Artbooks, Comic

Eine Verneigung vor 25 Jahren Avantgarde

Das Geheimnis des Erfolgs von D+Q liegt ein stückweit auch in der Kombination aus Magazin und Verlag, wobei das Magazin eine Art Testgelände für den Verlag darstellt. In Drawn & Quarterly wurden vor allem autobiografische Erzählungen veröffentlicht, nicht wenige der allerersten finden sich jetzt im Jubiläumsband wieder. Ab Mitte der Neunziger ließ Oliveros einige Testballons nicht-nordamerikanischer Comics aufsteigen und publizierte Zeichner wie Jacques Tardi, Pentti Otsamo, Philippe Dupuy und Charles Berbérian oder Rutu Modan. Es sollte der Anfang der zweiten Erfolgsgeschichte von D+Q als wichtigster nordamerikanischer Verlag für die besten europäischen und japanischen Comiczeichner werden.

Die dritte Erfolgsgeschichte ist die des Verlags, der die Traditionen der Neunten Kunst mit Unterstützung der eigenen Künstler hochhält. Die Reprints amerikanischer Traditionscomics wie Frank Kings Walt and Skeezix, editiert von Chris Ware, oder Doug Wrights The Nipper, herausgegeben von Seth, stehen neben internationalen Klassikern wie den Gegikas von Yoshihiro Tatsumi und Shigeru Mizuki oder dem »Moomiversum« von Tove Jansson.

Last but not least D+Q als Verlag, der neben den Minicomics auch die Internetcomics salonfähig machte. Nachdem Oliveros Anfang der 1990er Autoren wie Lynda Davis, Julie Doucet oder Adrian Tomine von den selbstverlegten Minicomics auf den Buchmarkt holte, half er in den vergangenen Jahren Künstlern wie Kate Beaton, Michael DeForge und den Tamaki-Cousinen beim Sprung aus der Online-Community ins Herz der Neunten Kunst.

Der D+Q-Geburtstagsband präsentiert von fast allen Künstlern mehrseitige Comicstrecken. Erstmals sind Chester Browns Kurzgeschichten The Zombie Who Liked The Arts, veröffentlicht 2007 im NOW-Magazin, und The Hymn of The Pearl, die Brown 2009 als Minicomic für Freunde und Verwandte im Eigenverlag hat drucken lassen, hier vereint. Man findet aber auch ganz frühe Arbeiten, etwa Debbie Drechslers intime Verarbeitung einer Abtreibung The Dead of Winter, David Colliers Memoire View from the Bridge, David Mazzucchellis Anekdoten aus dem Alltag in einer Pariser Billigabsteige in Rates of Exchange oder Joe Saccos schrullige Berlin-Story On My Day Off. Von Chris Ware sind Auszüge aus seinem Skizzenbuch zu sehen, aber auch neue Zeitungsstrips wie The Last Saturday oder 50 ¢ Pennies. Sensationell sind auch die erstmals bei D+Q gedruckten folkloristisch-mythologischen Zeichnungen von Shigeru Mizuki, die er für seine Yōkai Encyclopedia angefertigt hat.

25-Years-D+Q
Tom Devlin: Twenty-Five years of contemporary cartooning, comics, and graphic novels. Drawn and Quarterly 2015. 776 Seiten. 49,95 US-Dollar. Hier bestellen

Twenty-Five years of contemporary cartooning, comics, and graphic novels ist eine prachtvolle Hommage, die nicht nur diese hier grob nachgezeichnete Geschichte des Verlags vielfältig nachvollziehen lässt, sondern die den Leser zugleich unzählige Blicke hinter die Kulissen werfen lässt. Man möchte ewig in diesen 800 Seiten blättern und gemeinsam mit Oliveros Schützlingen in ihren Erinnerungen an Begegnungen und gemeinsame Erlebnisse schwelgen. Ein längerer Zeitraum für den Genuss dieser Verlagsgeschichte sei auch empfohlen, denn diese 2,1 Kilogramm Comicgeschichte sind mit Inhalt derart vollgepackt, dass man sie unmöglich auf einmal verdauen kann. Am besten man stellt sie ganz vorne ins eigene Regal und nimmt sie ab und an zur Hand, um immer wieder eine neue Geschichte zu entdecken – entweder als Comic oder aber als Erinnerung oder Hommage. Etwa wenn Françoise Mouly für das bahnbrechende Werk von Adrian Tomine schwärmt, Jonathan Lethem mit einem nachdenklichen Chester Brown ein Telefonat mit Franz Kafka aushandelt oder Naomi Fry beim Betrachten einer Seite von Dan Clowes ins eigene Ich abtaucht. Man kann aber auch mit Robert Boyd in Jason Lutes Berlin-Serie versinken, mit Margaret Atwood im Bad über Kate Beatons historische Verdrehungen lachen oder Sheila Heti dabei zuhören, wie sie sich noch einmal in Tove Janssons federleichte, aber tiefgründige Moomins-Erzählungen verliert.

„Die Geschichte von Drawn and Quarterly war immer die Geschichte seiner Autoren und ihrer einmaligen Kunstwerke. Das war im ersten Vierteljahrhundert des Verlags so, und wird auch in den nächsten 25 Jahren der Fall sein“, schreibt Comicjournalist Sean Rogers in seiner äußerst lesenswerten Verlagshistorie am Anfang dieser Jubiläumsanthologie. Es wäre das Beste für die Neunte Kunst, wenn diese Voraussage in Erfüllung ginge.

Die Ankündigungen für das kommende Jahr lassen einen optimistischen Blick in die Zukunft zu. Neben neuen Arbeiten von Tom Gauld, Seth Leanne Shapton und Lisa Hanawalt sollen auch Chester Brown’s »biblische Prosituierten-Storys« Mary Wept Over the Feet of Jesus erscheinen. Sie bilden die Grundlage der Geschichte, die der Verlag in den nächsten 25 Jahren schreiben kann.

6 Kommentare

Kommentare sind geschlossen.