Artbooks, Fotografie

Ein Blick zurück ins heute

Foto: Dirk Reinartz

Die mehr als dreißig Jahre alten New York-Impressionen des deutschen Fotografen Dirk Reinartz eröffnen einen Blick auf die Stadt, der aktueller kaum sein könnte.

Wie ein Manifest wirkt das Eröffnungsfoto in dem Fotoband »Dirk Reinartz. New York 1974«. Zu sehen ist Downtown Manhattan. Im Morgennebel liegt es da, noch ruhig, geradezu friedlich und am rechten Bildrand stehen die beiden Türme. Unverrückbar! Unverwüstlich! Alles überragend! Wie zwei Ausrufezeichen, die zu sagen scheinen: This is New York!! 27 Jahre später werden die Türme des World Trade Centers in der Attacke der Al-Quaida fallen und New York unter ihrem Staub begraben.

Eine Welt scheint zwischen dem diesem Foto und der heutigen Leere des Ground Zero zu liegen. Auch wenn sonst nichts in New York für die Ewigkeit gemacht ist – die Türme waren es. Und nicht zufällig steht dieses Bild am Anfang einer Sammlung New Yorker Eindrücke in Schwarzweiß. Es markiert zum einen die Bedeutung der Anschläge des 11. September 2001, zum anderen aber ist es auch der Ausgangspunkt einer Reise weg von den Anschlägen zum Wesen der Stadt. Denn New York ist mehr als Nine-Eleven, WTC und Terror. New York ist Moderne, Vorreiter, Faszination, der american dream in Stein gehauen – größer, schneller, weiter.

Karin Reinartz (Hrsg): Dirk Reinartz. New York 1974, Steidl-Verlag 2008, 144 Seiten. 42,00 Euro. Hier bestellen.

Die Bilder in dem nun vorliegenden Band sind allesamt auf zwei privaten New York-Reisen des mit 56 Jahren viel zu früh verstorbenen deutschen Fotoreporters entstanden. 2004, seine Karriere befand sich seit einigen Jahren in einem wahrhaften Höhenflug, arbeitete er an diesem Buch – es sollte sein Letztes werden. Die Auswahl der Bilder hatte er bereits getroffen, die Reihenfolge stand zur Hälfte, als er während eines Berlin-Aufenthalts plötzlich verstarb. Seine Frau Karin vollendete nun das Projekt.

Regelrecht zerdacht hatte Reinartz in seinen Arbeiten die gewählten künstlerischen Objekte. Das Dokumentarische war ihm ein Anliegen, das Aufzeigen der Geschichte hinter dem Bild durch das Foto selbst war sein Markenzeichen. Seine (auch persönliche) Konfrontation mit den ehemaligen deutschen Konzentrationslagern, die in dem Band »totenstill« (Steidl, 1994) mündete, macht dies besonders deutlich. Düster und schwer fing Reinartz die akkurate Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten ein und verdeutlichte so die Last der deutschen Schuld nur eindringlicher. Gerade weil auf keinem der Bilder ein Mensch zu sehen ist, schiebt er die Planung der Nationalsozialisten und die Frage nach dem Schicksal der Millionen in den Vordergrund.

Dirk Reinartz, Christian Graf von Krockow: totenstill. Steidl-Verlag 1997. 296 Seiten. Vergriffen

1970 kam er als jüngster Fotoreporter zum Stern und arbeitete dort sieben Jahre, bevor er sich als Fotograf selbständig machte und sich der Fotoagentur Visum anschloss. Bei Visum fanden sich ehemalige Schüler der Kunsthochschule Folkwang in Essen ein, die ihre Bilder einer gegenseitigen Qualitätskontrolle unterzogen, bevor nur die besten Fotos den Weg in die Redaktionen der großen Journale und Magazine fanden.

In dem nun beim Steidl-Verlag vorliegenden Bildband sind insgesamt 64 Tafeln versammelt, die einen faszinierenden Eindruck auf die Seele New Yorks geben und dabei das New York nach den Anschlägen vom 11. September 2001 immer im Blick behalten. Es entsteht eine fast wahnwitzige Mischung aus Vergangenheit und vermeintlicher Gegenwart, Wild-West-Eindrück treffen auf den großstädtischen Kosmopolitismus. Ob telefonierende Cowboys, Reiterpatrouillen der New Yorker Polizei, Schlittschuh laufende Rentnerinnen im Central Park, der leger an der Hauswand lehnende Geschäftsmann oder die bunte Mischung der New Yorker Bevölkerung – Reinartz hat es schon früh vermocht, das Leben als solches einzufangen.

Porträt eines New Yorkers | Foto: Dirk Reinartz

Doch auch die wüste Leere in den Vorstädten, die der Enge und Beklemmung der New Yorker Geschäfts- und Bankenviertel, in denen gestapelte Wohn- und Arbeitseinheiten die absurde Skyline der Moderne bilden, so konträr gegenüberstehen, hat Reinartz mit dem Auge des erkennenden und begreifenden Fotografen eingefangen. Selten wurde dieses urbane Monstrum New York fassbarer und begreifbarer, als in den hier versammelten Bildern. In jedem Foto schwingt ein Stück des besonderen New Yorker Lebensgefühls mit, welches heute noch des Sein und Werden in der Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten bestimmt. New York, das heißt mindestens am Puls der Zeit, wenn nicht sogar der Zeit voraus zu sein – und irgendwie sind selbst die mehr als dreißig Jahre alten Bilder von so erhabener Moderne und Aktualität, als gäbe es kein Danach.