Mit Hans Petter Molands »Kraftidioten« hat die 64. Berlinale endlich einen Favoriten für den besten Film und bringt mit einem großartigen Pål Sverre Hagen gleich noch einen Kandidaten für den Bären als bester Schauspieler in Stellung.
Nils Dickmann (Stellan Skarsgård) ist gerade zum Ehrenbürger des Jahres ernannt worden, als ihn die Nachricht vom Tod seines Sohnes erreicht. Sein Junge soll sich eine Überdosis gesetzt haben, weshalb weitere Ermittlungen nicht eingeleitet werden. Doch der in sich gekehrte Schneepflugfahrer kann das nicht glauben. Er nimmt die Sache selbst in die Hand und macht sich auf die Suche nach den Mördern seines Sohnes. Er löst eine Lawine an Folgeverbrechen aus, an denen sein Anteil nicht gerade gering ist.
Als sich Dickmann durch die Laufboten des geheimen »Grafen« (Pål Sverre Hagen) geprügelt und geschossen hat, kommt er nicht mehr weiter. Er kontaktiert seinen Bruder (Peter Anderson), den ehemaligen Mafiosi »Wingmann«, und bittet ihn um Hilfe. Dieser vermittelt ihm einen Auftragskiller, weil man an den Grafen nicht einfach so herankäme. Doch der Plan geht nicht auf, Wingmann gerät selbst unter die Räder einer Maschine, die nicht mehr zu stoppen ist.
Der Graf seinerseits weiß nun, wer hinter ihm her ist. Das Verschwinden seiner Leute hat ihn misstrauisch gemacht. Dumm nur, dass er bereits die serbische Mafia in Verdacht hatte und den Sohn des serbischen Clanchefs als Warnung hat umbringen lassen. Der Burgfrieden der beiden Parteien ist hin, aus dem Zweikampf Dickmann gegen den Grafen ist ein für die Parteien undurchsichtiger Dreikampf zweier Drogenclans und eines Vaters auf seinem Rachenfeldzug geworden.
Es gibt zweifelsohne viele Gründe, den Drogenkrieg ernsthaft und mit Biss erzählen, wie es etwa der Italiener Roberto Saviano macht. Der Norweger Hans Petter Moland – in Berlin bekannt für seine vorangegangenen Berlinale-Beiträge The Beautiful Country (2004) und A Somewhat Gentle Man (2010) – hat sich aber entschieden, diese Geschichte als Gangsterpersiflage ins Rennen um die Bären zu schicken. Es gibt einige Gründe, anzunehmen, dass er sich berechtigte Hoffnungen auf eine Ehrung machen kann. Sein Beitrag schwebt als actionreiche und witzig-kluge Erzählung über allen bisherigen Wettbewerbsfilmen. So viel gelacht, wie in diesem Film, wurde in den vergangenen Tagen nur bei L’enlèvement de Michel Houellebecq, einer amüsanten Kidnapping-Parodie, über die an anderer Stelle zu berichten sein wird.
Kraftidioten wird von drei Personen getragen, auf die die titelgebende Bezeichnung wie keine andere zutrifft. Da ist zum einen der tobsüchtige Nils Dickmann, dessen planloser Rachefeldzug sich mit jedem Schritt steigert, bis er sich zu einem kongenialen Plan auswächst. Von einfachen Schneeschieberfahrer entwickelt er sich zum eiskalten Schneefräsenmörder. Stellan Skarsgård – der auch in Lars von Triers Nymph( )maniac zu sehen ist – füllt diesen in sich gefangenen, mit sich und seiner Umwelt schonungslosen Rächer vollkommen aus. Er verleiht der Figur Glaubhaftigkeit und Witz, und dem Film einen magischen Moment, in dem Dickmann seinen Bruder wie der Schelm Egon Olsen ansieht.
Sein Widersacher ist der geheimnisvolle Graf, ein humanistisch gesinnter Mittdreißiger in Trennung, der versucht, als Vater, Snob und Drogenboss die bestmögliche Figur abzugeben. Dass diese Kombination zu einem gestörten Verhältnis mit der eigenen Persönlichkeit führen muss, wundert kaum. Während er die kaltblütigsten Morde in Auftrag gibt, lässt er seinem Sohn Bio-Obst zum veganen Schulbrot legen, serviert den eigenen Leuten frisch gepressten Karottensaft und schaut mit ihnen gemeinsam humanistisch-philosophische Dokumentationen, in denen Schönheit der Natur gepriesen wird. Selbst seiner resoluten Ex-Frau Marit (Birgitte Hjort Sorensen) versucht er allen selbst verschuldeten Demütigungen zum Trotz weitestgehend mit Fassung zu begegnen. Pål Sverre Hagen brilliert in der Rolle dieses ständig unter Strom stehenden Zwangsneurotikers, der unablässig an der Grenze zwischen Fassung und Wutausbruch wandelt. Es ist ein Vergnügen, dabei zuzusehen, wie dieser Borderliner gerade noch um Beherrschung ringt, um kurz darauf zu explodieren. Der Graf verkörpert gewissermaßen auch den modernen Menschen, indem er die Dialektik der Existenz vorführt. Er versucht, moralisch zu leben und zugleich jede Moral fahren zu lassen.
Der dritte testosterongesteuerte Wahnsinnige ist der Chef des serbischen Clans (Bruno Ganz), der seit wenigen Jahren dem Grafen sein Territorium streitig macht. Den Mord an seinem Sohn will er nach dem biblischen Motto »Auge um Auge« sühnen. Die vom Grafen ausgelöste Fehde nimmt er reflexartig auf und stellt seinem Widersacher nach.
Moland lässt die Wege seiner drei Kraftidioten immer wieder sporadisch kreuzen und queren, die gegenseitige Jagd entwickelt sich zu einem Carambolage-Spiel – erst ohne Berührung und dann mit Vollkontakt. Das ist so absurd, dass es schon fast wieder wahr sein könnte.
Kraftidioten hat alles, was zu einem großen Kinovergnügen notwendig ist. Es gibt ausreichend Action, grandiose Dialoge, politphilosophischen Tiefgang und eindrucksvolle Panoramen der norwegischen Schneelandschaften. Derart erinnert Molands Wettbewerbsbeitrag zuweilen an Quentin Tarantinos letzte Filme Inglourious Bastards oder Django Unchained.
Zur Erinnerung: In beiden erspielte sich Christoph Waltz, der in der diesjährigen Bären-Jury sitzt, jeweils einen Oscar. Er hat sich in Molands Gangsterparodie sicherlich prächtig amüsiert.
[…] zentrale Geschichte zwischen Vater und Sohn aber besitzt eine eigene Stärke. Moland, der 2014 mit einem Krimi im Berlinale-Wettbewerb vertreten war, hätte dieser vertrauen und sich darauf beschränken sollen. Zumal es am Ende mehr Gemeinsamkeiten […]