Der Sozialphilosoph Hans Joas zeichnet die Entstehungsgeschichte der Menschenrechte nach und findet darin eine Verheiligung des Individuums. »Die Sakralität der Person« ist ein spannendes Gedankenspiel, in dem der Bezug zur Realität verloren geht.
Es stellt sich zunächst die Frage, was dem Humanisten willkommener sein kann, als eine Interpretation des Menschenwesens im Sinne einer Heiligkeit. Denn es würde den Menschen ins Zentrum allen Handelns rücken, nicht im Sinne einer egoistischen sondern im Sinne einer individualistischen Perspektive. Doch darum geht es Joas nicht. Er will »die durch die Abstraktion zum Erstarren gebrachte Flüssigkeit von Handlung und Erfahrung« wiederherstellen, der Geschichte auf den Grund gehen und aus dieser »eine neue Genealogie der Menschenrechte« herausarbeiten – so verspricht es der Untertitel seines Werks. Deren Erfolgsgeschichte sieht Joas nicht in den Erkenntnissen der Aufklärung dem sich daraus ergebenden Wandel einer Interpretation der Welt begründet, sondern in der »Sakralisierung des Menschen« – worunter er »den Glauben an die irreduzible Würde jedes Menschen« versteht.
Ursächlich für die Durchsetzung der Menschenrechte ist für den Freiburger Sozialphilosoph nicht Webers »Charismatisierung der Vernunft«, sondern eine Interpretation des Individuums als »heilig«. Das Vorhaben dieses faszinierend zu lesenden Buches ist es, die Menschenrechte auf eine religiöse Norm aufzubauen. Dem oft allzu eilfertig vorgetragenem Argument, die Menschenrechte seien von den Aufklärern gegen die Kirche durchgesetzt worden, setzt Joas dieses Buch entgegen. Im Sinne des Theologen Ernst Troeltzsch, unzweifelhaft spiritus rector für dieses Werk, wird Fortschritt zur »Säkularisierung der christlichen Eschatologie« umgedeutet. Die Menschenrechte zum Resultat eines religiösen Umdenkens, an dessen Ende ein »neues christliches Menschenbild«, eben ein heiliges steht.
Lesenswert ist dieses Buch, weil Joas darin das Schwarz-Weiß-Denken des Atheismus, die Menschenrechte seien ein Produkt des Nicht-Religiösen intelligent infrage stellt. Denn ob die Aufklärung die Menschenrechte aus einer religiös geprägten Tradition komplett herauslöst, muss zumindest diskutiert werden. Mit seiner These aber, die Menschenrechte stünden in einer religiösen Tradition, scheitert er auf hohem Niveau – aus dem einfachen Grund, als dass es in seinem Werk an Menschenrechten fehlt.
Allein seine skizzenhafte Schilderung der Abschaffung der Sklaverei sowie der Fixierung der Erklärungen der Menschenrechte ist völlig ungenügend. Dass auch Gläubige Teil der Abolitionismusbewegung waren, belegt keine religiöse Tradition der Menschenrechte. Gleiches gilt für die Tatsache, dass unter den Mitverfassern der Menschenrechtserklärung Christen waren. Denn das Spannende am gegenwärtigen Menschenrechtsdiskurs und ihrer Auslegung ist eben, dass im christlichen Menschenbild, dessen sich Joas bedient, einige Rechte von der Kirche eben nicht als unveräußerlich angesehen werden. Darauf geht Joas nicht ein, kann es nicht, da ihm bei dem Versuch, die Menschenrechte aus den Händen der Säkularen und Skeptikern für die Kirche zurückzuerobern, der Bezug zur Realität verloren gegangen ist. Seine Argumente werden künftig dennoch, man kann sich sicher sein, von den Kirchenoberen verwendet werden, wenn es auf das Thema zu sprechen kommt.