Zahlreiche von Robert Crumbs Arbeiten handeln von Sex, Drugs und Musik, dabei bestand sein Anliegen stets darin, die Tragödie des Individuums abzubilden. Ein Blick auf Leben und Werk des US-amerikanischen Comickünstlers anlässlich seines 70. Geburtstages.
Der Amerikaner Robert Crumb war in Deutschland lange Zeit in die Wühltische der Comicbörsen verbannt. Schuld daran waren nicht zuletzt auch Indizierungen einzelner seiner Comics durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, aber auch die allgemeine Kritik. Seine anarchischen und sexuell hoch aufgeladenen Zeichnungen fleischiger Frauen und verwahrloster Nerds galten als chauvinistisch und pornografisch. Aufgrund normativer Rollenzuschreibungen wurde ihm Rassismus und Antisemitismus vorgeworfen. Wie Ahnenstaub lagen diese Anschuldigungen über dem selbstironischen Werk des amerikanischen Comic-Hippies. Seine »Comix« galten als schmutzig und schmuddelig. Dabei revolutionierte Crumb die Comicszene mit eben diesen expressionistischen und augenzwinkernden Selbstreflektionen. Sein großes Thema war die Tragödie des Individuums – in epischer Breite und psychoanalytischer Tiefe hat er es an sich selbst exerziert. Kein anderer Zeichner hat das neurotische Ich zuvor in einer solch schonungslosen Intensität entblättert, wie dies Crumb getan hat.
Es ist kein Glück, sondern eine überfällige Notwendigkeit, dass das gigantische Oeuvre des akribischen Menschenlesers nun auch in Deutschland wieder publiziert wird. Rechtzeitig vor seinem Besuch des Comicfestivals in München Ende Mai, bei dem ihm eine Ausstellung gewidmet war (A Tribute to Robert Crumb), sind einige seiner lange Zeit vergriffenen Comics neu aufgelegt worden.
In München wurde Crumb, der im August seinen 70. Geburtstag feiert, der rote Teppich ausgerollt. Im Amerikahaus wurde ihm eine Ausstellung gewidmet, bei der über 80 Künstler – von Charles Burns über Joe Matt bis hin zu Volker Reiche – mit teils kongenialen Zeichnungen den Meister der Comix ehrten (Katalog: A Tribute to Robert Crumb). Parallel dazu wurde im Valentin-Karlstadt-Musäum eine Underground-Comix-Schau gezeigt. Dort sprach Crumb auch mit seinem Zeichnerkollegen Gerhard Seyfried über sein jahrzehntelanges Schaffen. Gilbert Shelton, neben Robert Crumb der wichtigste Vertreter der amerikanischen Underground-Comix-Szene, sprach im Jüdischen Museum mit Crumb und seiner Frau Aline Kominsky-Crumb über ihre gemeinsamen Werke.
Wer sich mit Robert Crumb beschäftigt, kommt um Harvey Kurtzman, die Legende der gezeichneten Ironie, nicht herum. Zum einen war der langjährige MAD-Zeichner Crumbs Idol, Entdecker und erster Förderer. 1964 publizierte er in seinem Humormagazin Help! eine frühe Version von Fritz the Cat. Zum anderen gab er mit einem MAD-Cover aus dem Jahr 1954 unbewusst Crumbs Programm vor. Es zeigt Kurtzman beim Verteilen seiner Comichefte an Kinder. Daneben der Schriftzug »Comics Go Underground« sowie die Erklärung, dass Kurtzman wie viele andere Zeichner seine Hefte auf der Straße unter der Hand verkaufen müsse. Mit diesem Cover griff Kurtzman in dem damals populärsten Comicmagazin der USA den unsäglichen »comics code« der amerikanischen Comicverlage zur »Bereinigung« der Comics von gewaltverherrlichenden und anzüglichen Elementen ironisch auf. Sein Motto »Comics Go Underground« sollte dreizehn Jahre später mit Crumbs erster ZAP-Ausgabe Wirklichkeit werden.
Aber der Reihe nach: In der beklemmenden Atmosphäre der amerikanischen Comic-Selbstzensur wuchs Crumb als drittes von fünf Kindern in Philadelphia auf; der Begriff Sandwich-Kind könnte nicht passender sein. Vor allem mit seinem ein Jahr älteren Bruder Charles, der für Crumbs Comiclaufbahn die Grundlagen gelegt hat, verstand sich Crumb blendend. Gemeinsam begannen sie, ihren Alltag in Comics festzuhalten, so dass Crumb schon mit sieben Jahren sein erstes Comicbuch angefertigt haben soll. Vor allem die permanent streitenden Eltern, der rigide familiäre Katholizismus, die Erfahrungen auf der katholischen Privatschule sowie die eigene neurotisch-obsessive Getriebenheit sollten Crumb immer wieder Anlass bieten, seine Kindheit und Jugend zeichnend zu verarbeiten. Tiefenpsychologische Erinnerungen an sich prügelnde Paare, strenge Ordensschwestern, lüsterne Mitschülerinnen und geifernde Alter Egos ziehen sich durch sein gesamtes Werk. Einen Eindruck bietet der kürzlich erschienene Band Mein Ärger mit den Frauen.
In den 1960er Jahren entwickelte sich eine Comicsubkultur, in der die Protesthaltung der Hippie-Bewegung anklang und die ihre Heimat in San Francisco fand. Robert Crumb fand aus dem ländlichen Philadelphia nur über Umwege nach San Francisco. Zunächst zog er 1962 nach Cleveland, um dort als Illustrator für das Postkartenunternehmen American Greetings zu arbeiten. Beruflich war die stupide Nine-to-Five-Arbeit für Crumb deprimierend, persönlich sollte ihn Cleveland über Jahre hinaus prägen. Hier lernte er den Comicautoren Harvey Pekar kennen, mit dem er die Leidenschaft des Schallplattensammelns teilte und für den er später seine ellenlangen Monologe in American Splendor illustrieren sollte. In Cleveland begegnete er seiner ersten Ehefrau Dana Morgan, die er 1964 heiratete und von der er sich 1978 scheiden ließ. Außerdem saugte er in der Stadt die wilde Beatnik-Kultur auf, die seinen späteren Zeichenstil prägen sollte.
1964 zog es ihn nach New York. Er wollte mit Harvey Kurtzman zusammenarbeiten. Dieser verhalf Crumb zu seinen ersten Veröffentlichungen in dem von ihm herausgegeben Magazin Help!, allerdings wurde dessen Erscheinen nur wenige Monate nach Crumbs Ankunft in New York eingestellt. Während Kurtzman als Karikaturist beim Playboy Unterschlupf fand, musste Crumb zurück in die Postkartenmanufaktur nach Cleveland. Von dort zog er 1967 weiter nach San Francisco, wo er seine einmalige Karriere als Gründer der Underground-Comix startete. Dort stand er am 25. Februar 1968 an der Ecke Haight/Ashbury Street, schlecht genährt und in einen altmodischen Anzug gekleidet, und verkaufte aus einem Kinderwagen heraus die erste Nummer seines Comicmagazins namens ZAP-Comix. Crumb erinnerte sich später an die Szenerie. Seine Zeichnung zeigt seine Geburtsstunde als Comickünstler und führt sogleich den Kinderwagen als vieldeutige Metapher für Crumbs Werk ein, die für die Kindheit als Wiege seiner Comickunst sowie für die niemals endenden kindlichen Bedürfnisse des Ödipus’ Crumb steht, die zugleich ständiger Anlass seiner »Comicstherapie« ist.
Der von Crumb gewählte Begriff »Comix« ist der bewusste Gegenentwurf zu den Superhelden- und Horrorcomics seiner Zeit. Crumb blickte wie Brian Wilson, Bob Dylan und viele andere kontemporäre Künstler zurück und besann sich in seinem traditionsverliebten Zeichenstil auf Bewährtes. Seine frühen Zeichnungen sind inspiriert von Carl Barks’ Donald Duck-Geschichten und Walt Kellys Pogo-Strips, von George Herrimans Krazy Kat und E. C. Segars Popeye. Die einfachen Erzähltechniken dieser großen US-amerikanischen Zeichner mischte er mit der ihn umgebenden Trash-Kultur der Hippies. Seine randvollen Skizzenbücher, von denen ein erster Teil im TASCHEN Verlag erschienen ist, geben einen Eindruck seines ständigen Jonglierens mit Stilen, Themen und Verarbeitungen der amerikanischen Alltagskultur.
So ließ er innerhalb weniger Jahre ein Universum an einfach konstruierten, aber tief ironischen Geschichten rund um seine frühen Helden Mr. Natural, Fritz the Cat oder Mr. Snoid entstehen. Den Humor verlagerte er dabei von der physischen Erfahrung auf die Ebene der Psychologie. Crumbs Helden stolperten nicht mehr im tatsächlichen Sinne über gespannte Seile, sondern über die Fallstricke ihres Innenlebens. »Statt kämpfende, fallende oder mit Ziegelsteinen prügelnde Charaktere zeigt Crumb Menschen, die in den Kaninchenbau der eigenen Psyche fallen«, schreibt John Carlin in Masters of American Comics. Dies bedurfte der genauen Beobachtung des menschlichen Verhaltens. Crumbs Meisterschaft in dieser Disziplin brachte ihm den Titel »Brueghel der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts« ein.
Auf dem legendären Titel der ersten Ausgabe seines ZAP-Magazins begegneten die Leser zum ersten Mal Crumbs Philanthropen Mr. Natural. Der stets weise, in sich ruhende, salomonische Hippie-Priester wird Crumbs Zap-Comix wie keine zweite Figur prägen. Mit dessen Berühmtheit konnte nur Fritz the Cat mithalten, ein im Stile der »funny-animal«-Charaktere gezeichneter Kater mit disneyhaftem Antlitz, hinter dem sich ein Abgrund aus schnoddriger Dreistigkeit und obsessiver Geilheit verbirgt. Mit The Book of Mr. Natural und The Life and Death of Fritz the Cat wurde Crumbs einflussreichsten »funny«-Charakteren jüngst eine Neuauflage gewidmet. Die Gegenentwürfe zu diesen beiden Figuren bilden der mürrische Mr. Snoid und das nicht weniger miesepetrige Schwein Prufrock Piggy. Diese vier Figuren bilden den Jekyll-Hyde-haften Kern von Crumbs neurotischer Comicwelt, in der es unablässig um Sex und Drogen geht. Françoise Mouly, Artdirektorin des New Yorker Magazine und Ehefrau von Art Spiegelman, bezeichnete seine ZAP-Comix als »Handbücher der Hippie-Haltung« sowie als »Bibeln der Gegenkultur«. Sie bildeten explizit ab, was die Flower-Power-Kultur hervorbrachte – daher auch das X im Namen und die zahlreichen Skandale rund um seine Zeichnungen.
Dies erklärt auch den großen Erfolg seiner Comix. Von den Zeitungshändlern abgelehnt, fühlte sich Crumb in keiner Weise an die Selbstzensur der amerikanischen Comicverlage gebunden. In ZAP publizierte er eindeutige, nichts verbergende Zeichnungen, die nicht selten unter dem Einfluss harter Drogen entstanden sind. Die Erlebnisse unter dem Einfluss verschiedener »bewusstseinserweiternder Substanzen« hat er dann wiederum in seinen anarchisch-wilden Comix verarbeitet. Seinem Magazin hat dies nicht geschadet, im Gegenteil. Es wurde zum begehrten Skandalblatt, das zunächst nur unter dem Ladentisch zu haben war. »Comics Go Underground«! Sex, Drugs und Jazz waren die Dinge, die Crumb in jener Zeit faszinierten und mit denen er die Szene verzauberte, die seine Comix auf der Suche nach sich selbst verschlang. Bald schon kam kein Headshop mehr ohne Crumbs ZAP-Magazin aus. Im Gegenzug musste bald jedes Underground-Comix-Magazin einen echten Crumb haben. Der Cartoonist, Autor und Kritiker Robert C. Harvey erinnert sich daran, dass nahezu jeder Comiczeichner in den 1970er Jahren eine Crumb-Phase gehabt hätte. Crumbs Einfluss auf das Medium sei enorm, Comics hätten »nie wieder so sein können, wie zuvor«.
Crumb-Comix zeichnen sich durch die schonungslose Selbstenthüllung aus. Die eigene Person ist Ausgangspunkt jeder Erzählung. »Warum muss ich immer beichten?«, fragt sein Alter Ego den Leser in Mein Ärger mit den Frauen. Der Leser kann sich die Antwort denken. Es ist der Neurotiker in ihm, der ihn antreibt, sein Innerstes ohne Schonung auf die eigene Identität nach außen zu wenden. »Crumb gelingt es auf einzigartige Weise, seine Leser durch seine Augen blicken und sie fühlen zu lassen, was es heißt, Robert Crumb zu sein«, schreibt Françoise Mouly. Das gab es in der Form zuvor nicht. Zwar konnten sich die Leser von George Herrimans Krazy Kat den Autoren hinter der Figur vorstellen, aber Autor und Figur waren nicht identisch. Crumb hat diese Unterscheidung aufgehoben. Er ist ebenso Mr. Natural wie Mr. Snoid, ist Fritz the Cat und Prufrock Piggy in einem.
Und natürlich ist er Bob, Bobby und Robert Crumb in seinen zahlreichen Außenseiter-Rollen, mit denen er immer wieder seine seelischen Abgründe erkundet hat. Diese direkten Anspielungen drängen in den 1970er Jahren die »funny-animal«-Charaktere zunehmend an den Rand. Zeichnend verortet er als Ich-Erzähler seine Schuldgefühle und Selbstzweifel, Ängste und Neurosen sowie Obsessionen und Gelüste auf seiner inneren Landkarte und kartografiert so die eigenen Gemütszustände (Sketchbooks 1982-2011). Episoden wie »The Confessions of Robert Crumb« oder »The Many Faces of R. Crumb« stehen exemplarisch für diesen permanenten Seelenstriptease, der Crumbs Comics ausmacht. Zugleich gewinnen seine Episoden an Umfang, betragen jedoch selten mehr als 30 Seiten. Die Fachwelt spricht vom »Comic-Essay«, passend wäre auch die Bezeichnung »Graphic Short Story« als Vorform zur »Graphic Novel«. Mit seiner autobiografischen Herangehensweise hat Crumb die Neunte Kunst revolutioniert und Comiczeichnern wie Art Spiegelman, Chris Ware und Guy Delisle den Weg zu ihren »Comic-Romanen« geebnet.
Er hat sich und sein Werk wie kein anderer ausgeliefert – sowohl seinen Fans als auch seinen erbitterten Gegnern. Von denen gab es genug. Mehr als einmal wurde seinen Comics, in denen er vor allem seine Lust an der Befriedigung voluminöser, »mesomorpher« Frauen exerzierte, als chauvinistisch, frauenfeindlich und pornographisch verurteilt. Andere Comics aus seiner Hand wurden als rassistisch und antisemitisch verrissen. Man kann es den Crumb-Kritikern nicht verdenken, denn seine Zeichnungen sind alles andere als politisch korrekt. Es ging Crumb aber nie um die Beschreibung einer Haltung, sondern um die Beschreibung von Ist-Zuständen. Indem er seine eigenen Abgründe schonungslos offenlegte, bot er auch maximale Angriffsfläche.
Seine erbitterten Gegner reduzierten ihn oft auf die wenigen Zeichnungen, die sie an den Pranger stellten. Dabei vergaßen sie, dass es zugleich Crumb war, der die sensibelsten Porträts von schwarzen Musikern und jüdischen Persönlichkeiten anfertigte und der den Patientinnen aus der Irrenanstalt von Surrey County eine ganze Serie widmete, wie der Nausea-Band zeigt. Wer Crumbs Universum in seiner Fülle betrachtet, stößt auf den inneren Widerspruch in seinem Werk, der seine Form des Ausdrucks der Diskrepanz der Welt ist. »All dieser Quatsch ist doch tief in unserer Kultur und unserem Kollektivgedächtnis verwurzelt, und nun muss man damit umgehen. Er ist in mir. Er ist in jedem von uns«, schrieb er seinen Kritikern in den 1970ern.
Die größten Anfeindungen brachte ihm die feministische Bewegung entgegen, die Sturm lief gegen seine vulgären Zeichnungen fleischiger, devoter Matronen, die stets auf Objekte seiner mehr oder minder perversen Begierden reduziert wurden. 1971 widmete Crumb den »feministischen Frauen« daher einen Cartoon. Während in den ersten Bildern ein braver Robert Crumb den Feministen dieser Welt entgegen säuselt, dass er doch gern ihr Freund wäre, endet die Bilderfolge in einem Wutausbruch: »Well, listen, you dumb-assed broads, I’m gonna draw what I fucking-well please to draw and if you don’t like it FUCK YOU!« Heute würde Crumb mit solchen Aussagen wohl in einem Shitstorm à la #Aufschrei gnadenlos untergehen. Andererseits wären die sexuell konnotierten Werke von Chester Brown oder Joe Matt ohne Crumbs bahnbrechende Selbstentäußerung nicht denkbar.
Was wie ein grimmiges Plädoyer für die Kunst- und Meinungsfreiheit klingt, könnte auch Ausdruck einer inneren Verzweiflung sein. Denn während Crumb bis zu seinem Durchbruch mit ZAP-Comix so gut wie keine seiner Phantasien mit Frauen umsetzen konnte, lagen ihm danach zahlreiche Frauen ergeben zu Füßen. Dieser Wandel der eigenen Wirkung erschien ihm »widersinnig«: »Meine Frauenverachtung wuchs nur noch durch das bittere Wissen, dass diese früheren Cheerleaders und Strandhäschen vom gleichen Stamme waren wie jene, die mich in der Schule hatten abfahren lassen.«
Dieser Frauenverachtung steht als Kontrapunkt gegenüber, dass Crumb seit 35 Jahren mit seiner zweiten Frau Aline Kominsky-Crumb verheiratet ist und sich in dieser Beziehung alles andere als frauenverachtend gibt. Das mag aber auch daran liegen, dass er in Kominsky die Traumfrau aus seinen Phantasien gefunden hat. Sie ist Künstlerin wie er und scheut die öffentliche Autotherapie selbst dann nicht, wenn sie als gezeichnete oder gefilmte Paarreflexion (Terry Zwigoffs Crumb hier als Free Video) daherkommt.
Schon 1974 veröffentlichten beide, noch nicht liiert, mit den Dirty Laundry Comics tagebuchähnliche Strips, in denen sie sich jeweils selbst zeichneten. Diese künstlerische Alltagsdokumentation setzten Sie nach mit dem Projekt Drawn Together. The Collected Works of R. and A. Crumb fort. Der im vergangenen Jahr erschienene Sammelband dieser gezeichneten Alltagsbeichten versammelt Anekdoten aus den Jahren 1979 bis 2010. Dieses therapeutische Zwiegespräch zweier Künstler ist ein vor Ironie überbordendes Gemeinschaftswerk, voller Sex, Drugs & Rock’n Roll.
Dieses Dauerprojekt ist nur ein Beispiel der zahlreichen Künstlerkooperationen, die den Weg von Robert Crumb säumen. Bereits 1968 zeichnete er das Cover für eine Platte der Blues-Band von Janis Joplin. Bis heute hat er für über 30 Musikalben die Titel gezeichnet. Für seinen Freund Harvey Pekar begann er 1976 mehrere der preisgekrönten American Splendor-Comics grafisch umzusetzen. Mit dem Szenaristen David Zaine Mairowitz realisierte er in den 1990er Jahren – kurz nach seinem Umzug nach Frankreich – mit Kafka für Anfänger einen der weltweit meistgekauften Sachcomics, der gerade in neuer Auflage und Übersetzung unter dem Titel Kafka erschienen ist und Einblick in die verblüffende Seelenverwandtschaft von Franz Kafka und Robert Crumb gibt.
In den 1980ern hat Crumb eng mit dem Romancier Charles Bukowski zusammengearbeitet und zahlreiche seiner Erzählungen illustriert. Auch für den Kultroman Die Monkey Wrench Gang des amerikanischen Öko-Autors Edward Abbey, 2011 in Neuauflage bei Walde+Graf erscheinen, fertigte er 1985 zahlreiche Illustrationen an. In beiden Fällen traf der Meister der Underground-Comix auf zwei Meister der Underground-Novels.
Zugleich inspirierte Crumbs Werk zahlreiche Künstler. Die Band The Grateful Dead ließ sich von seinem berühmten Cartoon »Keep on Truckin’« zu ihrem Song »Truckin‘« anregen und der Blues- und Jazzsänger Josh White nahm Crumbs »Meatball«-Erzählung zur Vorlage für seinen Song »One Meat Ball«. Der Underground-HipHop-Künstler Aesop Rock bezieht sich in seinen Texten immer wieder auf Robert Crumb und dessen Werk. Und sein nachhaltiger Einfluss auf die weltweite Comicszene kann nicht genug geschätzt werden. Die Münchener Ausstellung konnte hier nur einen Eindruck, wenngleich einen imposanten, liefern.
Mit der Übersiedlung nach Frankreich und der zunehmenden Auseinandersetzung mit literarischen Werken änderte sich Crumbs Ton. Der überspitzte Sarkasmus seiner frühen Underground-Comix wurde abgelöst von dem ausgewogeneren Stil des aufmerksamen Beobachters. Vielleicht lag es an der nachlassenden Wirkung des LSD-Konsums (»Ich brauchte zwanzig Jahre, um mich von dem ganzen L.S.D. zu erholen…«), vielleicht auch an seiner nicht mehr ganz so obsessiven Virilität. Während seine Kritiker zunehmend stiller wurden, wurde Crumb weltweit als Urvater der Underground-Comix und Wegbereiter der autobiografischen Text-Bild-Erzählung gewürdigt. In den USA begann Fantagraphics Books schon Ende der 1980er Jahren The Complete Crumb in 17 Bänden herauszugeben. Zwischen 1989 und 1997 gewinnen die Bände fünf Harveys und einen Eisner-Award.
1999 wird Robert Crumb schließlich bei Europas wichtigstem Comicfestival in Angoulême für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Der französische Comicverlag Cornélius startet daraufhin eine mehrbändige Werkausgabe, die die Grundlage der im vergangenen Herbst gestarteten Neuausgabe des Crumb-Oeuvres in der Übersetzung von Harry Rowohlt bei Reprodukt bildet. In Deutschland widmen ihm 2002 das Karikaturmuseum Krems sowie 2004 das Museum Ludwig in Köln jeweils große Retrospektiven. Die größte Crumb-Ausstellung wurde im vergangenen Jahr im Pariser Museum für Moderne Kunst gezeigt. Die Besucher erwartete in »Crumb – Vom Untergrund bis zur Schöpfung« mit über 700 Originalzeichnungen der ganze Crumb-Kosmos. In zahlreichen Skizzenbüchern und über 200 Underground-Magazinen sowie in Terry Zwigoffs filmischem Crumb-Portrait konnten sie Crumb und seinem Gesamtwerk nachspüren. Kritiker lobten die Schau als »Augenweide« für Crumb-Fans und »Krönung seines Werks«, dass man sich kaum vielstimmiger und abwechslungsreicher vorstellen kann.
Bei der Eröffnung erklärte Crumb, dass er eine so vielköpfige Familie an Crumb-Figuren geschaffen habe, weil er nicht sein ganzes Leben lang nur eine oder zwei Figuren habe zeichnen können. Dass er eines Tages im Museum landen würde, habe er sich nicht vorstellen können. »ich habe immer für die Printmedien gearbeitet. Das Buch war das wichtigste für mich. Das gedruckte Objekt, das war es, wofür ich gearbeitet habe.« Umso bitterer muss es für ihn gewesen sein, als der New Yorker 2009 ein Magazincover von ihm ablehnte. Unter der Schlagzeile »Marriage License« zeichnete er ein Paar, bei dem er die herkömmlichen prototypischen geschlechtlichen Kennzeichen teils umdrehte, teils völlig auflöste. Er griff damit die Debatte um die gleichgeschlechtliche Ehe und die konservativen Kommentare ironisch auf. Der Chefredakteur des New Yorker, David Remnick, lehnte das Titelblatt ohne Erklärung ab, was Crumb veranlasste, mit dem Satz »Zum Teufel mit ihm!« seine Zusammenarbeit mit dem Magazin zu beenden.
Im selben Jahr erschien mit seiner Bibel-Adaption Genesis sein bislang letztes großes und ebenfalls vieldiskutiertes Werk. Auf mehr als 200 Seiten hatte er die ersten 50 Kapitel des Alten Testaments eindrucksvoll als Comic gestaltet. Er legt dabei nicht nur die inhärente Gewalt und Grausamkeit der biblischen Geschichte frei, sondern auch die Redundanz von Text und Handlung – wofür er mit einem weiteren Harvey-Award ausgezeichnet wurde. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass ihn das Projekt vier Jahre Arbeit kosten würde. Dem amerikanischen The Comics Journal gestand er in einem Interview nach getaner Arbeit, dass es eine dumme Entscheidung gewesen sei, das Projekt anzunehmen und dass jeder andere Künstler etwas Ähnliches hätte machen können. Er sagte außerdem, dass er den Bibeltext gehasst und sich streckenweise durch die menschlichen Abgründe, die er beschreibe, durchgekämpft habe. Dieses »primitive Dokument« beweise, »wie verrückt und irrsinnig die Menschheit bis zum heutigen Tag sei, wenn sie sich auf einen solchen Text als Quelle moralischer Orientierung« stütze.
Crumbs Genesis rief viel Kritik, insbesondere von christlichen Lesern, hervor, die seine schonungslose Übertragung verurteilten. Seinen Kritikern entgegnete Crumb in einem kurzen Vorwort in der deutschen Ausgabe etwas weniger harsch: »Falls meine gänzlich wortgetreue grafische Umsetzung des Ersten Buchs Mose den einen oder anderen Leser schockieren oder in seinen Gefühlen verletzen sollte, was angesichts der Verehrung, die dem Werk allenthalben entgegengebracht wird, wohl unvermeidlich ist, kann ich zu meiner Verteidigung nur sagen, dass ich meine Aufgabe lediglich darin gesehen habe, den Text zu illustrieren, ohne ihn in irgendeiner Weise ins Lächerliche zu ziehen oder für visuelle Kalauer zu missbrauchen – aber man kann es ja ohnehin nicht jedem recht machen.«
Das Markenzeichen von Crumbs Comickunst besteht in der widersprüchlichen Komposition von Text und Bild. Den oftmals naiven Figuren sind Handlungen und Dialoge zugeschrieben, die der Ikonografie der Bildsprache widersprechen. Die harmlosesten Bilder sind mit den derbsten Dialogen und die schockierendsten Szenen mit einer flötenden Sprache versehen. Exemplarisch steht hier seine Inzest-Geschichte erwähnt, die er 1969 in ZAP #4 unter dem Titel »Joe Blow« veröffentlichte. Darin beschreibt er die Blow-Familie als typische amerikanische Mittelstandsfamilie. Crumb bricht die Harmonie durch die Tatsache auf, dass sich die Eltern munter mit den eigenen Kindern vergnügen und am Ende dem Leser entgegenlächeln »People should get together with their kids more often«. Als Leser reibt man sich die Augen und weiß nicht, was einen mehr schockiert: die naiven Zeichnungen oder der schamlose Text. Der Anglist Frank L. Cioffi bezeichnet diese Schockmomente beim Leser als »kontraintuitiv«. Es wird etwas völlig anderes geäußert als das was zu erwarten gewesen wäre.
Crumbs Comics widersprechen unserer Annahme, dass es auf einfache Fragen einfache Antworten gibt. Die Welt ist paradox, so sind es auch seine Comics. Eine ordnende Kraft gibt es nicht. So sind wir als Leser hemmungslos dieser geballten Ladung sexualisierter, fleischiger, surrealer, schroffer, ausdrucksstarker und oftmals nicht jugendfreier Zeichnungen ausgeliefert. Das gigantische Oeuvre des akribischen Menschenlesers Robert Crumb, das in Anlehnung an Winsor McCays Comicklassiker »Little Nemo in Slumberland« hier als Crumberland bezeichnet werden soll, kann nun endlich auch wieder in Deutschland jenseits der Wühltische entdeckt werden.
Dieser Text erschien bereits in ALFONZ 3/2013
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