Manche Bücher haben Längen, andere sind viel zu kurz. Nicolas Mahler spielt in seinem »Längen und Kürzen« mit Realität und Fiktion.
»Dunkel war’s, der Mond schien helle, als ein Wagen blitzeschnelle, langsam um die Ecke fuhr; …« Fast jeder kennt das volkstümliche Spottgedicht, aus dem hier die ersten Zeilen entnommen sind. Es spielt mit Widersprüchen und Gegensätzen und genau damit amüsiert es. Nicolas Mahlers Comic – so man Längen und Kürzen denn so nennen möchte – soll genau umgekehrt funktionieren – durch Parallelitäten und Tautologien.
Soll! Denn der Effekt, den der Autor mit der Deckungsgleichheit von Text und Bild, von Realität und Fiktion, von Form und Inhalt sowie Ursache und Wirkung erzielen will, entsteht nicht. Statt die Absurdität schlechter Literatur zu entlarven, ist diese Mischung aus Comic und Text selbst zu einem nur mittelmäßigen Verlagsprodukt geworden.
Worum geht es. Im Zentrum steht ein Nachwuchsautor, der seinem Verleger sein neues Manuskript vorlegt. Dieser ist nur mittelmäßig begeistert, findet es zu kurz, grundsätzlich zu inhaltsleer und zum Binden nicht geeignet. Dies veranlasst den Jungautoren, sein Werk mit allem zu füllen, was er jemals zu Papier gebracht hat. »Ich habe beschlossen, auch diese Briefe in mein Buch mit aufzunehmen, zusammen mit den Gedichten und dem Roman. So wird es sich sicher „binden“ lassen. Falls sich kein hinreichend dickes Papier findet, könnte ich auch noch die ‚POSTKARTEN’ und ‚FAXE’ abdrucken lassen.« Und genauso kommt es. Dieses Werk, das dann unter dem Titel »ROMAN, BRIEFE, POSTKARTEN, FAXE und GEDICHTE« erscheint, darf nun der Leser in der Hand halten. Allerdings kann er damit nur allzu wenig anfangen, denn es ist sinnentleert.
Eingebunden werden diese Textfragmente von einigen Seiten Comicstrips, wie gewohnt in höchst reduziertem Stil. Dies ist Mahlers Metier. Demzufolge glänzt hier der Österreicher. Er zeigt, welche Kraft die Rhythmisierung von Text und Bild für die comicale Erzählung birgt und welch faszinierende Wirkung die unterschiedliche Strukturierung der Elemente im Einzelbild hat. Mahler treibt das Zusammenspiel von Text und Bild auf die Spitze, vervollkommnet beides mit den einfachsten Mitteln bis zur gegenseitigen Stimulation.
Doch die eingeschobenen sprachlichen Fragmente, die die Längen bilden, um das Ganze dann doch noch auf ein bindbares Volumen anschwellen zu lassen, öden einfach nur an. Es gelingt Mahler nicht, den Leser mit diesen Bruchstücken auf die nächsthöhere Ebene zu lotsen, von der er diesem verlockendem Spiel mit der Absurdität von Form und Inhalt amüsiert beiwohnen könnte. Schade, denn von Nicolas Mahler ist man Grandioses gewohnt. Bereits drei Mal erhielt er mit dem Max-und-Moritz-Preis den wichtigsten deutschen Comicpreis für sein künstlerisches Schaffen. Daran sollten man sich erinnern, wenn man dieses Buch zur Seite legt und zu Werken wie Flaschko – Der Mann mit der Heizdecke, Das Unbehagen oder Van Helsing macht blau greift.