Comic

Prähistorische Superhelden

Der Weltbestseller »Eine kurze Geschichte der Menschheit« wurde in einen kurzweiligen Comic übersetzt, der nicht nur in Schulen die Vermittlung historischen Wissens revolutionieren könnte. Dass er dabei auch noch dem Genre Comic alle Ehren erweist, spricht für sich.

Der Israeli Yuval Noah Harari gehört zu den renommiertesten Historikern der Gegenwart. In über 50 Sprachen sind seine Bestseller übersetzt, seine Geschichtsbücher werden millionenfach verkauft. Geschichtsbücher! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Keine Thriller, Krimis oder Science-Fiction-Romane, sondern Geschichtsbücher. Populärwissenschaftlich sind sie, das schon, aber deshalb nicht weniger lesenswert. Ganz im Gegenteil. Denn Hararis deutschsprachiges Debüt »Eine kurze Geschichte der Menschheit« wurde gerade dank ihres populärwissenschaftlichen Zugriffs zu einem internationalen Bestseller.

Und nun wird aus dem populären Geschichtsbuch ein Stück Populärkultur, denn aus dem Sachbuch hat der Israeli gemeinsam mit dem belgischen Szenaristen David Vandermeulen und dem französischen Zeichner Daniel Casanave einen unterhaltsamen Comic gemacht. »Sapiens. Der Aufstieg« ist der Auftakt einer geplanten Tetralogie, im vergangenen Herbst erschienen, und leistet etwas, das zwar selbstverständlich klingt, aber nicht selbstverständlich ist. Obwohl und weil er sein Sujet nicht zu ernst nimmt, vermittelt dieser Comic unheimlich viel Wissen. Ob Schüler:in, Student:in, Berufstätige oder wissbegierige Pensionär:innen – für alle hat dieser Comic etwas zu bieten. Das findet hier Erwähnung, weil der Sachcomic oftmals unter zu hoher Textlast und/oder einfallsloser Grafik leidet, was die jungen Leser:innen ebenso abschreckt wie erfahrene Comic-Aficionados. Das, soviel sei vorausgeschickt, ist hier nur bedingt der Fall, wenngleich auch »Sapiens. Der Aufstieg« ordentlich Text mit sich herumschleppt.

Yuval Noah Harari: Sapiens. Der Aufstieg. Illustrationen von Daniel Casanave und David Vandermeulen. Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. Verlag C.H. Beck. 248 Seiten. 25,00 Euro. Hier bestellen.

Aber dieser Comic hat auch einiges zu leisten. Denn Harari verfolgt in seinem Weltbestseller die Menschheitsgeschichte anhand vier maßgeblicher Revolutionen nach: der kognitiven, der landwirtschaftlichen, die soziale und die wissenschaftlich-digitale Revolution, in der wir uns aktuell befinden. Den Kultstatus erhielt das Buch, weil er dies mit sehr gegenwärtigen Mitteln macht, etwa weil er die Bedeutung von Klatsch und Tratsch für die menschliche Vergemeinschaftung herausarbeitet, um daran zu zeigen, welch einmalige Kraft die Fiktion für den Aufstieg des Menschen zur einflussreichsten Gattung auf Erden hat. Barack Obama schwärmte nach der Lektüre begeistert von seiner kondensierten und umfassenden Form. »Es geht um die essentiellen Dinge, die es uns erlaubt haben, diese außergewöhnliche Zivilisation zu erschaffen, die wir als selbstverständlich hinnehmen.«

Dies umfassende Erzählung nachzuzeichnen ist ein Mammutprojekt, es sich vorzunehmen hat selbst schon etwas wahnwitziges. Das israelisch-belgisch-französische Trio hat sich dennoch nicht davon abbringen lassen. Und sie stellen es clever an. Sie lassen Harari selbst auftreten, im Zwiegespräch mit seiner Nichte Zoe, die neugierig nachfragend an seinen Lippen und Fersen klebt. Denn der gezeichnete Historiker doziert nicht nur, sondern unternimmt mit seiner jungen Zuhörerin Reisen durch Raum und Zeit, trifft Expert:innen und Wissenschaftler:innen, wohnt Vorlesungen bei, tritt bei Fernsehsendungen auf oder besucht Tagungen, nur um dort mit weiteren Expert:innen seine Thesen zu vertiefen. Kurzum: der Israeli wird in diesem Comic als der öffentliche Intellektuelle nachgebildet, der er längst ist. Dass ihm dennoch der ein oder andere Lapsus unterläuft, spricht für die Selbstironie der Macher.

Die Comicadaption packt den populärwissenschaftlichen Stoff seines Bestsellers und dreht ihn durch die Mangel der Neunten Kunst, nicht um ihn brutal zu reduzieren, sondern um ihn bestmöglich in eine andere Formsprache zu übersetzen. Das führt mal dazu, dass die sperrigen Kapitelüberschriften aus der Buchvorlage in griffigere Episodentitel überführt werden oder seitenlange Exkurse in kurzen Auftritten exponierter Comicfiguren abgehandelt werden.

Wie schon im Sachbuch geht es dem Comic ums erzählen. Das Bild dient dabei nicht einfach nur der Illustration des Textes, was man befürchten könnte, sondern hat seine eigene erzählerische Kraft. Die unterscheidet sich allerdings von dem mehrteiligen Evolutions-Comicprojekt des Berliner Zeichners Jens Harder erheblich. Denn während Harder die Evolution als Geschichte der Ikonografie erzählt und innerhalb eines Bildes schon mal die Entwicklung von knapp vier Milliarden Jahren zusammenfasst, indem er die Doppelhelix als Grundbaustein allen Lebens in ein Telefonkabel übergehen lässt, verzichten Vandermeulen und Casanave auf solche spektakulären grafischen Effekte.

Schon bei der Titelgestaltung erkennt man die unterschiedliche stilistische und grafische Auslegung der beiden Evolutionscomics.

Dem frankobelgischen Duo geht es aber auch nicht um die anspruchsvollste Grafik, sondern um einen möglichst niedrigschwelligen Zugang, um eben auch unerfahrene (Comic)Leser:innen mit auf diese gleichermaßen außergewöhnliche wie unterhaltsame Reise zu nehmen. So lesen Zoe und ihr berühmter Onkel etwa einen Comic im Comic, dessen Protagonisten an Familie Feuerstein erinnern, begegnen einem Superhelden namens Doctor Fiction, mit dem sie durch die Weltgeschichte reisen, und gehen mit der Sonderermittlerin Lopez und dem Strafrechtsverteidiger Adamski der Frage auf den Grund, ob der Mensch das grausamste Wesen aller Zeiten ist. Stilistisch steht der Comic der modernen frankobelgischen Linie nah – nicht zu streng, aber klar, mit großzügigen Ausflügen in die Ironie. Dabei trägt er Züge von Lewis Trondheim, Manu Larcenet und Christophe Blain, von Mathieu Sapin, Riad Sattouf und Émile Bravo, ohne sie zu zitieren.

Zwischen und in den einzelnen Episoden befinden sich zudem unzählige Zitate der jüngeren und älteren Popkultur, was diesen Comic zusätzlich lesenswert macht. Facettenreich und vielschichtig geht er mit Humor und Leichtigkeit, Einfallsreichtum und Esprit der Frage nach, wie der Mensch eigentlich dieses erfolgreiche und zugleich zweifelhafte Wesen werden konnte, das er heute ist.

Dabei ist der Comic noch weniger zurückhaltend in der Kommentierung als das Sachbuch, was daran liegt, dass hier mehr Figuren als moralische Instanzen auftreten können. Aber keine Angst, fast jedes Argument erhält sein relatives Gegenüber. Nur wenige Spitzen oder Anspielungen, wie die auf die neoliberale Ordnung, bleiben unkommentiert stehen. Das wird manchen gefallen, anderen nicht, aber das war auch schon bei der populärwissenschaftlichen Vorlage der Fall.

Harari hat mit »Homo Deus« und »21 Lektionen für das 21. Jahrhundert« seine historische Erkundung der Gegenwart fortgeschrieben. Es ist zu vermuten, dass der vierteilige Comic diesen Weg nachzeichnet. Für Mitte Oktober 2021 ist bei Hararis aktuellem Verlag C.H. Beck (»Eine kurze Geschichte der Menschheit« erschein bei DVA) der zweite Teil angekündigt. Nachdem »Sapiens. Der Aufstieg« von den für die Menschheit positiven Aspekten der Geschichte handelte, geht es in »Sapiens. Die Falle« um die Dinge, die sich negativ auf den Einzelnen ausgewirkt haben, um Unterdrückung und Ungleichheit und ihre Folgen. Nach diesem bemerkenswerten Auftakt darf man gespannt sein auf die Fortsetzung dieser mitreißenden Erzählung, die alle Mittel des Comics im besten Sinne für sich nutzt.