Drei aktuelle Publikationen widmen sich in unprätentiöser Manier der Lage der Bürger- und Menschenrechte. Der aktuelle Grundrechte-Report nimmt die Lage in Deutschland in den Blick, das Jahrbuch von Amnesty International ist der weltweiten Lage der Menschenrechte gewidmet und der Katalog zum diesjährigen World-Press-Photo-Award liefert neben aufregenden Fotografien auch die teils bedrückenden Bilder zur Menschenrechtslage weltweit.
Das weltbeste Pressefoto des vergangenen Jahres ist dem Spanier Samuel Aranda im Jemen gelungen. Es zeigt die Jemenitin Fatima al-Qaws, die ihren 18-jährigen Sohn Zayed in den Armen hält. Sie hat ihn in einem Feldlazarett der politischen Opposition gefunden, wo er, niedergeknüppelt von Regierungstruppen, zwei Tage lang im Koma lag. Das Vergehen des 18-Jährigen lag darin, dass er an den Protesten gegen die autoritäre jemenitische Regierung des ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh teilgenommen hatte. Behütend schließt die Mutter ihren versehrten Jungen in die Arme, der, von einer Tränengasgranate getroffen, sein Gesicht in ihre Halsbeuge gelegt hat. Sein geschundener Oberkörper ist nackt, während die Mutter in einen Ganzkörperschleier gehüllt ist. Das Bild wirkt wie eine moderne Form der in der Kunstgeschichte immer wieder zitierten Marienlegende. Amnesty International spricht im Zusammenhang mit den jemenitischen Protesten von »exzessiver Gewaltanwendung« und »willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen sowie Verschwindenlassen«. Insofern ist die Geschichte, die das mit dem World Press Photo Award 2012 ausgezeichnete Bild erzählt, wohl noch eine mit einem relativ guten Ausgang.
Im Jahr 2011 spielten die Proteste in der arabischen Welt sowohl bei der medialen Berichterstattung als auch bei der Frage nach den Menschenrechten eine wichtige Rolle. Entsprechenden Raum nehmen diese auch in beiden Publikationen ein. Im Jahresbericht von Amnesty International (ai) heißt es dazu, dass sich im vergangenen Jahr »der aufgestaute Druck einer heranwachsenden Generation« in den Aufständen und Protesten entladen habe – von Tunesien, Ägypten, Algerien und Libyen über Bahrain, Jemen, und Jordanien bis hin zu Syrien, wo die Aufstände, ähnlich wie in Libyen, in einen bitteren Bürgerkrieg mündeten. Der syrische Konflikt hält die Welt immer noch in Atem, wenngleich die Informationen, die aus dem Land sickern, mit Vorsicht bewertet werden müssen; unabhängige Berichterstattung ist kaum möglich. Entsprechend finden sich unter den weltbesten Pressefotografien auch keine Bilder aus Syrien.
Die Fotoberichterstattung von den arabischen Aufständen bildeten 2011 dennoch einen Schwerpunkt, sei es bei den Einzelfotos – hier vertreten durch Samuel Arandas Foto von Fatima al-Qaws und ihrem Sohn (Kategorie: Menschen in den Schlagzeilen), durch Alex Majolis Aufnahme wütender Tahrir-Platz-Demonstranten (Kategorie: Reportagen) sowie durch Yuri Kozyrevs Aufnahme von in Deckung gehenden libyschen Rebellen (Kategorie: Harte Fakten) – oder im Bereich der Fotoserien – hier vertreten durch die beeindruckenden Fotoreportagen des Franzosen Rémi Ochlik aus Libyen (Kategorie: Reportagen) sowie durch die Ägypten-Serien des dänischen Fotografen Jan Dago (Kategorie: Menschen in den Schlagzeilen) und des Italieners Eduardo Castaldo (Kategorie: Harte Fakten).
Aber Amnesty International macht in seinem Jahresbericht auch deutlich, dass nicht nur die arabischen Staaten einen seltsamen Umgang mit friedlichen Protesten und Aufstände pflegen. Die Niederschlagung bzw. Unterbindung der Proteste in Nordamerika und Europa im Zuge der Euro-Krise, die sog. Occupy-Bewegung, ist ein Beispiel dafür, aber auch die Niederschlagung der Oppositionsmärsche in Moskau und anderen osteuropäischen Staaten. Der Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation, der Inder Salil Shetty, schreibt in seinem Vorwort: »Ob auf dem Kairoer Tahrir-Platz, im New Yorker Zucotti-Park oder auf dem Moskauer Manege-Platz – die Protestkundgebungen machten deutlich, wie schnell Regierungen tätig wurden, wenn es darum ging, friedliche Proteste zu unterbinden und die Rechte auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit zu beschneiden.«
Wie eng Journalismus und die Beobachtung der Menschenrechtslage beieinanderliegen, wird aber auch an anderen Beispielen deutlich, etwa am Iran, der mit der weltweit geächteten Praxis der Todesstrafe am Strang in beiden Publikationen aufgeführt wird. Hier liefern die World Press Foto Awards die traurigen Belege dieser abscheulichen Strafpraxis. Gleiches gilt für das Thema Gewalt an Frauen und Zwangsverheiratungen, die in beiden Erscheinungen anhand der Beispiele in verschiedenen Staaten thematisiert werden (Kategorie in beiden Fällen: Aktuelle Themen).
Der ai-Jahresbericht bietet ferner die Möglichkeit, einigen Grundfragen nachzugehen, denn er dokumentiert die drängendsten Menschenrechtsprobleme weltweit sowie in den einzelnen Regionen und Staaten. Auffallend dabei ist, dass die hierzulande oft zitierte Verfolgung religiöser bzw. christlicher Minderheiten im Jahresbericht 2012 kaum eine Rolle spielt. Ein Blick auf die einzelnen Weltregionen macht dies deutlich.
Auf dem afrikanischen Kontinent liegen die größten Probleme in der politischen Repression von Oppositionellen, die oft in gewalttätigen politischen Konflikten münden. Erschreckende Ausmaße hat laut ai inzwischen die islamistische Gewalt, von der alle nicht-islamischen Bevölkerungsgruppen betroffen seien. Besonders betroffen von Verfolgung, Gewalt, Repression und Diskriminierung sind in Afrika Flüchtlinge und Migranten, Frauen und Homosexuelle.
Im Nahen Osten und Nordafrika stellen erwartungsgemäß die Aufstände und deren detaillierte Untersuchung den Schwerpunkt der Beobachtung der Menschenrechtslage dar. In den Hintergrund geraten sind dabei die vielen Diskriminierungstatbestände in den einzelnen Staaten aufgrund von Geschlecht, ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit, nationaler Herkunft oder der sexuellen Orientierung.
In Nord- und Südamerika listet der Bericht Probleme im Umgang mit den indigenen Völkern, den fehlenden Schutz von Frauen- und Migrantenrechten sowie die immer noch nicht abgeschlossene Aufarbeitung der süd- und mittelamerikanischen Diktaturen und die damit verbundene Straflosigkeit vieler Täter auf. Die Antiterror-Politik und die daraus ableitbaren Sicherheitsmaßnahmen sowie die Praxis der Todesstrafe stellen einen Kernbereich der Kritik an der Menschenrechtslage in den USA dar.
Im Raum Asien/Pazifik wird die Diskriminierung religiöser Minderheiten am ausführlichsten beschrieben. Aber auch hier stehen nicht die christlichen Minderheiten im Fokus. Explizit als Verfolgte genannt werden Schiiten (in Belutschistan), Ahmadiyya (in Bangladesh, Indonesien, Malaysia, Pakistan), Uiguren (in China) und Tibeter (in Tibet, China) und andere muslimische Minderheitengruppen. Ethnische und religiöse Diskriminierung in der Region können oftmals ursächlich für bewaffnete Konflikte und jahrelange Aufstände herangezogen werden, heißt es im Bericht.
In Europa macht Amnesty International aufmerksam auf die zahlreichen repressiven Maßnahmen autokratischer Regime in einigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion. In Weißrussland, Turkmenistan, Usbekistan, Aserbaidschan, Kirgisistan, Tadschikistan, Kasachstan und Russland selbst sowie in der Türkei sei das Recht auf freie Meinungsäußerung in Gefahr. Außerdem kritisiert die Menschenrechtsorganisation den Umgang mit Flüchtlingen und Migranten in der Festung Europa, die in allen Staaten feststellbare Diskriminierung von Minderheitengruppen: »In vielen Ländern Europas und Zentralasiens waren Angehörige ethnischer Minderheiten Feindseligkeiten und Diskriminierung ausgesetzt – häufig geschürt von populistischen Parteien der extremen Rechten. Lesben, Schwule, Transgender und Bisexuelle, Roma, Migranten und Muslime wurden Opfer von gewaltsamen Angriffen, die durch hass motiviert waren. Hassverbrechen wurden jedoch aufgrund von Gesetzeslücken, einer mangelhaften Erfassung, unzulänglichen Ermittlungen, Mängeln in der Strafjustiz und fehlenden Vertrauen in die Polizei weiterhin nur unzureichend bekämpft.«
Für Deutschland führt der ai-Jahresbericht die Flughafenknäste für Asylsuchende und Flüchtlinge, die Abschiebepolitik von Roma und Aschkali in den Kosovo sowie die Schlechterstellung von Asylsuchenden bei den Sozialleistungen auf. Außerdem werden Berichte zu Misshandlungen und Fehlverhalten durch Polizisten aufgeführt sowie staatliche Antiterrormaßnahmen wie Rückführungen von ausländischen Verdächtigen in Länder, wo ihnen Verfolgung droht, kritisiert. Nicht unterschlagen wird der umstrittene Panzerdeal mit Saudi-Arabien.
Tiefergehende Informationen zur Lage der Menschen- und Bürgerrechte in Deutschland bietet der Grundrechte-Report 2012, den die Humanistische Union Ende Mai gemeinsam mit dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, dem Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen, dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, der Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen, der Internationalen Liga für Menschenrechte, der neuen Richtervereinigung sowie der Flüchtlingshilfsorganisation PRO ASYL vorstellte. Der Report, der zum 16. Mal erschienen ist, dokumentiert nicht wie der ai-Jahresbericht eine Einschätzung der Lage von Bürger- und Menschenrechten, sondern konkrete Eingriffe in selbige.
Der Bericht umfasst knapp 200 Seiten und listet 41 Eingriffe in bzw. Verstöße gegen die Grund- und Menschenrechte auf. »Die Themen gehen uns nicht aus«, stellen die Herausgeber ihrem Bericht entsprechend voran. Die Palette reicht dabei von der menschenunwürdigen Unterbringung im Strafvollzug (»Auch die Würde eines Gefangenen ist unantastbar!«) über den Einsatz von Staatstrojanern (»Bewusste Fahrlässigkeit oder frecher Rechtsnihilismus?«), die endlose Debatte um ein Bleiberecht für langjährig Geduldete (»Aspekte wie Humanität, Menschenwürde oder Familienzusammengehörigkeit sind […] zweitrangig.«), die Gefährdung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit durch den Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei (»Weder werden ausreichende Maßnahmen getroffen, um bei dem Einsatz Unbeteiligte nicht zu gefährden, noch kann beobachtet werden, dass den betroffenen Personen Erste-Hilfe-Maßnahmen zuteilwerden.«) bis hin zum eingeschränkten Adoptionsrecht der Lebenspartner (»Ungleichheit zum Nachteil der Kinder«), dem Einsatz der Bundeswehr zur Durchsetzung nationaler Interessen (»In Anbetracht dessen drängt sich die Frage auf, inwieweit die Sicherheitspolitik dieser Republik den Boden des Grundgesetzes nicht längst verlassen hat.«) sowie der Sicherheitsverwahrung (»Die deutsche Resistenz gegenüber EMRK [Europäische Menschenrechtskonvention, A.d.A.] und Renitenz gegenüber dem EGMR [Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, A.d.A.]) ist besorgniserregend.«).
Der Bericht nimmt auch die staatlichen Aktionen im Zusammenhang mit Demonstrationen und Proteste in den Blick, etwa die vom Bundesverfassungsgericht ermöglichte Strafbarkeit von Sitzblockaden aufgrund von Nötigung (»eine weit hergeholte Gewaltkonstruktion«) oder die Beobachtung bzw. Videoüberwachung von Demonstrationen mithilfe von Drohnen (»Das Wissen um solch heimlich operierende Luftspione und Überwachungstechniken kann Menschen in besonderem Maße davon abhalten, ihr Grundrecht auf Versammlung auszuüben«).
Auch die Blindheit auf dem rechten Auge von Sicherheitsbehörden und Justiz sowie die besondere Zuwendung zum linken Spektrum selbiger Behörden haben Eingang in den Bericht gefunden. So wird die sog. Demokratieerklärung zur Bestätigung der eigenen verfassungstreue und der der Kooperationspartner als demokratiegefährdend kritisiert (»Diesbezüglich liegt die Vermutung nahe, dass politische Abgrenzungsbedürfnisse gegen linke Positionen bislang stärker sind als die Einsicht, dass Demokratie auch gefährdet wird, wenn sie durch die Einschränkung von Grundrechten verteidigt werden soll.«) Zugleich wird der Verfassungsschutz als »unbelehrbar« bezeichnet, die Frage nach den Kriterien aufgeworfen, wonach ausländische Organisationen als »terroristische Vereinigung« eingestuft werden und das Verhalten von Polizeibehörden kritisch betrachtet (»Zusätzlich erforderlich ist eine unabhängige Kontrollinstanz, welche die Arbeit der Polizei überwacht.«
Aus säkularer Perspektive sind die Beiträge zum Streikrecht in der Kirche (Verstoß gegen das Versammlungsrecht gemäß Artikel 8) und den Staatsleistungen an die Kirchen (Verstoß gegen die Unverletzlichkeit der Freiheit des Glaubens und des Gewissens gemäß Artikel 4). So kritisiert Johann Albrecht-Haupt in seinem Beitrag zu den Staatsleistungen, dass die politisch maßgeblichen Kräfte in den Parteien, Parlamenten und Regierungen aufgrund ihrer »großen Kirchennähe« den Verfassungsauftrag einer Ablösung der Staatsleistungen weiterhin missachten und weiterhin unberechtigte Leistungen an die Kirche zahlen. Die historische Rechtfertigung für die weitere Gewährung der Staatsleistungen habe längst ihre Berechtigung verloren, so der Verwaltungsjurist der Humanistischen Union. Der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeits- und Steuerrecht Dr. Till Müller–Heidelberg kritisiert in seinem Beitrag zum Streikrecht in der Kirche, dass diese ihr Selbstverwaltungsrecht nach Artikel 137 Absatz 3 Weimarer Reichsverfassung zu weit auslege, da sie dieses nur innerhalb der Schranken des für alle geltenden Rechts ausüben dürfe. Entsprechend müssten Arbeitskämpfe innerhalb der Kirche auch in vollem Umfang ausgetragen werden dürfen. Müller-Heidelberg kommt zu dem Schluss: »Es bleibt zu hoffen, dass nun endlich auch Bundesarbeits- und Bundesverfassungsgericht ihre alte Rechtsprechung überprüfen und den Verfassungsauftrag ernst nehmen, dass auch die Kirchen – nach dem Staat der größte Arbeitgeber – das allgemeine Arbeits- und Arbeitskampfrecht anzuwenden haben. Etwas anderes ist aus dem Grundgesetz und der Weimarer Reichsverfassung nicht abzuleiten.«
Die Lage der Menschen- und Bürgerrechte weltweit und in Deutschland ist weiterhin prekär. Insbesondere Minderheitengruppen und Andersdenkende sind staatlichen und gesellschaftlichen Repressionen ausgesetzt. Die Folgen für den einzelnen sind je nach Schauplatz und Vorgang unterschiedlich und reichen von einer drohenden Todesstrafe bis hin zur Einschränkung persönlicher Rechte und Freiheiten. Die Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden können, sind jeweils höchst unterschiedlich. Sinnvoll ist stets der kritische Blick einer aufmerksamen Öffentlichkeit, die diese Politiken nicht hinnimmt. Die vorgestellten Publikationen tragen zur Bildung einer solchen Öffentlichkeit wesentlich bei.