Film

Fressen und Gefressen werden

Der rumänische Regisseur Calin Peter Netzer erzählt in seinem Psychodrama »Poziţia Copilului« eine bedrückende Geschichte von Macht, Einfluss und Korruption am Rande und im Herzen der gegenwärtigen rumänischen Gesellschaft.

Cornelia führt inmitten der von Armut gezeichneten rumänischen Gesellschaft ein Wohlstandsdasein. Die 60-Jährige lebt an der Seite eines erfolgreichen Geschäftsmannes, gehört zur rumänischen High Society und weiß, wie man kämpfen muss, um weiterhin oben mitzuschwimmen. Die darwinistischen Prinzipien des »Fressen und Gefressen werden« haben sich in der gut betuchten Kleinfamilie bislang immer als richtig erwiesen. Kein Wunder also, dass sich Cornelia (Luminita Gheorghiu) auch für das Ausspielen ihrer Stärken und Trümpfe entscheidet, als es darum geht, ihren einzigen Sohn, den 34-jährigen Barbe (Bogdan Dumitrache), vor dem Gefängnis zu bewahren.

Das melancholisch-depressive Nesthäkchen Barbu steht bereits mit einem Bein im Knast, denn er hat vor den Toren von Bukarest einen kleinen Jungen überfahren, als er sich auf der Autobahn ein kleines Duell mit dem Fahrer eines anderen Luxusmobils geliefert hat. Er selbst gesteht seine Verantwortung kleinmütig, stellt sich bereitwillig für die obligatorischen Tests zur Verfügung. Bis seine Mutter Cornelia in Begleitung seiner Tante Olga (Natasa Raab) auf der Polizeistation auftaucht und die Sache an sich zieht. Ihre Argumente bestehen nicht aus Worten, sondern aus einer Mischung aus Einfluss und gebündelten Geldscheinen.

Cornelia in »Child’s Pose« | © Cos Aelenei

Um ihren Sohn zu retten, lässt die alles andere als sympathische Cornelia nichts unversucht. Sie setzt die ermittelnden Polizisten unter Druck, versucht den Augenzeugen zu bestechen, damit er seine Aussage »korrigiert« und bietet der in ärmlichen Verhältnissen lebenden Familie des verunglückten Kindes an, die Kosten der Beerdigung zu tragen – in der Hoffnung, diese würden dann die Anzeige gegen Barbu zurückziehen. Am Ende ist sie sich nicht einmal zu schade, ihren »einzigen Sohn« gegen die verbleibenden zwei Kinder der Familie des toten Jungen in Stellung zu bringen. Fassungslos wohnt man diesem selbstverständlichen Spiel auf der Klaviatur der Dreistigkeiten bei.

Der rumänische Regisseur Calin Peter Netzer erzählt in seinem Psychodrama Poziţia Copilului, das noch in diesem Jahr in die deutschen Kinos kommen soll, eine Geschichte von Macht, Einfluss und Korruption. Auf einer zweiten Ebene erzählt der Film von der psychischen Gewalt, die sich innerhalb einer Familie abspielen kann. Denn die Beziehung zwischen Cornelia und Barbu ist alles andere als harmonisch.

Carmen und Cornelia in »Child’s Pose« | © Cos Aelenei

Barbu hat die Nase voll von der Bevormundung durch seine Mutter. Er ist ausgezogen und lebt mit seiner Freundin Carmen, die Cornelia als einzige Widerstand leistet und somit die meisten Sympathiepunkte bekommt, in einer eigenen Wohnung. Cornelias Einsatz für das Wohl ihres einzigen Sohnes ist alles andere als selbstlos. In ihrer krankhaften Mutterliebe wittert sie die Chance, sich ihrem Sohn wieder anzunähern, ihn zurückzuerobern aus den Klauen von Carmen, aus dem Untersuchungsgefängnis und aus dem moralischen Druck seiner Schuld.

Ohne Zweifel brilliert Luminita Gheorghiu in der Rolle der Cornelia und zeigt uns diese jederzeit berechnende Frau als überaus präsente Persönlichkeit. Zugleich wird in dieser manipulierenden Frauenrolle auch deutlich, dass die von Dieter Kosslick versprochenen starken Frauen nicht automatisch auch sympathische Frauen sind. In ihrer Vehemenz und Selbstverständlichkeit, den eigenen Sohn um jeden Preis vor einer Strafe zu schützen und dabei auch noch den geringsten Anspruch von Recht und Gerechtigkeit mit den Füßen zu treten, bleibt sie dem Zuschauer fremd und auf Distanz.

Das Ignorieren der Opfer verursacht in diesem Film einen verblüffenden Effekt: Gerade weil um die Opfer, vor denen sich Calin Peter Netzer am Ende von Poziţia Copilului verneigt, in diesem gesellschaftspolitischen Film eine Sperrzone errichtet wird, sind sie permanent gegenwärtig und treten in den emotionalen Vordergrund des Cineasten.

Netzer zeichnet ein abschreckendes, aber realistisches Bild seiner Heimat. Seine Botschaft lautet, dass sie sich dringend verändern muss.

1 Kommentare

Kommentare sind geschlossen.