Literatur, Roman

Mythen in Tüten

Iris Hanika lässt in ihrem kunstvoll verdichtetem Roman »Echos Kammern« eine nicht mehr ganz junge Künstlerin zwischen New York und Berlin nach sich selbst suchen. Dabei gerät sie an einen attraktiven Studenten, dem nicht nur sie verfällt. Die Lektüre dieses kenntnisreichen Romans verändert die Perspektive auf wichtige Fragen der Gegenwart.

»Echos Kammern« lautet der schlichte Titel des neuen Romans der Berliner Schriftstellerin Iris Hanika, der vom Roman selbst eine abgrundtiefe und vielfältige Bedeutung erhält. Denn er spielt nicht nur auf die Echokammern an, in denen sich der moderne Mensch via App immer wieder verliert, sondern auch auf den Mythos des schönen Jünglings aus Ovids Metamorphosen, der in seiner Selbstverliebtheit nicht nur sich, sondern auch zahlreiche Nymphen mit in den Tod riss. Die berühmteste davon ist Echo, von Juno verdammt, nur noch die letzten Worte wiederholen zu können, die sie gehört hatte.

In die Rolle dieser Nymphe springt in Hanikas Roman die Lyrikerin Sophonisbe, die in Berlin lebt und nach ihrem viel beachteten Lyrikdebüt »Mythen in Tüten« nun überlegt, zur deutlich erfolgreicheren Prosa zu wechseln. Dieser Wechsel ist nicht nur finanziell begründet, sondern auch figurativ, er gehört zur Selbstsuche, auf der so viele Irrende im Großstadtdschungel permanent sind. Auch Sophonisbe, die sich selbst verortet, indem sie alles beobachtet, beschreibt und bewertet.

Die Suche nach dem neuen Ich spiegelt Hanika sprachlich, indem sie ihre Erzählerin in einer Kunstsprache sprechen lässt, die bereits die Berliner Dichterin Uljana Wolf (bei der sich die Erzählerin auch brav bedankt) in dem Gedichtband »Meine schönste Lengevitch« verwendet hat. Dieses Idiom geht auf den Deutsch-Amerikaner Kurt M. Stein zurück und laut angesprochen klingt die Mischung aus Deutsch und Englisch an. Language wird zu Lengevitch – the most beautiful language trifft auf die schönste Sprache der Welt, so die Grundidee. Hanika treibt dieses Sprachspiel noch etwas weiter und hat Sophonisbes Erzählung mit vielerlei anderen Sprachen und Sprachfärbungen ausgeschmückt. »Questa Belleza Giovana Era Sophonisbes guide into the great Veränderung von der Lyrik zur Prosa. Ein Klangteppich aus Sprache, ein Signal für Vielfalt und Kosmopolitismus, wie es die Bohême in Metropolen wie Berlin und New York für sich in Anspruch nehmen. Das ist nicht nur anspruchsvoll, sondern immer wieder auch höchst komisch.

Iris Hanika: Echos Kammern. Droschl Verlag 2020. 240 Seiten. 22,00 Euro. Hier bestellen.

Als sich ein verflossener Liebhaber und dessen Frau aus New York bei ihr ankündigt, schlägt sie vor, die Wohnungen zu tauschen, um der schmerzhaften Begegnung mit der alten Liebe aus dem Weg zu gehen. Also reist sie nach New York, was Erinnerungen an ihre Abschlussarbeit weckt, die sie über den Großstadtroman überhaupt – John Dos Passos’ »Manhattan Transfer« – geschrieben hat. In New York lässt sie sich treiben, erkundet alte Pfade und neue Wege und landet schließlich bei einer Party, die die Sängerin Beyoncé schmeißt. Auf diesem Fest der inszenierten Schönheit lernt sie den jungen Studenten Josh kennen, der an einer Doktorarbeit über die ukrainische Nationalbewegung im frühen 19. Jahrhundert schreibt. Sophonosbe ist aber weniger von diesem Thema als vielmehr von diesem Mann eingenommen, der unverkennbar der Narziß in dieser Geschichte ist.
Der Roman wäre eine Farce, würde er jetzt schlicht zu einer tragischen Liebesgeschichte abgleiten. Hanika weiß das, sie kennt die literarischen Echokammern, in denen sie sich hier bewegt, zu gut. Sie spielt geschickt mit den Mitteln des Großstadt- und Liebesromans, ohne in Anspielungen und Referenzen zu ersticken.

Der zweite Teil des Romans spielt im gentrifizierten Berlin, wo Sophonisbe nach Vermittlung ihrer New Yorker Freunde bei der vermögenden Künstlerin Roxana unterkommt, die wie sie ihr Jugend bereits hinter sich gebracht hat. Deren Verhältnis gerät so richtig in Schwingung, als Josh für ein paar Wochen bei ihnen einzieht und beide Frauen auf ihre je eigene Weise in den Bann zieht. Dass er ihnen keinerlei Avancen macht und ganz bei sich selbst bleibt, macht ihn zum Wiedergänger der mythischen Vorlage.

Die in die Jahre gekommenen Nymphen verhandeln nun am Küchentisch ihre Begeisterung für dieses unwirkliche Kerlchen, das all ihre Aufmerksamkeit bekommt, ohne dass er sich dafür interessiert. In diesen Dialogen liegt die besondere Komik dieses Romans, mit dem Hanika stilsicher die Abgründe der Instagram-geblendeten Gegenwart ausleuchtet. »Es geht um die Frauen«, heißt es da etwa, »um die Zurichtung der Frauen, denen in einem fort gesagt wird, daß sie nicht schön genug seien. Und das hat ja jetzt auch schon auf die Männer übergegriffen, die machen den ganzen Scheiß jetzt ja auch schon mit. Als wäre Schönsein das Wichtigste auf der Welt.«

Es sind solche spitzen Kommentare auf die Wirklichkeit, die Hanikas Roman zu einem so lesenswerten Vergnügen machen. Zumal Roxana ständig die Frage nach »communicado – incommunicado« stellt, also nach dem Gelingen und Scheitern von Kommunikation in einer Welt, in der Bilder und Emojis als Seelenspiegel vermeintlich mehr Bedeutung haben als die Sprache selbst. »Das Drama des schönen Menschen hat mit Spiegeln nichts zu tun. Es geht ja nicht darum, sich selbst zu sehen, es geht darum, was die anderen sehen.«

In einer solchen Welt gilt es natürlich immer, den Schein zu wahren, auch wenn man das eigene Spiegelbild längst nicht mehr ohne Filter ertragen kann. Da wird die Liebe zum Wahn und die Unfähigkeit des Miteinanders zum beachtenswerten Kunstprojekt. Genau das startet Roxana schließlich auch, um ihr sinnloses Begehren für den nicht erreichbaren Josh in New York aller Welt als intellektuell durchdrungen und überwunden vorzuführen. »Sie würde an allen Orten, von denen sie aus Sophonisbes Berichten wußte, daß er, also ER einmal dort gewesen war, wenn auch nicht mit ihr, sondern mit Sophonisbe, sie würde einfach an allen diesen Orten Selfies anfertigen, um zu dokumentieren, wie blöd und häßlich sie war. Sie würde den Wahn niederringen, indem sie dokumentierte, wie blöd er war und wie häßlich.«

Iris Hanikas Roman »Echos Kammern« ist ein kluges und amüsantes Vexierspiel mit den Wünschen und Begehrlichkeiten unserer Zeit. Die Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse schriebt die Erfolgsgeschichte fort, die mit der Auszeichnung mit dem Hermann-Hesse-Literaturpreis im vergangenen Jahr begann. Der Text greift ebenso die Sehnsucht nach ewiger Jugend wie auch die nach absoluter Erfüllung auf und verändert die Perspektive auf wichtige Fragen der Gegenwart.

»Bei dieser Gelegenheit sei hier, nur mal so nebenbei, gefragt: wenn jeder Traum eine Wunscherfüllung ist, was bedeutet es dann, wenn man sich an seine Träume nicht erinnert? Will man dann von seinen Wünschen nichts wissen? Oder hat man vielleicht gar keine?« Solchen und anderen lebensklugen Fragen sowie dem Echo, dass sie in einem auslösen, kann man in diesem kenntnisreichen Großstadtroman wunderbar nachspüren.

4 Kommentare

  1. […] schwebender Ton findet sich auch in »Daheim« wieder. Viel direkter ist die Verbindung zwischen Iris Hanikas »Echos Kammern« und zu John Dos Passos, auf dessen Roman »Manhattan Transfer« sich die Erzählerin ihres Romans […]

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