Fotografie

Das Ende der Natur

Der Hamburger Fotograf Henrik Spohler erkundet mit seinen Arbeiten die Grenzen unserer Zivilisation. Nach seinen Fotografien aus Rechenzentren und Hightechfabriken legt er nun Bilder der industrialisierten Agrarwirtschaft vor, die uns die Kälte des Kapitalismus zeigen.

Wie viele Generationen wird es dauern, bis die Kindheitserinnerungen an unsere Ernährungsgewohnheiten und Lieblingsspeisen weg sind, weil es nichts Sinnliches mehr zu erinnern gibt? Diese Frage stellt sich automatisch ein, betrachtet man Henrik Spohlers Fotografien von Tomatenrispen in einem holländischen Gewächshaus, von jungen Salatpflanzen in einem süddeutschen Agrarbetrieb, von auf Gerüsten aufgesetzten Shitakepilz-Blöcken, von Labormais und Gengetreide unter Beobachtung, Erdbeeren oder Paprikapflanzen in Folienkultur. Auch wenn diese Früchte noch so perfekt aussehen, so bleibt die Assoziation eines Geschmacks bei ihrem Anblick aus.

Versammelt sind diese und andere Bilder über das Verhältnis von Mensch und Frucht in dem Bildband Der Dritte Tag. Sie sind das Ergebnis eines Projektes, dass den 1965 geborenen Fotografen Henrik Spohlers seit 2008 beschäftigt und das er seit 2010 aktiv verfolgt. Er wandelte zwei Jahre lang auf den Spuren der industriellen Agrarwirtschaft und suchte die Orte auf, an denen sich das Verhältnis des Menschen zur Natur gedreht hat und sich der Mensch die Natur »untertan« macht. Er besichtigte die gigantischen landwirtschaftlichen Anbauflächen in den Niederlanden und in Spanien, wo unter Folien die künstlichen Vegetabilien unserer Zeit entstehen. Er folgte der Spur der künstlichen Bewässerungssysteme im Süden der USA, wo mitten in der Wüste grüne Oasen geschaffen wurden, um den unersättlichen US-Markt mit Obst und Gemüse zu versorgen. Er besichtigte deutsche Forschungslabore, in denen die Formeln für die effizienten Hochleistungskulturen der Zukunft gesucht werden.

Henrik Spohler unterrichtet als Professor für Fotografie an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Die Verbindung der technischen und ökonomischen Dimensionen wird in seinen vielfach ausgezeichneten Arbeiten immer wieder deutlich. Er führt in seinen Fotografien die vermeintlichen Segnungen des technischen Fortschritts mit der Logik der kapitalistischen Leistungsgesellschaft zusammen und erzählt auf diese Weise von einer Zukunft, die längst Gegenwart ist. Dem Betrachter aber erscheinen die dabei entstehenden Perspektiven wie ein dystopischer Blick nach vorn.

In seiner Serie »0/1 Dataflow« ließ Spohler die Betrachter seiner Fotografien hinter die Kulissen riesiger Rechenzentren und Giga-Server blicken und zeigte ihnen auf diese Weise die leblose Kehrseite der vielversprechenden Internetwelt, in der die ablaufenden Prozesse weder sichtbar, noch nachvollziehbar sind. Die Fotografien der sinnentleerten hochtechnisierten Produktionsstätten der kapitalistischen Warenwelt von »Global Soul« konnten als Allegorie der Abschaffung des Menschen durch die Technik gelesen werden.

In der Serie »The Third Day« wirft Spohler nun ein Blick auf Orte, die es in unserem Bewusstsein gar nicht gibt, ohne die unser Dasein aber völlig undenkbar wäre. Seine geometrisch kühlen und leicht überbelichteten Fotografien der hocheffizienten Agrartempel und endlos optimierten Landwirtschaftszonen zeigen die von allem natürlichen losgelöste Wirklichkeit der landwirtschaftlichen Produktion unserer Zeit. Die Nahrungsmittelproduktion der Moderne braucht weder Sonnenlicht noch feuchte Erde. Was sie braucht, sind Kunstlicht, Kunstdünger, Kunsterde und gigantische Flächen.

Die Fotografien entlarven das Ende der Natur und decken den Triumph des Kalküls über selbige auf. Die selbst geerntete Erdbeere, die eigens gezogene Biotomate und die handverlesenen Äpfel gehören einer längst vergangenen Wirklichkeit an, die angesichts einer rasant wachsenden und rücksichtslos ressourcenvernichtenden Menschheit auch nicht zurückkommen wird.

Die Fotografien der Serie »The Third Day« sind im literaturgeschichtlichen Sinne utopisch. Jede einzelne Aufnahme zeigt ein »Utopia«, einen Nicht-Ort bzw. Un-Ort, dessen Existenz man sich in dieser rationalisierten Form nicht einmal in den kühnsten Träumen hätte ausmalen können. Weder die endlosen Folienstädte in Südspanien, unter deren Dächern in Farbe, Form und Haltbarkeit optimierte Früchte fern von natürlichem Licht und Tagesrhythmus gezogen werden, noch die unablässig bewässerten Farming-Oasen in den wüstenähnlichen Südstaaten der USA, wo inzwischen die Obst- und Gemüsevorräte der Nation produziert werden, sind vernünftigerweise denkbar. Auch die medizinisch sterilen Forschungslabore in Deutschland, wo unter Hochsicherheitsbedingungen an der perfekten Pflanze gearbeitet wird, will man sich vorstellen. Henrik Spohler nimmt uns mit seinen Fotografien die Unschuld, die mit dem Nicht-Wissen-Können und dem Nicht- Wissen-Wollen einhergeht. Er reißt uns das Tuch der Naivität von den Augen und zeigt uns, dass das Zeitalter der Vernunft vorbei ist.

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Henrik Spohler: Der Dritte Tag. Mit Texten von Christiane Stahl und Friedemann Schmoll. 55 Abbildungen. Hatje Cantz Verlag 2013. 96 Seiten. 35 Euro. Hier bestellen

Er setzt dabei auf eine scheinbar wertfreie Ästhetik, deren Wirkmächtigkeit in ihrer scheinbaren Neutralität liegt. Die Anordnung der Elemente auf seinen Fotografien ist stets geometrisch. Gerade Linien führen das Auge, Symmetrien und Wiederholungen leiten den Geist. Die Kunsthistorikerin Christiane Stahl bringt die Wirkung von Spoilers Ästhetik in ihrem Vorwort auf den Punkt: »Die strenge, in Raster gefügte Ästhetik des fotografischen Bildes thematisiert die vom Menschen gemachten, in ökonomischen Dimensionen gedachten Strukturen. Während wirtschaftliche Aspekte mitschwingen, wird Mathematisches über das ehemals Natürliche gelegt, um daraus wieder Natur erwachsen zu lassen. Hier wird die Geometrie zur Allegorie des auf den Naturraum angewandten menschlichen Ordnungssystems.«

Henrik Spohlers Fotografien erinnern in ihrer inneren Anordnung an die »Morphologie des Rasters« der großformatigen Aufnahmen von Andreas Gursky und in ihrer leichten Überblendung an die Fotografien von Peter Bialobrzeski in seinem preisgekrönten Band The Raw and the Cooked. Der Hamburger verfolgt mit seinen Arbeiten keinen geringeren Anspruch, als die Kulturlandschaften unserer Zivilisation zu erkunden. Er führt uns dabei unser erschreckend lebloses Dasein vor Augen.

Homepage des Fotografen mit Arbeiten aus den erwähnten Serien: www.henrik-spohler.de