit: Völkische Landnahme. Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos. 208 Seiten. 18,- Euro

Es geht dabei um das Buch »Völkische Landnahme« von Andrea Röpke und Andreas Speit. Wie steht es um das Buch?

Erfreulich gut. Nachdem im September diese juristischen Angriffe kamen, war gerade die erste Auflage ausverkauft. Wir haben damals absehen können, dass sich die juristische Klärung über viele Monate hinziehen würde. Wir haben daher die zweite Auflage insofern modifiziert, als dass wir die Beispiele, die wir hatten, um die Unterwanderung von rechts auf dem Lande zu belegen, mit zwei neuen Beispielen versehen haben. Die Beispiele, die strittig waren, haben wir erst einmal rausgelassen. Nun ist die zweite Auflage verkauft und inzwischen ist in vier von fünf Fällen von der anderen Seite kein juristischer Vorgang mehr anhängig. Wir haben uns geweigert, Änderungen vorzunehmen und die andere Seite ist gerichtlich nicht mit ihren einstweiligen Verfügungen durchgekommen. In den Fällen sind wir also auf der sicheren Seite. Im fünften Fall sind wir in zweiter Instanz beim Kammergericht und haben die zweite Schutzschrift erarbeitet und hinterlegt. Wir erwarten in den nächsten Wochen die Entscheidung darüber, ob unsere Darstellung, die in der ersten Instanz in allen 15 Punkten zu unseren Gunsten ausgefallen ist, auch in der zweiten Instanz bestätigt wird. Die Autoren arbeiten bereits an der dritten Auflage, die im Januar ausgeliefert werden soll. Da wollen wir die vier Beispiele, in denen wir Rechtssicherheit haben, wieder aufnehmen, beim fünften warten wir die Entscheidung ab.

Was bedeutet so ein Rechtsstreit mit Verkaufsstopp für den Verlag? Ist das vielleicht sogar hilfreiche Werbung?

Nein, denn in vielen Fällen werden rechtliche Streitigkeiten ja gar nicht bekannt. Das ist einfach nervig, aufwendig und zeitintensiv. Man steht auch unter großem Stress, weil die gegnerische Seite einem oft nur drei bis fünf Tage Zeit lässt, um vielfältig darzulegen, worauf sich unsere Aussagen stützen. Da muss das Zusammenspiel mit den Autoren auch sehr gut funktionieren. Das ist bei Andreas Speit und Andrea Röpke zum Glück der Fall. Wenn dann darüber berichtet wird, kann es hilfreich sein, aber das muss auch nicht der Fall sein. In dem aktuellen Fall sind auch nicht wir damit nach vorn gegangen, sondern wir haben uns erst dazu erklärt, als es schon öffentlich war. Wir haben auch bis heute keinen Kläger namentlich genannt, aber mussten natürlich erklären, warum das Buch plötzlich nicht mehr lieferbar ist. Das bindet unendlich viele Kräfte. Ich bin über zwei bis drei Wochen zu nichts anderem mehr gekommen. Das kann man kurz vor der Buchmesse gar nicht gebrauchen. Aber hier hat sich gezeigt, dass wir aus den Auseinandersetzungen über die Jahre gelernt haben und wissen, was es zu beachten gilt. In keinem Punkt mussten wir bisher etwas korrigieren, weil wir sehr gründlich im Lektorat sind. Daran haben wir auch hart gearbeitet. Nach der Feuertaufe vor 25 Jahren, als uns die Scientologen über fünf Landgerichte gescheucht haben, haben wir uns presserechtlich und persönlichkeitsrechtlich fit gemacht, um mit den Autoren und gegebenenfalls anwaltlicher Beratung die Dinge auch wasserdicht zu bekommen.

Sie kamen vor dreißig Jahren, als Sie den Verlag gründeten, vom Aufbau-Verlag, jetzt zieht der Verlag wieder unter dessen Dach. Ist das auch ein Stück Heimkehr?

Ja, das ist ein Stück Heimkehr. Als ich damals aus der Berliner Zeitung weg musste, trat ich eine Assistenzstelle in der Geschäftsleitung des Aufbau-Verlags an. Ich habe dort die Leitungsprotokolle geschrieben und Reden für den Verleger vorbereiten dürfen – all das, was man so in dieser Funktion macht. Ich durfte auch im Verlagswesen nichts werden, das wollte die Kaderkommission des Zentralkomitees so. Deshalb hatte ich von mir aus schon im Sommer 1989 gekündigt, um Ende 1989 auszuscheiden. Dass dann die Revolution justament im Oktober kam und im November endlich die Zensur fiel, war einfach eine glückliche Konstellation, so dass ich unverhofft mit dem eigenen Verlag starten konnte.

Was hätten Sie denn sonst gemacht?

Sonst hätte ich als freier Journalist und Autor im Sachbuch zu Lateinamerika gearbeitet. Insofern bin ich damals ohne Groll und guter Dinge von Aufbau weggegangen und habe immer Kontakt gehalten. Es gibt bis heute Kollegen dort, mit denen ich damals zusammengearbeitet habe. Auf die neue Zusammenarbeit freue ich mich auch.

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Christoph Links: Das Schicksal der DDR-Verlage. Die Privatisierung und ihre Konsequenzen. 352 Seiten. 25,- Euro

Die Kurt Wolff Stiftung hat kürzlich Alarm geschlagen, die Lage der Unabhängigen Verlage sei 2019 noch ernster als 2018. Was erwarten Sie für die Branche 2020? Was müsste sich tun, was erhoffen Sie sich.

Ich erhoffe mir, dass wir Vertriebsstrukturen erhalten können, die auch die Vielfalt des Angebots abbilden. Das ist ein Problem nicht nur unsere Branche, sondern eines der gesamten Medienlandschaft. Die Zeitungszustellung ist teuer. Sowohl da als auch bei uns gibt’s einen Konzentrationsprozess. Dem Buchhandel ist durch die KNV-Insolvenz im letzten Jahr eines der beiden großen Barsortimente – oder Zwischenbuchhandlung, wie es bei uns so schön heißt – fast verloren gegangen. Der andere große Partner Libri ist gerade dabei, seine Programmtitelvielfalt zu reduzieren. Die Verunsicherung ist also groß. Dabei haben wir in Deutschland sehr gute Rahmenbedingungen. Denn wir haben den festen Ladenpreis, der es uns ermöglicht, dass noch viele unabhängige Buchhandlungen existieren. Dieses dichte Netz »geistiger Tankstellen«, wie Günter Grass das mal genannt hat, ist hier noch am Leben. Wir haben im Vergleich zu anderen Ländern etwa in Amerika eine wunderbare Buchhandelslandschaft. Damit die auch mit allen Titeln in ihrer Vielfalt bedient werden kann, brauchen wir Zwischenhändler, die diese Vielfalt abbilden. Diese Zwischenbuchhandlungen bekommen einen höheren Rabatt als die normalen Buchhändler, weil sie eben das Hintergrundlager des Einzelbuchhandels sind. Aber ausgerechnet diese Zwischenbuchhandlungen sind gerade dabei, die Vielfalt durch eine starke Aussortierung von weniger schnell drehenden Titeln zu gefährden. Ich habe Sorge, dass die Konzentrationsprozesse auf der Vertriebsseite dazu führen, dass wir dieses tolle vielfältige Angebot, das wir haben, nicht mehr an die Leser vermittelt bekommen. Oder dass das nur noch über den Internetbuchhandel geht, wie es in anderen Branchen inzwischen schon der Fall ist. Das wäre eine wirkliche Verarmung.

Wie kann diese Verarmung denn verhindert werden?

Da sind wir alle gefragt, nicht nur die Kurt Wolff Stiftung, sondern auch der Börsenverein als Berufsorganisation. Unter seinem Dach sind der herstellende Buchhandel, also die Verlage, der Zwischenbuchhandel, das sind diese großen Vertriebsorganisationen, und der verbreitende Buchhandel, damit meine ich die einzelnen Buchhandlung selbst, versammelt. Ich hoffe, dass man sich in dieser einheitlichen Organisation zusammenrauft, um dieses tolle System, das wir haben, zu verteidigen und die geistige Vielfalt zu erhalten.

Halten Sie es für wahrscheinlich, dass das passiert?

Ich hoffe es. Ich bin nicht mehr in den aktuellen Leitungsstrukturen integriert. Gerade gab es einen Wechsel an der Führungsspitze mit einer unabhängigen Verlegerin als neuer Vorsteherin. Aber ich habe die Hoffnung und Erwartung, dass da auch die notwendige Energie und Kraft reingesteckt wird, damit wir dieses tolle Systeme halten können.

Als Verleger wollen Sie sich jetzt zurückziehen? Was heißt das, wenn ein umtriebiger Literaturmensch wie Sie Rückzug ankündigt?

Gegensteuern
Gustav A. Horn: Gegensteuern. Für eine neue Wirtschaftspolitik gegen Rechts. 240 Seiten. 20,- Euro.

Es gibt mehrere Projekte, die auf mich warten. Da ist zum einen natürlich das Kuratorium der Aufbau Stiftung, in dem ich mitarbeiten werde. Dann werde ich an der ostdeutschen Verlagsgeschichte weiter arbeiten. Ich habe ein eigenes, schon länger angefangenes Projekt, nämlich die Geschichte der verschwundenen Verlage der DDR. Die DDR hat unter der sowjetischen Besatzung vergleichsweise breit aufgestellt mit mehr als 200 lizensierten Verlagen begonnen, und am Ende waren nur noch 78 übrig. Wo sind also die anderen 120 Verlage geblieben, und warum sind sie verschwunden? Und dann ist da noch das Großprojekt der Historischen Kommission des Börsenvereins zur Geschichte des ostdeutschen Buchwesens. Das wird als großes zweibändiges wissenschaftliches Werk bei De Gruyter erscheinen. Da gehöre ich zu den Herausgebern und habe auch ein halbes Dutzend eigene Texte zu schreiben. Darum will ich mich auch verstärkt kümmern. Und dann werde ich mich beim PEN wieder stärker engagieren und gegebenenfalls im Präsidium mitarbeiten, um mich für verfolgte Autoren in der Welt einsetzen zu können.

Werden Sie das aus Ihrem Büro hier im Verlag machen oder werden Sie das Ende 2020 wirklich räumen?

Ich räume das. Ich bin dann wirklich weg. In einem Jahr wird mein Zimmer von meinem Nachfolger übernommen, und ich werde von zu Hause aus agieren. Ich habe da eine ganz gut sortierte Bibliothek zur Mediengeschichte, sodass ich von da aus auch gut arbeiten kann. Im Digitalzeitalter ist das ja ohnehin kein Problem.

Gibt es Bücher, auf die sich im nächsten Jahr freuen?

Natürlich gibt es die. Ich kenne noch nicht die Programme der anderen Verlage, die Flut der Vorschauen wird erst in der Weihnachtswoche kommen und dann schaue ich natürlich wie immer zuerst bei den Verlagen, die ähnliche Programmprofile haben: C.H. Beck in München, Fischer in Frankfurt, Westend… und da bin ich gespannt, was die Kollegen anbieten. Bei uns gibt’s im Frühjahr neben politisch wichtigen Büchern zwei Titel, auf die ich mich besonders freue. Michael Seemann beschäftigt sich mit dem Plattformkapitalismus und der Macht der Internetgiganten und Gustav A. Horn legt mit »Gegensteuern« ein Plädoyer gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik vor. Und im Herbst werde ich hoffentlich noch zwei Bücher zu Themen der Zeit mit den beiden Autoren machen, mit denen ich am längsten zusammenarbeite. Das sind Christoph Dieckmann von der Zeit und Alexander Osang vom Spiegel. Das ist mein Wunsch für das letzte, von mir mitverantwortete Programm, dass die Autoren, die uns über so viele Jahre treu begleitet haben, auch mit neuen interessanten Büchern bei uns zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit vertreten sind.

Christoph Links, ich wünsche Ihnen ein erfolgreiches letzten Verlegerjahr. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.