Gesellschaft, Politik, Sachbuch

Die Leidtragenden der Globalisierung

Der in Polen geborene und in Großbritannien lehrende Soziologe Zygmunt Baumann zeigt in »Verworfenes Leben«, wie die Moderne ganze Menschengruppen ins Abseits schiebt.

»Die Ausgegrenzten der Moderne«, die Zygmunt Baumann im Untertitel seines neuen Buches Verworfenes Leben anführt, sind Menschen, »die keinen definierten sozialen Status besitzen, vom Standpunkt der materiellen und intellektuellen Produktion für überflüssig erachtet werden und sich auch selbst so empfinden.« Die Produktion »menschlichen Abfalls« sei eine zentrale Begleiterscheinung der Moderne und habe durch die globale Ausweitung eine weltweite Armada marginalisierter, »unnützer« Menschen hervorgebracht. Flüchtlinge, Obdach- und Heimatlose, Asylbewerber, Migranten und Menschen ohne Papiere – ihre Existenz sei der Kollateralschaden der globalen Modernisierung, da diese Menschen als »nutzlos« und als Belastung der sozialen Systeme gelten.

Der in Leeds lehrende Soziologe vollzieht in seinem Buch eine längst fällige Kulturkritik, die vor keinem Tabu unserer Zeit zurückschreckt. Der Steuerungsverlust der globalisierten Wirtschaft, den der moderne Nationalstaat erleidet, führe zu einer Prioritätenverlagerung seiner Aufgabengebiete, schreibt er darin. Der Staat könne das Versprechen des Sozialstaats nicht mehr einhalten, deshalb verlagert er sein Hauptaugenmerk auf die persönliche Unversehrtheit seiner Bürger. Nur so sei der überdimensionierte Kampf gegen den Terror zu verstehen, bei dem Asylbewerber und Migranten mit Terroristen assoziiert werden. Der »Staatsfeind Nummer eins« sei nicht mehr die Arbeitslosigkeit, sondern lebe in den französischen Trabantenstädten, den deutschen Einwanderervierteln und englischen Ghettobezirken – marginalisiert und am Rand der Gesellschaft.

Verworfenes Leben – Die Ausgegrenzten der Moderne
Zygmunt Baumann: Verworfenes Leben – Die Ausgegrenzten der Moderne. Aus dem Englischen von Werner Roller. Hamburger Edition 2006. 195 Seiten, 20,- Euro. Hier bestellen

Die abgehängten städtischen Viertel bleiben nur »Zwischenstationen« der Überzähligen auf ihrer permanenten Odyssee, ist Baumann überzeugt. Im nationalstaatlichen Fokus seien sie allenfalls »Brutstätten der Kleinkriminalität, der Bettelei und der Prostitution« und böten einen willkommenen Anlass für eine Politik der »harten Hand« gegen den »menschlichen Abfall ausländischer Herkunft«. Den »Nutzlosen« und »Schmarotzern« unserer Zeit werde nun auch noch der Stempel der Gefahr beziehungsweise des Terrorismus aufgedrückt, spitzt er zu.

Baumanns Argumente sind konzise, aber fordern den kompetenten Leser. An sein Thema heranführen ist sein Anliegen nicht, er steigt direkt ein und bedient sich dabei des Vokabulars derer, die er anklagt. Dies zu wissen ist notwendig, um den feinsinnigen Soziologen nicht vorschnell in die falsche politische Ecke zu stecken, um dann später ob der dezidiert linksliberalen Positionen wieder ins Schleudern zu geraten.

Die Antwort der »westlich zivilisierten Welt« auf die Kollateralschäden der Globalisierung bestehe in Abschottung und Ignoranz. Sie sehe ihre Pflicht nicht mehr in der Aufnahme von Verfolgten und Migranten, sondern entweder in der »heimatnahen« Verwahrung dieser Menschen oder in deren gesellschaftlichem Ausschluss in den großstädtischen Randbezirken. »Flüchtlinge sind menschlicher Abfall, der dort, wo er eintrifft und sich vorübergehend aufhält, keine nützliche Rolle einzunehmen und in der neuen sozialen Umgebung weder die Absicht noch die realistische Aussicht auf Assimilation oder Eingliederung hat.« Asylbewerber bewegen sich zudem in einem staatenlosen Raum, der sie außerhalb jeglichen Gesetzes stellt. Ihre Chance auf eine vollkommene und legitime Wiederaufnahme in die Gesellschaft ist außerordentlich gering. Sie landen meist an den Orten, die Baumann die »Müllhalden« unserer Zivilisation nennt.

Die Geschichte, in der und mit der wir wachsen, habe kein Interesse an Abfall, schreibt Baumann. Dies sei gleich aus mehreren Gründen fatal. Die entstehenden Berge »menschlichen Überschusses« besteige die Menschheit weder tatsächlich noch theoretisch, »so wie wir nicht in Problemvierteln spazieren gehen, in armseligen Straßen, städtischen Ghettos, Asylbewerberlagern oder anderen Gegenden, von deren Betreten abgeraten wird.« Was folgt, ist nicht nur die ein folgenschweres Desinteresse an den tatsächlichen Herausforderungen der Gegenwart, sondern eine grundsätzliche Angst vor dem Fremden, das – im Ghetto isoliert – ein Schattendasein fristet, in dem Frustration und Extremismus ein fruchtbaren Boden finden.

Die einzige Schwäche dieses wichtigen Buches sind fehlende Belege, Baumann verharrt vollkommen im essayistischen. Er lässt seinen Ausführungen weder Zahlen noch wissenschaftlich relevante Daten zukommen, einzig etwas Zeitungsmaterial dient der Unterstützung seiner Thesen. Seine düstere Logik des Fortschritts trifft dennoch ins Mark. Zygmunt Baumann leistet mit diesem Buch einen nachdenklich stimmenden Beitrag zur gesellschaftlichen Lage unserer Zeit.