Manu Larcenet hat mit »Blast. Pourvu que les Bouddhistes se trompent« in Frankreich den vierten und letzten Teil seines Meisterwerks vorgelegt. Er lüftet die Geheimnisse im Fall Polca Mancini und vollendet sein Werk spektakulär.
Wer ist dieser Polza Mancini wirklich? Ist er tatsächlich ein eiskalter Mörder, dem es gelingt, seine Brutalität hinter einer Fassade aus Naivität, Verwahrlosung und Selbstaufgabe zu verstecken? Dies zumindest vermuten die beiden Ermittler, deren Namen bis zum Abschluss der »Affäre Mancini« unbekannt bleiben. Oder ist der korpulente, aber agile Mancini nicht doch nur ein harmloser Aussteiger, der sein Glück in der Naturflucht sucht, dabei aber immer wieder mit den Abgründen unserer Zeit konfrontiert wird und sich gegen diese zur Wehr setzen muss? Dies nämlich möchten wir Leser glauben, da uns dieser verwahrloste, aber irgendwie auch zugängliche Sonderling über die vorangegangenen drei Bände ans Herz gewachsen ist.
Da spielt es keine Rolle, dass er unter dem Verdacht steht, die junge Carole Oudinot auf brutale Weise umgebracht zu haben. Denn dies scheint zunächst allzu abwegig. Bei dem Verhör Mancinis kommen die Ermittler nicht voran. Zwar sagt er ihnen gleich zu Beginn, ihnen alles erklären zu wollen, wenn sie ihm nur geduldig zuhörten, doch was er ihnen dann auftischt, ist so hanebüchen, dass es kaum ausgedacht sein kann. Es ist die Geschichte eines Parias, der seinen Posten in der ihn umgebenden Gesellschaft aufgibt und in eine geradezu mystische Welt der Naturreligion flieht. Epileptische Anfälle versetzen den Naturromantiker Mancini in Trance-ähnliche Zustände und lassen ihn quasireligiöse Erscheinungen haben. Gewalt hat in dieser Erzählung nur dann Platz, wenn sie ihn als Opfer ereilt.
Die Ausfallerscheinungen, Mancini nennt sie »Blasts«, symbolisieren die Erinnerungslücken des Außenseiters, die im Laufe des Verhörs zutage treten. An die Seite dieser Ausfälle treten Verbrechen, in die Mancini scheinbar verwickelt ist. Im vierten und abschließenden Band »Hoffentlich irren sich die Buddhisten«, der vor wenigen Wochen in Frankreich erschienen ist, wird nun aufgeklärt, was sich während dieser Attacken tatsächlich ereignet hat.
»Noch weiß niemand (außer Larcenet), wie das Ganze enden mag, aber richtig gut kann es nicht mehr werden«, schrieb ich an dieser Stelle mit Blick auf die ersten drei Bände. Im Nachhinein wirkt das so naiv wie kaum etwas anderes, denn »richtig gut« sollte diese Geschichte nie ausgehen. Nicht umsonst hat der Franzose, den man bis zum Start dieser als Trilogie geplanten und um einen Band gewachsenen Miniserie aufgrund seiner Werke wie Der alltägliche Kampf oder Rückkehr aufs Land als Meister des feinen Humors kannte, einen völlig neuen Stil gewählt. Düster und wild hat er diese Geschichte von Anfang an in Szene gesetzt, augenscheinlich um das Unvorstellbare vor Augen zu führen.
Manu Larcenet geht für sein abschließendes Album noch einen Schritt weiter auf den Abgrund der Brutalität des menschlichen Daseins zu, als wir es aus den vorherigen Bänden kennen. Er begibt sich in die haltlose Welt eines Brett Easton Ellis, durch die Adern seines schwergewichtigen Helden scheint das »Cold Blood«, das Truman Capote einst bei Perry Edward Smith und Richard Eugene Hickock fand, zu fließen.
Der vierte Band von Larcenets Grand Oeuvre fällt in zwei Teile auseinander. Im ersten Teil steht der Abschluss der Erzählung Polza Mancinis, die mit jeder Seite, ach was, mit jedem Panel bedrückender wird. An die Stelle der im Rückblick fast träumerischen Anfälle treten die pornographischen Obsessionen von Roland Oudinot, dem Vater von Carole, dessen Leiche inzwischen auch gefunden wurde. Zwischen die grauschwarzen Zeichnungen der Handlung treten in dunkelroten Tönen Ausschnitte der Blutspur, die Mancini auf seiner Flucht in eine andere Welt hinterlassen hat. Darin eingebettet sind die (von Jean-Yves Ferri gezeichneten) Comicstrips eines Borderline-Eisbären, die Mancini in der Zeitung liest. Und in denen er sich wiederfindet.
Larcenet erzählt die Geschichte seines tragischen Helden bis zum bitteren Ende geradlinig nach vorn. Sein Genie im Aufbau der Gesamterzählung wird jedoch erst vor dem Hintergrund dieses abschließenden Bandes deutlich, der ein ohnehin schon phänomenales Werk zu einem vollkommenen Werk der sequentiellen Erzählkunst krönt. Am Ende legt Larcenet die Qualen und Leiden, Illusionen und Fantasien, Abgründe und Katastrophen von Polza Mancini und seinen Opfern nebeneinander. Da entfaltet er ein beeindruckendes Memory der Ereignisse, das uns die abgründige Seele Polza Mancinis in Ausschnitten begreifen lässt.
Im zweiten Teil erzählen die beiden Polizisten einem Fernsehteam von ihren Ermittlungen. Larcenet spult hier die Ereignisse der vorangegangenen 780 Seiten auf ungefähr 30 Seiten rückwärts und im Schnelldurchlauf ab – und stellt so alle Eindrücke und Erwartungen des Lesers auf den Kopf. Diese kriminalistische Auflösung fällt zwar aus dem bis dahin geltenden assoziativen Erzählrhythmus heraus, sucht aber zugleich ihresgleichen im Medium Comic. Auf diesen wenigen Seiten erst tritt in aller Deutlichkeit zutage, wie vorausschauend Larcenet seine Erzählung aufgebaut hat und welche Bedeutung noch die kleinsten Details für die große Geschichte haben. Wer vor lauter Begeisterung nicht ohnehin noch einmal zu den ersten drei Bänden greifen wollte, tut dies spätestens hier, um die Rekonstruktion der Ereignisse durch die vernehmenden Polizisten selbst zu prüfen. Bis zum Ende zeigt die über drei Bände gewachsene Empathie mit diesem geschlagenen und vom Leben gezeichneten Koloss ihre Wirkung.
Dabei fällt relativ früh im vierten Band – auf Seite 42 der französischen Ausgabe – der letzte Vorhang. Sie zeigt auf einer Einzelseite das geschminkte Gesicht von Polza Mancini. Zu sehen ist ein Totenkopf, aus dessen tiefen Augenhöhlen uns die kleinen Augen dieses geheimnisvollen Mannes ansehen. Die Schminke, sonst ein Mittel der Fassade, wird hier zum Instrument, das wahre Gesicht Polza Mancinis zum Vorschein zu bringen. In diesem Moment wird deutlich, dass wir Leser über fast 800 Seiten hinweg einem Irrtum erlegen sind.
»Es gibt nirgendwo einen Platz für Verbrecher wie Polza Mancini«, sagt einer der Ermittler vor der Kamera im Epilog des letzten Bandes. Vor allem gilt diese Aussage aber für dieses Werk. Es gibt keinen Platz für diese Erzählung. Sie ist ein Solitär in der Neunten Kunst, und ein Paradebeispiel dafür, was für außergewöhnliche Dinge der Comic als erzählendes Medium zu leisten imstande ist.
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