Comic

»Bleib ein Optimist!«

Der französische Comiczeichner Riad Sattouf öffnet seinen Lesern die Augen für die wirklich wichtigen Dinge. Dabei helfen ihm die kindlichen Perspektiven seiner gezeichneten Heldinnen und Helden. Im Interview spricht er über seine Arbeit und was ihn motiviert.

Riad Sattouf, warum thematisieren Sie in Ihren Album so oft die Kindheit und Jugend. Was fasziniert Sie an dieser Phase?
Ich versuche, nicht zu viel nachzudenken und die Dinge zu intellektualisieren. Als Leser begeistern mich Reiseberichte und für mich sind »Esthers Tagebücher« oder »Der Araber von morgen« Reiseberichte aus einem fernen Land, aus der Welt der Kindheit, von der wir alle meist falsche und vereinfachende Vorurteile haben. Ich finde es schon immer spannend, in eine Welt einzutauchen, von der ich so gut wie nichts weiß. Und die Welt aus der Sicht eines kindlichen Autors zu beschreiben, gibt mir die Möglichkeit, einige Absurditäten aus der Welt der Erwachsenen zu offenbaren.




Riad Sattouf: Der Araber von morgen, Band 3. Eine Kindheit im Nahen Osten (1985 – 1987). Aus dem Französischen von Andreas Platthaus. Knaus Verlag 2017. 152 Seiten. 19,99 Euro. Hier bestellen

Ihre Comics sind immer komisch und ironisch. Ist es einfacher, sich der Wirklichkeit über die Ironie anzunähern oder fehlt es Ihnen einfach an Ernsthaftigkeit? Und welche Rolle spielt Religion für Sie?
Ich bin nicht gläubig und es auch nie gewesen. So einfach ist das. Das Gefühl, das ich am schönsten finde, ist das der Freude, des Lächelns. Das heißt, ich glaube, dass ich das am meisten schätze, aber ich selbst tue mich mit dem Lachen schwer. In der Öffentlichkeit bin ich eine ziemliche Niete. Mich selbst zum Lachen zu bringen ist eine echte Herausforderung, es ist eine Qual. Ich brauche Humor, ich halte nach ihm Ausschau, versuche ihn zu übertragen, um all die verschiedenen Arten des Lachens hervorzukitzeln, das leise Gickeln, das schallende Gelächter, das angewiderte Lachen, das verlegene Kichern, das rachsüchtige Lachen und so weiter. Ich möchte fast immer auf Humor zurückzugreifen, wenn ich über ernste Dinge spreche, weil das die Gefühle noch einmal verstärkt.

Einige Monate vor dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo haben Sie Ihre Zusammenarbeit mit dem Magazin beendet. Ihre ehemaligen Kollegen Luz oder Catherine Meurisse haben aus ihren Erlebnissen Comicalben gemacht. Hat Sie das nie interessiert?
Ich gehörte nie zur Redaktion von Charlie Hebdo! Ich habe an einem Comic gearbeitet, das »Das geheimnisvolle Leben junger Menschen« heißt und anhand typischer Alltagssituationen auf der Straße Situationen aus dem Leben von Jugendlichen nacherzählt. Diese Arbeit war nie an irgendeine Gegenwart gekoppelt. Ich könnte schlicht und ergreifend kein Comic über diese Ereignisse machen. Es wäre für mich viel zu schwer, über den Anschlag zu sprechen. Ich habe mir aber tatsächlich auch noch nie die Frage gestellt, ob ich darüber eine Geschichte machen möchte – und ich glaube, dass ich das auch künftig nicht machen werde.

Wie ist ihr Bezug zu Charlie Hebdo heute?
Ich lese die Zeitschrift nicht mehr. Die Menschen, die ich dort kannte, sind alle tot und ich bin nicht mehr der, der ich mal gewesen bin.

Riad Sattouf: Esthers Tagebücher 1: Mein Leben als Zehnjährige. Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt 2017. 56 Seiten. 20,00 Euro. Hier bestellen

Mit «Esthers Tagebüchern« haben Sie ein Langzeitprojekt in Angriff genommen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen und was machen Sie eigentlich, wenn ihre Protagonistin eines Tages keine Lust mehr auf Sie und das Projekt hat?
Alles hat 2014 angefangen, als ich gerade mit «Der Araber von morgen« angefangen und in meine Kindheitserinnerungen eingetaucht bin. In dieser Zeit lief mir die Tochter eines befreundeten Pärchens über den Weg. Ich hatte die Familie schon lange nicht mehr gesehen. Das Mädchen war inzwischen zehn Jahre alt und begann, mir von ihrem Alltag in der Grundschule zu erzählen. Wir sprachen über ihre Lieblingsmusik, was sie an Jungs cool fand und was blöd und so weiter… Das war für mich, als hätte mir ein Außerirdischer von seinem Leben auf einem anderen Planeten erzählt. Mir wurde bewusst, dass mir dieses Universum, von dem ich da hörte, vollkommen fremd war. Und außerdem war es wie ein Echo dessen, was ich gerade bei der Beschreibung meiner Kindheit noch einmal durchmachte. Da habe ich mir gedacht, es könnte doch in jeder Hinsicht spannend sein, ausgehend von den Erzählungen dieses Mädchens einen Comic zu machen. Sie hat keine wirklichen Probleme, lebt in Paris, ihre Eltern sind weder arm noch reich, sie ist recht hübsch und in der Schule beliebt. Sie war für mich wirklich wie ein Wesen von einem anderen Stern. Und so hat das dann alles angefangen. Ich habe dann beschlossen, unsere beiden Kindheiten nebeneinander zu legen. Und wenn Sie eines Tages keine Lust mehr hat und aufhören möchte, dann hören wir eben auf. Aber im Moment sieht es nicht danach aus, es läuft sehr gut.

Folgen Sie in Ihren Comics einem inneren Vorsatz?
Probiere immer, das Positive in allen Dingen zu sehen. Und trotz allen Gründen, die dagegen sprechen mögen: Bleib ein Optimist.

Riad Sattouf: Esthers Tagebücher 2: Mein Leben als Zehnjährige. Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt 2017. 56 Seiten. 20,00 Euro. Hier bestellen

Sie haben mit »Das geheimnisvolle Leben junger Menschen« und dem Film »Jungs bleiben Jungs« zwischen 2006 und 2014 schon viele Erfahrungen in der Erkundung des Seelenlebens junger Menschen gemacht. Inwiefern sind diese Erfahrungen in ihre neuen Arbeiten eingeflossen? Oder waren Sie nicht viel wert, weil die Jugendlichen heute mit den Jugendlichen vor zehn Jahren nicht zu vergleichen sind?
Es gibt eine Gemeinsamkeit in meiner und in Esters Kindheit, die mich wirklich überrascht hat, weil es dafür offenbar vollkommen egal ist, ob man auf eine etwas gehobenere Schule mitten in Paris geht oder ob man in den Achtzigern eine Schule in Syrien besucht: die Beziehungen zwischen den Kindern sind in verblüffend gleicher Weise vom Patriarchat bestimmt. Die Jungs spielen Fußball nur untereinander, ohne mit den Mädchen zu sprechen, und die Mädchen stehen in ihrer Ecke und finden die Jungs blöd. Wir haben all diese glasklaren Geschlechterstereotypen im Kopf, zumindest wenn es nach Esther geht. Was sich in meinen Augen unterscheidet, ist das Verlangen nach diesem Fremdkörper, den alle kaufen wollen: ich meine das Mobiltelefon, dass ihr die Möglichkeit gibt, sich mit anderen Jugendlichen auszutauschen. So ein Ding gab es in meiner Zeit einfach nicht, das war wirklich absolute Science Fiction. Und dann ist da auch dieser unerforschte Planet namens Internet, ein weiteres Instrument, das die mentale Geografie ausweitet und mir nicht zur Verfügung stand.

Sie spielen immer wieder mit sozialen Rollen, sei es in »Der Araber von morgen« oder in ihrem Spielfilm »Jacky im Königreich der Frauen«. Worum geht es Ihnen dabei? Um Provokation oder Aufklärung?
Weder noch. Es geht mir um eine Art der persönlichen Erforschung. Ich interessiere mich sehr für Ethik und Moral anderer Leute, dafür, wie die Erziehung und Bildung aus jungen Menschen Erwachsene formt. Man sagt immer, dass Bildung das wichtigstes für junge Menschen ist. Ich stimme dem unumwunden zu, aber über welche Art der Bildung sprechen wir dabei? Es gibt eine unendliche Menge an verschiedenen Bildungsmethoden. Was führt dazu, dass man von anderen Jungen auch als Junge oder von anderen Mädchen als Mädchen bezeichnet und angenommen wird? Das sind Fragen, die ich mir in diesen Kontexten immer stelle.

Mit ihrer Serie »Pascal Brutal« haben Sie eine ultra-liberale Variante von Frankreich geschaffen. Sie zeichnen darin eine anti-feministische, anti-humanistische und unsolidarische Welt, in der der Stärkere gewinnt. Inwiefern erinnert Sie diese vor Jahren geschaffene Welt an das Frankreich von heute.
«Pascal Brutal« habe ich 2004 gezeichnet, damals waren Frankreich und die Welt anders als sie es heute sind. Mein Ziel damals bestand darin, in einem postapokalyptischen Comicband all die (neo)liberalen Auswüchse auf die Spitze zu treiben und die Exzesse aufzuzeigen. Als Inspiration dienten mir damals all die kleinen italienischen Mad-Max-Nachahmer. Inzwischen denke ich manchmal, dass sich die Welt zu einem schlimmeren Ort entwickelt hat, als der, den ich es mir in meinen schlimmsten Albträumen vorstellen kann.

4 Kommentare

  1. […] Hinsicht spannend sein, ausgehend von den Erzählungen dieses Mädchens einen Comic zu machen«, erinnerte sich der Comiczeichner im Gespräch. »Und so hat das dann alles angefangen. Ich habe dann beschlossen, unsere beiden Kindheiten […]

  2. […] Die Abnabelung ist entsprechend schwierig, zumal der junge Student voller Unsicherheit steckt. In seiner gefängnisähnlichen Erdgeschoßbude in Paris suchen ihn Depressionen heim, immer wieder strecken ihn Migräneanfälle tageweise ins Bett. Er braucht also dringend Hilfe. Immerhin: Die Therapeutin rät ihm, sich auf Sehschwäche testen zu lassen. Ein sehr guter Tipp, denn die neue Brille beendet die Migräneanfälle. Und auch sonst tut ihm die Therapie gut. Irgendwann ist tatsächlich des Vaters Stimme aus dem Kopf verschwunden, und Riad wird zunehmend glücklicher. […]

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