Der Gründer des Komitee Cap Anamur und Vorsitzende des Friedenskorps Grünhelme e.V. Rupert Neudeck kritisiert in seinem Buch »Die Kraft Afrikas. Warum der Kontinent noch nicht verloren ist« die afrikanischen Eliten und fordert den Ausstieg aus der »alten« Entwicklungshilfe.
Herr Neudeck, warum ist Afrika noch nicht verloren, wie der Untertitel ihres aktuellen Buches unterstellt?
Rupert Neudeck: Meine Erfahrungen lassen mich optimistisch sein, dass jetzt die Generation kommt, die den Kontinent zu besseren Ufern bringen wird.
Was muss sich dafür ändern?
Die afrikanischen Staaten müssen sich selbst organisieren können, sich selbst entwickeln und selbst Anschluss auf dem globalisierten Markt finden. Die afrikanischen Staaten wurden nie gezwungen, sich selbst aus dem Morast zu ziehen.
Das Grundübel in Afrika sind die Eliten. Warum bringt Afrika so wenig verantwortungsbewusste Führungsfiguren hervor?
Das ist die Frage, die wir immer noch nicht schlüssig beantworten können. Das oft vorgebrachte Argument, Afrikanern fehle es an Disziplin, erscheint mir nicht ausreichend. Zu Zeiten der Befreiungskriege habe ich einige absolut zuverlässige, disziplinierte und moralisch integre Eliten erlebt. Danach allerdings haben sie sich in ihrer Macht eingerichtet und alles vergessen, was sie vorher gesagt hatten.
Befördern die entwickelten Staaten diesen Machtmissbrauch, weil sie schlechte Regierungsführung zu selten sanktionieren?
Nicht wir, sondern die afrikanischen Bevölkerungen müssen ihre schlechten Regierungen abstrafen. Und sie tun es. Momentan werden wir Zeuge einer Abstimmung mit den Füßen. Hunderttausende junge Afrikaner verlassen ihre Länder und rechnen so mit ihren Regierungen ab. Wir können nur hoffen, dass die jungen afrikanischen Kräfte bald bereit und in der Lage sind, nicht mehr zu fliehen, sondern ihre schlechten Regierungen abzusetzen.
Wird das demokratisch geschehen?
Ja, aber in ihrem Sinne. Ich glaube, dass die afrikanischen Gesellschaften politische Umgangsformen haben, die nicht unseren demokratischen Vorstellungen entsprechen. Dennoch entwickeln sie sich, aber unter ihren eigenen Bedingungen.
Sie kritisieren in ihrem Buch die westliche Entwicklungshilfe als hinderlich für ein erfolgreicheres Afrika.
Bereits das Wort Entwicklungshilfe finde ich inzwischen falsch, auch wenn mir kein besseres einfällt. Die allgemeine Vorstellung, mit unserer Entwicklungshilfe brächten wir den Afrikanern die ideale Lebensform, halte ich für falsch. Wir müssen anerkennen, dass es in Afrika andere, wertvolle Lebenskulturen gibt.
Betreiben wir falsche Entwicklungshilfe?
Wenn wir damit Regierungen alimentieren, schon. Nehmen wir z.B. Angola, ein an Ölvorräten und Landwirtschaft unglaublich reiches Land. Im Normalfall braucht Angola ganz sicher kein Entwicklungshilfebudget – was es aber hat. Und die Regierung hat sich in diesem Budget eingerichtet. Während die EU Angolas Kleinbauern ernährt, schafft die angolanische Regierung neue Waffensysteme an oder kauft Privatjets für die Einkaufstouren der First Lady in Übersee. Solange wir die Verantwortung der afrikanischen Regierungen wahrnehmen, verlieren diese die Fähigkeit, selbst für ihr Land zu sorgen.
Das klingt wie eine Ausstiegsforderung aus der Entwicklungshilfe.
Wir waren immer der Ansicht, dass Entwicklungshilfe ein Anfang und ein Ende hat. Nur haben wir leider das Ende vergessen. Wir haben uns stattdessen ganze Bataillone an bestbezahlten Entwicklungshelfern erfunden und nun Schwierigkeiten, diese wieder abzuschaffen.
Krise, Kriege, Klimawandel – drei K’s, die gegen den Anschluss Afrikas ohne Unterstützung von außen sprechen.
Unabdingbar ist unsere Erkenntnis, dass der Kontinent den Anschluss allein schaffen muss. Wir müssen uns selbst weniger wichtig und die afrikanischen Länder stärker in die Pflicht nehmen. Dabei machen wir bis heute viele Fehler. Das entbindet die Afrikaner aber nicht, auch selbst zu schauen, wie es um ihren Kontinent steht.
Rupert Neudeck, geb. 1939, ist Journalist und war jahrzehntelang als Not- und Entwicklungshelfer tätig. Er ist u.a. Träger des Marion-Dönhoff-Preises und des Europäischen Sozialpreises.