Literatur, Roman

Komplett, aber keine Krönung

Dem portugiesischen Romancier José Saramago gelang in seinen Romanen, das Absurde möglich erscheinen zu lassen. Nun erscheint sein letzter Roman posthum, der dieses Talent bestätigt, das Werk aber dennoch nicht krönt.

Die Sündenfrucht ist natürlich der Ausgangspunkt von José Saramagos letztem Roman, der den schlichten Titel Kain trägt. Darin erzählt der zeitkritische Literaturnobelpreisträger eine andere Geschichte der Genesis, in der Kain Gott den Spiegel seiner Grausamkeit vorhält. Nach dem Mord an seinem Bruder Abel entgegnet Kain Gott, dass er Herr über sich selbst und damit frei sei. »So wie du frei warst zuzulassen, dass ich Abel töte, als es in deiner Hand lag, dies zu verhindern, du hättest nur für einen Augenblick den Stolz auf Deine Unfehlbarkeit, den du mit allen anderen Göttern gemeinsam hast, ablegen brauchen, hättest nur für einen Moment wirklich barmherzig sein und meine Opfergabe demütig annehmen brauchen.« Diesem Argument erlegen gesteht Gott seine Teilschuld ein und stellt Kain reumütig unter seinen besonderen Schutz. Dieser wandelt nun als aktiver Beobachter durch die Geschichte der Genesis und bringt dort einiges durcheinander – ob als leidenschaftlicher Liebhaber oder als Aufrührer.

José Saramago: Kain. Aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner. Hoffmann & Campe 2011. 176 Seiten. 19,99 Euro. Hier bestellen

Der im vergangenen Sommer verstorbene Saramago beweist nach Das Evangelium des Jesus Christus einmal mehr seine religionskritische Haltung. Letztlich ist Kain der zweite Teil seiner dort aufgegriffenen Auseinandersetzung mit den biblischen Mythen. Hier wie da lässt er eine Person aus der biblischen Textvorlage an dem, was die Bibel erzählt, zweifeln. Und wie so oft führt der Portugiese auch hier die Ausweglosigkeit, auf die das Erzählte hinausläuft, vor Augen. Kain ist eine erfrischende Satire, die in ihren humorigen Zügen an Ralf Königs Prototyp erinnert und in ihren ernsthaften Passagen an Robert Crumbs Genesis denken lässt. Die Geschichte der Menschheit präsentiert Saramago seinen Lesern als eine ihrer Uneinigkeit mit Gott, »weder versteht er uns, noch wir ihn.«

Saramago wählt sich immer wieder Sujets, die alles andere als nahe liegen. Er schrieb bereits über das Abdriften der iberischen Halbinsel von Europa, über das Erblinden einer ganzen Stadt oder über die Verweigerung einer Gesellschaft, am Schauspiel Demokratie teilzunehmen. Das Absurde führte er in diesen Romanen aus der Unwahrscheinlichkeit heraus ins Reich des Möglichen. Dies gelingt ihm auch in Kain. So komplettiert der letzte Roman das famose Werk des Portugiesen, dessen Krönung ist er allerdings nicht.

Wer sich daher nicht unbedingt mit Saramagos letztem Roman befassen möchte, dem sei ein anderes Büchlein aus der Feder des Portugiesen empfohlen, sein im vergangenen Jahr erschienenes Tagebuch. Darin finden sich skizzenhafte Aufzeichnungen zu den Unbilden unserer Zeit.

José Saramago: Das Tagebuch. Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis & Karin von Schweder-Schreiner. Hoffmann & Campe 2010. 200 Seiten. 16,- Euro. Hier bestellen

George Bush beschreibt er darin als »zwanghaften Lügner«, Silvio Berlusconi bezichtigt er des Verbrechertums, Nicolas Sarkozy hat seinen Auftritt als »der Verantwortungslose« und einem Joseph Ratzinger wird »mittelalterliches Denken« attestiert. Zugegeben, das mögen noch Zuschreibungen sein, die man auch selbst hinbekommt, aber Kapitel mit Überschriften wie »Steinigungen und andere Schrecknisse«, »Sexualerziehung«, »Rezept zum Töten eines Menschen«, »Haben Henker eine Seele« oder »Gott als Problem« haben es in sich.

»Wenn ich zu einem Christen oder einem Moslem sagte, dass es im Universum 400 Milliarden Galaxien gibt und dass jede davon aus über 400 Milliarden Sternen besteht und dass Gott, ob Allah oder der andere, das nicht geschaffen haben kann, genauer gesagt, keinerlei Grund gehabt hätte, es zu schaffen, dann würde man mir empört antworten, für Gott, ob Allah oder der andere, sei nichts unmöglich. Allem Anschein nach mit einer Ausnahme, würde ich erwidern, nämlich Frieden zwischen Islam und Christentum zu stiften und auf der Stelle die unseligste aller Tierarten zu befrieden, die angeblich nach seinem Willen (und seinem Ebenbild) entstand, nämlich die Spezies Mensch.«

In Saramagos Tagebuch finden sich aber auch Notizen zum Finanzkapitalismus, zur Situation der Linken, zur weltpolitischen Lage sowie zu Kultur und Literatur. Es findet sich auch ein Eintrag zu Kain, seinem letzten Werk. Am 4. Dezember 2008 notiert er in seinem Diarium: »Ich habe Die Reise des Elefanten [vorletzter Roman, A.d.A.] in Lissabon vorgestellt und bei der Gelegenheit erwähnt, dass ich ein neues Buch im Kopf habe. Uff!«