In Alain Resnais »Aimer, Boire et Chanter« geht es um eine Person, die im Film nicht einmal auftaucht. Der todkranke George bleibt ein Mysterium – für die Zuschauer ebenso wie für seine Freunde, die ihm seine letzten Monate auf Erden angenehm gestalten wollen.
Gibt es einen passenderen Moment, alle Karten auf den Tisch zu legen, als kurz vor dem Tod, auch wenn es nicht der eigene ist? Reicht vielleicht auch das nahende Ende eines guten Freundes zur Besinnung? Dies hat sich auch der britische Autor Alan Ayckbourn gedacht und eine solche Situation in seinem Bühnenstück Life of Riley verarbeitet, eine satirische Version von Schillers Drama Kabale und Liebe.
Alan Ayckbourns französischer Namensvetter Alain Resnais hat dieses Kammerspiel in eine cineastische Versuchsanordnung übertragen. Sein Film Aimer, Boire et Chanter läuft im Wettbewerb der 64. Berliner Filmfestspiele. Im Mittelpunkt steht dabei der krebskranke George Riley, dem die Ärzte nur noch wenige Monate zu leben geben. George, so erfährt man es aus den Erinnerungen seiner Freunde, scheint ein prinzipientreuer, lebensfroher und liebenswerter Mensch zu sein. Sein nahender Tod lässt keinen seiner Freunde kalt. Zu diesen Freunden gehören die beiden Ehepaare Colin und Kathryn und Jack und Tamara sowie Georges Ex-Frau Monica. Zu diesem intimen Kreis stoßen noch die sechzehnjährige Tochter von Jack und Tamara (Tilly) sowie Monicas neuer Freund Simeon hinzu. Die beiden Ehepaare kommen auf die Idee, George zu fragen, ob er nicht bei ihrem Theaterstück mitspielen möchte. So könne er die letzten Wochen fröhlich mit seinen Nächsten verbringen. Gesagt, getan – die gemeinsame Zeit befördert Einiges zutage.
Das Personenkarussell dreht sich permanent durch diesen Film. Da ist Georges bester Freund Jack (Michel Vuillermoz), der seine Frau ständig mit jüngeren Frauen betrügt und sich als angepasster Verräter der gemeinsam beschlossenen Ideale begreift. Tamara (Caroline Silhol) wiederum hat es sich in ihrem Wissen um die Affären ihres Mannes gemütlich gemacht. Zumal sie nicht unter der sexuellen Enthaltsamkeit leidet, zu der ihre neurotisch schwatzhafte und zum Alkohol neigende Freundin Kathryn (Sabine Azéma) gezwungen ist. Zwischen ihr und dem introvertierten Colin (Hippolyte Girardot) läuft schon lange nichts mehr. Allerdings kann Kathryn zumindest mit der Geschichte trumpfen, zu Jugendzeiten einmal mit George einige aufregende Wochen verbracht zu haben. Wäre noch Georges Ex-Frau Monica (Sandrine Kimberlain), die sich von Jack beknien lässt, in den letzten Wochen noch einmal an die Seite ihres Ex-Mannes zu rücken. Sehr zum Bedauern ihres neuen Partners, dem Bauern Simeon (André Dussolier), der sich als tölpelhaft wütender Galan zeigt.
Inszeniert ist der Film als Bühnenspiel in vier voneinander unabhängigen Gärten, die Resnais auch nur als Kulissen zeigt. Mühe, die provisorischen Scheinorte zu kaschieren, gibt er sich nicht. Plasteblumen, Pappwände und hängende Stoffkulissen gehören zum ästhetischen Konzept des Films. Das ist anfangs witzig, irgendwann aber einfach nur noch langweilig.
Zwischen den Kulissen wechseln Geschehen und Zusammensetzung der Paarungen ständig, Übergänge gibt es keine. Mit scharfen Schnitten wechselt Resnais den Ort des Geschehens, dazwischengeschaltet sind warme Zeichnungen des französischen Comiczeichners Blutch. Indem der französische Starregisseur die intimen Dialoge zwischen den einzelnen schwatzhaften Freunden nachstellt, lässt er eine dampfende Gerüchteküche voller Halbwahrheiten, Vermutungen und Geheimnisse entstehen.
Die knapp bemessene Restzeit von George führt dazu, dass er selbst noch einmal seine letzten Wochen in vollen Zügen genießen will. Er lädt Tamara, Kathryn und Monica unabhängig voneinander zu einem gemeinsamen Urlaub ein. Das bringt nicht nur das emotionale Gleichgewicht der drei Grazien durcheinander, sondern erschüttert auch die vermeintlich festen Verbindungen innerhalb des Freundeskreises.
Weil alle Beteiligten unablässig ihre persönlichen Eitelkeiten, Hoffnungen und Sehnsüchte pflegen, fühlt man sich zwischendurch kurzzeitig wie in einem Remix aus Wer hat Angst vor Virginia Woolf und Der Gott des Gemetzels. Lang hält dies allerdings nicht an, dafür ist die gesamte, bewusst laienhaft gestaltete Inszenierung zu hölzern und die Figuren zu scherenschnittartig. Dieses Bühnenstück kommt niemals von der Bühne herunter in den Kinosaal, sondern bleibt fern und fremd – wie ein zufällig gefilmtes Theaterstück.