Comic

Neue Frisur, neue Probleme

Riad Sattouf schreibt die Erinnerungen an seine Kindheit im Nahen Osten fort. Die Naivität seines kindlichen Alter Egos weicht mehr und mehr dem skeptischen Blick des Heranwachsenden, was angesichts der zunehmend existenzielleren Herausforderungen aber auch dringend nötig ist.

Was bisher geschah: Riad ist ein engelsgleicher Junge, der mit seiner französischen Mutter und seinem syrischen Vater, einem promovierten Historiker, zwischen Frankreich und dem Nahen Osten pendelt. Die Gründe dafür sind vielfältig: zum einen interessiert sich keine französische Uni für die Expertise des Vaters, zum anderen kann er in Syrien oder in Libyen, wo er zwischenzeitlich auch tätig ist, seinen drei Kindern – vor allem aber seinem Ältesten Riad – die ihm vertraute Kultur nahebringen. Dabei treten natürlich diverse Schwierigkeiten auf, sei es im Verhältnis zu seiner aufgeklärten Frau – der nicht nur die ärmlichen Verhältnisse aufs Gemüt schlagen, sondern angesichts der Pascha-Allüren ihres Mannes auch regelmäßig der Kragen platzt – oder im permanenten Clash der Erwartungen zwischen Vater und Sohn, zu dem es immer wieder kommt. Die Widersprüche, die zwischen gezeichneter (erlebter) und gesprochener (versprochener) Wirklichkeit sichtbar werden, sind immer wieder höchst komisch – vielleicht auch, weil sie bislang keine existenziellen Formen angenommen haben (Hier mehr zu Band 1, Band 2 und Band 3).

Dies ändert sich nach der Hälfte von Sattoufs Kindheitserinnerungen »Der Araber von morgen«, von denen nun Band vier und fünf vorliegen. Sie setzen im Jahr 1987 ein und unser sympathischer Held ist inzwischen neun Jahre alt. Die Sattoufs leben in Frankreich, als Vater Abdel einen Lehrauftrag in Saudi-Arabien annimmt. Ausgerechnet Saudi-Arabien, auch damals schon eines der konservativsten arabischen Länder der Welt. Für Riads Mutter kommt es nicht infrage, dass sie ihm mit den Kindern folgt. »DAS IST DAS SCHLIMMSTE LAND DER WELT«, macht sie gleich auf der ersten Seite deutlich.

Die Familie lebt also erst einmal getrennt, der Vater in Saudi-Arabien, wo er sich dem Islam zuwendet, Riads Mutter bleibt mit den Kindern in Frankreich. Doch schon bald geht es gemeinsam nach Syrien, weil es Riads Großmutter schlecht geht. Aus einem Sommer wird schließlich ein monatelanger Aufenthalt, so dass Riad auch wieder in die syrische Schule muss. Viel schlimmer als dieser Ort der Brutalität sind aber die Cousins von Riad, die in die Welt setzen, dass er ein Jude sei und den Zehnjährigen damit zur persona non grata machen. Diese Episode ist sprechend, das Thema des muslimischen Antijudaismus gewinnt insgesamt an Bedeutung. Die Intifada in Palästina lässt nämlich auch Riads Vater nicht unberührt, der jede historische Bildung und Rationalität fahren lässt, sobald es zum Thema kommt.

Riad Sattouf: Der Araber von morgen. Eine Kindheit im Nahen Osten (1987-1992). Aus dem Französischen von Andreas Platthaus. Penguin Verlag 2019. 288 Seiten. 26,00 Euro. Hier bestellen.

Letztendlich endet diese Episode in einer Flucht, weil Abdel Sattouf aufgrund eines nie angetretenen Militärdiensts in seiner Heimat polizeilich gesucht wird. Die Familie fliegt also zurück nach Frankreich, der Vater schlägt sich über den Landweg nach Saudi-Arabien durch, wo er weiter an der Uni lehrt. Riad wird nun in der Bretagne in die Schule gehen und man spürt dem jungen »Araber von morgen« die Erleichterung an, nicht mehr die syrische Schule besuchen zu müssen.

Zugleich zieht der Zeitgeist in die Comicerzählung ein, immer öfter tauchen Bezüge zu Musik, Kino und Technikkultur auf. So erhält der beginnende Einzug des Computers in die Kinderzimmer der westlichen Welt hier eine kleine Sonderrolle. An die Stelle des abwesenden Vaters treten zudem zwei andere Männerfiguren: Riads leiblicher Großvater – ein fordernder Narziß – sowie der neue Partner seiner Großmutter – ein liebevoller Mann von Welt. Sie führen ihn heran an die Welt der Erwachsenen und stärken ihn in seinem Wunsch, Künstler zu werden, der nach der Entdeckung der visionären Arbeiten von Enki Bilal, Philippe Druillet und Moebius (in Band fünf) nicht mehr zu bändigen sein wird.

Von seinem Vater bekommt Riad am Telefon zu hören, dass er als Ältester nun Verantwortung übernehmen muss. Zunehmend taucht auch die Forderung auf, mehr auf seine Mutter zu achten – nicht weil die zunehmend in eine Depression rutscht, die schließlich in einer schweren Erkrankung mündet, sondern um als verlängerter Arm des Vaters Kontrolle auszuüben. Es sind solche kleinen Signale, mit denen der mehrfach preisgekrönte französische Zeichner den kulturellen Graben andeutet, der sich am Ende des vierten Bandes unüberbrückbar durch die Ehe der Sattoufs zieht.

Weil auch Riad älter wird und mehr von der Welt versteht, werden auch die Erinnerungen politischer. Nationalismus, Chauvinismus und Ressentiments spielen in den Vater-Sohn-Gesprächen eine immer größere Rolle. Dazu tragen auch die Ereignisse im Nahen Osten und Saddam Husseins panarabische Vision bei, von der Abdel Sattouf begeistert ist. Zur Differenzierung ist der Vater kaum noch in der Lage, was sich auch in der Ehe spiegelt. Die einst witzigen Konflikte über Erziehung, Verantwortung und das Leben allgemein bekommen eine Unversöhnlichkeit, die die Eheleute Sattouf unaufhaltsam auseinander treibt.

In Abwesenheit des im Nahen Osten lehrenden Vaters tritt dennoch mehr und mehr die einsetzende Pubertät in den Vordergrund. Witze in der Klasse, das Kräftemessen unter den Jungs, Nerdwissen und sein zeichnerisches Talent beschäftigen den Heranwachsenden. So wird er etwa für seinen Namen gehänselt. Wie FAZ-Redakteur Andreas Platthaus diesen Wortwitz ins Deutsche rettet, indem er Sattouf mit Saudoof assoziiert, ist à la bonheur. Dazu kommt, dass der Blondschopf, der inzwischen die gleiche Popperlocke trägt wie sein Vater, in Frankreich nicht als Araber durchgeht, und in der Schule eher zu den Sonderlingen zählt. Aber immerhin weiß er mit seinen Zeichnungen zu beeindrucken.

Riad Sattouf: Der Araber von morgen. Eine Kindheit im Nahen Osten (1992-1994). Aus dem Französischen von Andreas Platthaus. Penguin Verlag 2021. 184 Seiten. 24,00 Euro. Hier bestellen.

In die vertieft er sich, je mehr die Ehe seiner Eltern in Schieflage gerät. Am Ende von Band vier stellt seine Mutter bei einem Einkauf lapidar fest, dass sie besser ohne als mit dem Vater zurechtkommen. Das lässt sie den auch spüren, als er infolge eines Krankenhausaufenthalts von Riads Mutter nach Frankreich kommt. Der fasst heimlich einen Plan und am Ende des vierten Bandes, der nicht nur doppelt so umfangreich, sondern auch doppelt so spannend ist, macht er sich mit Riads kleinem Bruder Fadi aus dem Staub.

Es ist nichts anderes als eine veritable Entführung, die da als Cliffhanger zu Band fünf dient, der dieser Tage erschienen ist. Und – soviel sei schon verraten – auch noch im sechsten Band eine Rolle spielen wird. Riads Vater will damit seine Frau unter Druck setzen, die aber nur umso energischer die Scheidung vorantreibt. Denn solange das Sorgerecht nicht allein bei ihr liegt, kann niemand des Vaters habhaft werden.

Riad – inzwischen 14 Jahre alt – werfen diese Ereignisse in vielfacher Hinsicht aus der Bahn. Sie beeinflussen seinen normalen Alltag in der Schule und wirken sich vor allem auf das Bild aus, das er von seinem Vater hat. Immer wieder reflektiert er die letzten Tage mit ihm und stellt sich die Frage, ob er etwas hätte merken können.

Zugleich wird die Kindheitsgeschichte nun von den Erinnerungen eines Teenagers abgelöst, der immer mehr darauf achtet, was die Mädchen in seinem Umfeld tun, wie sie auf ihn reagieren und welchen Eindruck er bei ihnen hinterlässt. Das ist insofern mit Gewinn zu lesen, als dass man »Esthers Tagebücher« daneben legen kann, in denen Sattouf das Heranwachsen eines Mädchens aus seinem Umfeld im Jahresrhythmus begleitet. Davon ist gerade Band Fünf erschienen, der Esthers Leben als 14-Jährige in den Blick nimmt.

Dass seine Erinnerungen und Esthers Heranwachsen fast parallel laufen, ist kein Zufall. Als er mit der Tochter von Bekannten vor fünf Jahren anfing, über ihre Kindheit zu sprechen, war das für ihn, »als hätte mir ein Außerirdischer von seinem Leben auf einem anderen Planeten erzählt. Mir wurde bewusst, dass mir dieses Universum, von dem ich da hörte, vollkommen fremd war. Und außerdem war es wie ein Echo dessen, was ich gerade bei der Beschreibung meiner Kindheit noch einmal durchmachte. Da habe ich mir gedacht, es könnte doch in jeder Hinsicht spannend sein, ausgehend von den Erzählungen dieses Mädchens einen Comic zu machen«, erinnerte sich der Comiczeichner im Gespräch. »Und so hat das dann alles angefangen. Ich habe dann beschlossen, unsere beiden Kindheiten nebeneinander zu legen.« Dabei werden nicht nur die Unterschiede des Aufwachsens vor und nach der Erfindung des Internets sichtbar, sondern auch die unterschiedlichen Perspektiven der Geschlechter.

Die Gleichzeitigkeit von existenzieller Sorge und jugendlichem Erwachen prägt den fünften Band von Riad Sattoufs »Der Araber von morgen«. Es ist faszinierend, dass diese Erzählung eines Heranwachsenden, die inzwischen fast 1.000 gezeichnete Seiten füllt, in ihrer Faszination nicht nachlässt. Sie lebt anhaltend vom sprühenden Witz, der im Zusammenspiel aus Wort und Bild entsteht. Dem Franzosen gelingt es, die zunehmend dramatische Gestalt der Erzählung in Bilder zu packen, ohne stilistische Abstriche machen zu müssen. Die Naivität der Zeichnungen, die pointierte Kolorierung und die humorige Leichtigkeit bleiben erhalten. Die wichtigste Änderung erfolgt in einem Detail: das Erstaunen des kindlichen Riad über die sich ihm bietende Wirklichkeit wird vom kritischen Blick des Heranwachsenden abgelöst. Hatte ihn das Verhalten seines Vaters bislang aus kognitiven Gründen fassungslos gemacht, sind es nun emotionale Gründe, die ihn sprachlos machen. Ohne jeden Bruch hat Sattouf diese Bedeutungsverschiebung in seine mehrfach preisgekrönte Comic-Geschichte gebracht, die hier eine grandiose Fortsetzung erfährt. Nun heißt es, geduldig sein, bis der abschließende sechste Band dieser bewegenden Erzählung erscheint.

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