Literatur, Sachbuch

Helle Bücher für dunkle Stunden

Der Preis der Leipziger Buchmesse stellt Bücher ins Schaufenster, die von leiser Ironie, beißendem Humor, schelmischem Witz und sprühender Erkenntnis leben.

Der Preis der Leipziger Buchmesse, dessen Preisträger:innen im vergangenen Jahr noch im Rahmen einer Radiosendung bekannt gegeben wurden, ist in diesem Jahr bei einer digitalen Veranstaltung aus der Messehalle am Zoo vergeben worden. Die Jury vor Ort, die Nominierten an ihren Geräten – mit Ausnahme der 97-jährigen Friederike Mayröcker –es ist eine ungewohnte, aber in die Zeit passende Situation. Erstmals ist es so aber möglich, allen Nominierten ins Gesicht zu sehen, als die Namen der Preisträgerinnen dieser ermutigend weiblichen Preisverleihung verlesen wurden.

Zum zweiten Mal nach 2017 wurden gingen alle drei Preise an Frauen. Iris Hanika, Heike Behrend und Timea Tankó können sich über die Auszeichnung freuen. So hat sich die Jury für ein literarisches Spiegelkabinett entschieden, alle drei ausgezeichneten Bücher setzen sich mit Spiegelungen der Wirklichkeit auseinander. Iris Hanikas Roman »Echos Kammern« geht den narzisstischen Spiegelungen der Instagram-Welt auf den Grund, Heike Behrends »Menschwerdung eines Affen« spiegelt sich, ihre Disziplin und das Menschsein als solches und Timea Tankós Übertragung von Miklós Szentkuthys »Apropos Casanova« spiegelt in Kommentaren die Memoiren Casanovas.

Der Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik, der heimliche Hauptpreis der Messe, geht in diesem Jahr an Iris Hanika für Ihren Roman »Echos Kammern«. Der Berlinerin war die Überraschung sichtlich anzumerken, mit Judith Hermann, Helga Schubert, Friederike Mayröcker und Christian Kracht hatte sie auch starke Konkurrent:innen. Und doch konnte sich ihr mythen- und anspielungsreicher Großstadt- und Liebesroman gegen deren Werke durchsetzen, in dem es nur so vor sich hin »blitzt und spiegelt und experimentiert«. Sie spielt darin mit dem Mythos von New York, von Echo und Narziß (in der Reihenfolge!) und dem Mythos, dass die Kunst alle Unterschiede beiseite wischen könne. »Als eine der eigensinnigsten Stimmen der deutschen Gegenwartsdichtung, die mit brutal klarem und unverschämten Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse schauen kann. Und dann wieder unheimlich erheitert. Iris Hanika übt in aller Virtuosität ihre Sprachexperimente aus und ja, sie hat diebische Freude daran, dass sie das jeden Moment den Roman kosten könnte. Eben dieses riskante Schreiben zeichnet sie aus«, lobte die Jury. Im vergangenen jahr erhielt Lutz Seiler für »Stern 111« die Auszeichnung.

Den Sachbuch-Preis der Leipziger Buchmesse, der in diesem Jahr durch einen Deutschen Sachbuchpreis Konkurrenz bekommt, verleiht die Jury um Jens Bisky an Heike Behrend für ihr Buch »Menschwerdung eines Affen. Eine Autobiografie der ethnografischen Forschung«. Damit geht Leipzig der Konkurrenz etwas aus dem Weg, denn die in Stralsund geborene Ethnologin und Afrikanistin ist auch für den ersten Deutschen Sachbuchpreis 2021 nominiert. Da darf man schon die Frage stellen, ob man hier bewusst den Affront gesucht hat, dem neuen Preis zuvorzukommen.

Was ausdrücklich nicht die Preiswürdigkeit des ausgezeichneten Titels infrage stellen soll, der gleich mehrfach aufs Ganze gehe, wie Andreas Plathaus für die Jury begründete. »Es gehört viel Selbsterkenntnis dazu, sich erkannt zu fühlen. Menschwerdung eines Affen, … legt Zeugnis davon ab, dass Heike Behrend diese Befähigung besitzt. Und mit ihrer Betrachtung der Betrachter ihrer selbst als Betrachterin gewinnt sie auch eine Perspektive auf die eigene Kultur – sowohl verstanden als nationale wie als disziplinäre.« Das Buch sei eine »ebenso köstliche wie kostbare Lektüre, die unsere Horizonte weit verschiebt, ohne dabei eine politische Agenda vermitteln zu wollen. Es ist geboren und geschrieben aus der Emphase für die Gemeinsamkeit dessen, was Menschsein ausmacht: die Überwindung von Vorurteilen. Solchen seiner selbst über andere und solchen anderer über einen selbst. Es ist ein erhellendes Buch in diesen sich verdunkelnden Zeiten.«

Der Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung geht an die Leipziger Übersetzerin Timea Tankó. Sie hat den ebenso wilden wie amüsanten, ambitionierten wie versierten, (selbst)ironischen wie eloquenten, zeitgemäßen wie anachronistischen Kommentar »Apropos Casanova« des Ungarn Miklós Szentkuthy (1908 – 1988) ins Deutsche übersetzt. Der ungarische Romancier György Dalos beschreibt ihn in seinem Nachwort als »literarischen Sonderling à la Proust oder Joyce«. Dieser Sonderling ergründet hier die Memoiren des berühmt-berüchtigten venezianischen Schürzenjägers. Man merkt diesem durch Weltliteratur, Kunstgeschichte, Musik und Philosophie fliegenden Gedankengebäude die Lust am intellektuellen Spiel an.

Die Jury lobte sein Werk »Apropos Casanova« als ein »ein ganz unwirkliches Buch«, weil man kaum sagen könne, »worum es sich bei diesem Prosawerk überhaupt handelt«. Möglicherweise schaffe es seine eigene Kategorie, die des »Apropos«. Tankós deutsche Fassung werde »der intellektuellen Beweglich-, ja Quirlichkeit Szentkuthys absolut gerecht, dank ihr gerät man unweigerlich in den Sog seiner kapriolenhaften Gedankenflüge – und ohne, dass einem flau dabei wird.«

Flau waren die Reaktionen schon bei Bekanntgabe der Shortlist. Insgesamt wurde zwar die bunte Mischung begrüßt, allerdings vermissten Literaturkritiker:innen Werke, die stärker die Gegenwart in den Blick nehmen. Ulrich Pelzers aktueller Roman »Das bist Du«, Raphaela Edelbauers »Dave« oder Deniz Ohdes »Streulicht« wurden schwer vermisst. Auch die Vielfalt in der Literaturszene fand in der Nominierungsliste keinen Niederschlag, weder Sharon Dodua Otoos neuer Roman »Adas Raum« noch Shida Bazyars »Drei Kameradinnen« fanden sich dort wieder.

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