Der zweite Band der monumentalen Werkmonografie des Architekten Frank Lloyd Wright erzählt in Text und Bild von schwimmenden Fundamenten und schwebenden Traumhäusern.
Er ist eine Ikone, nicht nur der modernen Architektur, sondern der US-amerikanischen Kulturgeschichte. Frank Lloyd Wright ist Amerikas größter Architekt – bis heute. Sein Werk umfasst zahlreiche Bauwerke, darunter eine Vielzahl seiner berühmten Prairie-Houses, das Imperial-Hotel in Tokio, das Kaufmann-Wohnhaus »Fallingwater« in Mill Run (Pennsylvania) oder das Guggenheim-Museum in New York. Neben den circa 500 verwirklichten Bauwerken existieren etwa noch einmal so viele Skizzen und Entwürfe, die der Nachwelt noch weitgehend unbekannt sind. Diese verborgenen Architektur- und Kunstschätze zugängig zu machen, hat sich der renommierte Taschen-Verlag vorgenommen. In einer dreibändigen Monografie will er Wrights Gesamtwerk veröffentlichen. Im vergangenen Herbst erschien der erste Band, der die Jahre 1943 – 1959 ins Auge nahm.
Der nun vorliegende zweite, etwa sechs Kilo schwere Foliant nimmt die abwechslungsreichen Jahre 1917 – 1942 in den Blick. Möglicherweise ist es der wertvollste Band der Monografie, denn in den Jahren 1924 bis 1930 wurde kaum ein Entwurf Wrights realisiert. Seine kongenialen und utopischen Entwürfe eines Aussichtsturms für Autofahrer mit Spiralauffahrt und Panoramaplattform (eine Vorform der Guggenheim-Spirale), eines gigantischen Bürokomplexes aus »Kupfer, Beton und Glas« in Transistoroptik oder einer New Yorker Stahl-Kathedrale sind bis heute nur Insidern bekannt. Der zweite Band der Monografie ist somit eine Art Schatzkiste, deren Geheimnisse jetzt gelüftet werden.
Wright entwarf in dieser Periode aber auch einige seiner berühmtesten und für die damalige Zeit fortschrittlichsten Gebäude. So z.B. das Impeho (Imperial-Hotel) in Tokio. Als eines der wenigen Häuser überstand es das schwerste Erdbeben der japanischen Geschichte, bei dem mehr als 100.000 Menschen starben. Japans Hauptstadt glich nach dem Beben einem Trümmerfeld, das Impeho jedoch war nahezu unversehrt.
Das Geheimnis des Gebäudes lag in einer Kombination aus einem auf einer Lehmschicht »schwimmenden« Fundament, unzähligen, in den Boden gerammten Betonpfeilern und einer Deckenkonstruktion mittels Freiträgern. Während die Lehmschicht die Erdstöße wie Kissen abfederte, verteilten die Betonpfeiler das Gewicht der Gemäuer gleichmäßig auf das Fundament. Die Decken lagen nicht wie üblich auf den Außenwänden, sondern wurden von auf Säulen montierten Freiträgern »wie ein Tablett von einem Kellner, mit erhobenem Arm und in der Mitte von Fingern« gehalten. Diese revolutionären Entwürfe wurden damals kontrovers diskutiert, die Zweifel an der Funktionalität des Gebäudes verstummten jedoch nach dem Beben.
Im Anschluss an den Auftrag in Tokio kehrt Wright nach Amerika zurück und durchlebt zunächst einige turbulente Jahre. Seine angespannte berufliche Situation wird überdeckt von privaten Eskapaden. Von seiner ersten Frau Catherine wurde er 1922 geschieden, nachdem er bereits seit acht Jahren sein Leben mit Miriam Noel teilte. Noel verließ ihn jedoch nur ein Jahr später. Wright fand in seiner Enttäuschung Zuflucht bei der russischstämmigen Olgivanna Lazovich Hinzenberg, die ihm seine Töchter Iovanna und Svetlana schenkte und wesentlichen Einfluss auf sein Schaffen in den folgenden Jahren ausübte. Der amerikanische Autor T.C. Boyle hat diese Eskapaden Wrights 2009 in seinem Roman »Die Frauen« eindrucksvoll zu einem Drama verdichtet.
Die schlechte Auftragslage in den 1920er Jahren schien Wrights Kreativität jedoch kaum etwas auszumachen. In Tokio entwarf er mit der Jiyu-Giakuen-Schule ein sonnendurchleuchtetes »Pädagogium« – ein Ort des Lehrens und Lernens, wie man ihn sich heute wünscht. Zahlreiche Wohnhäuser entwarf er in Betonblocksteinoptik, wobei er dem kalten Stein seine Seele zu entlocken wusste, indem er den Oberflächen Strukturen gab. Zugleich nutzt er die Auftragsflaute, um seinen Landsitz Taliesin zu erneuern (zahlreiche Entwürfe und Fotografien für An-, Um- und Neubauten in Taliesin finden sich in dem Folianten), fertigte Titelblätter für verschiedene Magazine und schrieb an verschiedenen Aufsätzen sowie seiner Biografie.
Die Zeichnungen und Entwürfe, die in dieser Zeit entstanden sind, lassen die Rationalität der Architektur verschwinden und faszinieren in ihrer Farbenpracht und Verspieltheit. So erinnert die perspektivische Ansicht seines Entwurfs eines Kurhotels für Alexander Chandler an Gustav Klimt und seine Blätter für verschiedene Architekturmagazine lassen an Titelblattentwürfe der Studenten des Weimarer Bauhauses denken. Dies zeigt nicht zuletzt, dass Wright als Architekt und Künstler auch ein Mittler zwischen den Welten war.
Anfang der 1930er Jahre, kurz nach dem Börsencrash, gründete Wright auf seinem Landsitz eine Architekturschule, die Talliesin Fellowship. Hier sollte der Nachwuchs das Handwerk lernen, vom Bauhandwerk über das Zeichnen und Entwerfen eines Gebäudes bis hin zur Übernahme der Bauaufsicht. Finanziert wurden die zahlreichen Modelle und Entwürfe von dem Geschäftsmann Edgar Kaufmann. Als Dank errichtete ihm Wright sein bis heute berühmtestes Gebäude Fallingwater.
Fallingwater ist Realität gewordene Utopie, Architektur in ihrer absoluten Perfektion, ohne dabei die Harmonie der Natur zu brechen. Es ist fast so, also würde dieses über dem Wasser schwebende Traumhaus im wahrsten Sinne des Wortes der Schönheit der Natur die Krone aufsetzen. Es ist ein geradliniges Gebäude inmitten eines im tiefen Wald verborgenen Wasserfalls, das aus mehreren, ineinander verschachtelten Etagen besteht, die wiederum mit dem Felsgestein, auf dem sie gebaut sind, verschmelzen. »Fallingwater ist eine große Wohltat – eine der größten Wohltaten auf dieser Erde« sagte Wright später zu seinen Schülern über sein kongeniales Meisterstück, welches heute unter dem Schlagwort Green Architecture als Idealtyp laufen könnte. »Ich glaube, dass dieser Ausgewogenheit und großen Ruhe bisher nichts gleichgekommen ist, wo sich Wald und Bach und Fels und alle Strukturelemente so lautlos vereinigen, dass man überhaupt keinem Geräusch lauscht, obschon es die Musik des Baches gibt. Doch Fallingwater hört man so zu, wie man der ländlichen Ruhe lauscht.«
Noch viele andere spektakuläre Entwürfe und Gebäude sind in diesem Band versammelt, etwa das Johnson-Verwaltungsgebäude in Racine (Wisconsin), dessen Decken und Etagen von Säulenpilzen getragen werden, die in den 1960er Jahren bei amerikanischen Tankstellen verwendet wurden. Oder das Haus »Wingspread« des Großunternehmers Herbert F. Johnson, bei dem das Wort Gebäudeflügel aufgrund der »gespreizten« Anlage des Baus wörtlich genommen werden muss. Futuristisch auch der Entwurf eines Bürgerzentrums für die Stadt Madison, bei dem von Wasser umspielte Kuppeln wie Kristalle am Ufer des Lake Monona glänzen und die Trägheit der Staatsmacht mit den Mitteln der Architektur in Leichtigkeit verwandeln.
Auf zahlreichen Seiten werden deine Entwürfe für »Taliesin West«, einer imposanten Erweiterung seines Landsitzes, detailliert aufgelistet und erläutert. Die Mühsal der Arbeiten daran werden mit historischem Fotomaterial untermauert und das Ergebnis mit den beeindruckenden Aufnahmen des renommierten Architektur-Fotografen Ezra Stoller belegt.
Das Zusammenspiel aus – je nach Bedeutung – mehr oder weniger kurzen Beschreibungen der Bauwerke und ihrer Entstehungsgeschichte aus der Feder des Wright-Schülers Bruce Brooks Pfeiffer, ersten Skizzen, Rohentwürfen und detaillierten Bauplänen, historischen Fotoaufnahmen von Bauphasen oder gerade fertig gestellten Gebäuden sowie der späteren Aufnahmen exzellenter Architekturfotografen wie Julius Shulman oder Ezra Stoller setzt Wrights kongeniales Schaffen ideal in Szene und trägt beträchtlich dazu bei, den Wissenshorizont zu seinem Gesamtwerk zu erweitern.
Der amerikanische Architekturkritiker Robert Campbell bezeichnete Wright als den »größten Künstler«, den die USA jemals hervorgebracht haben. »All die anderen großen Künstler – unsere Maler, Bildhauer, Komponisten – können mit den ganz Großen nicht wirklich mithalten. Es sind keine Rembrandts oder Michelangelos oder Beethovens. Allein [Frank Lloyd] Wright ist von diesem Kaliber.« Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
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