Comic

Die 25 besten Comics aus dem Jahr 2016

Auf dieser Reise durch die besten Werke der Neunten Kunst aus dem laufenden Kalenderjahr werden Sie ebenso  klassische wie etwas andere Superhelden sowie tragische Figuren kennenlernen. Sie alle haben gemeinsam, dass ihre Geschichten unsere Aufmerksamkeit magisch anziehen.  

1. DIE EINDRINGLINGE

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Adrian Tomine. Reprodukt Verlag 2016. 120 Seiten. 24,00 Euro

Was macht den Menschen aus? Ist es sein ewiges Streben nach Fortschritt und Erfolg? Oder sein Talent, mit Rückschlägen umzugehen? Welcher Antwort man sich auch immer anschließt, die Protagonisten in Adrian Tomines jüngsten Comickurzgeschichten werden irritieren. Da ist Harold der Gärtner, der in einem Anfall von künstlerischer Selbstentfaltung skurrile Pflanzenskulpturen schafft und damit fatal scheitert. Oder die junge Amber, deren Leben so leer ist, dass sie sich fast wünscht, sie wäre die Pornodarstellerin, für die sie ein Passant hält. Oder Jessica, die trotz auffälligen Sprachfehlers Stand-Up-Comedian werden will und einen von ihren verzweifelten Eltern finanzierten Comedy-Kurs besucht, um es wenigstens versucht zu haben. Die insgesamt sechs melancholischen Geschichten, die Tomine in dem Band versammelt hat, sind zuvor in seinem renommierten Magazin Optic Nerve erschienen. Sie alle handeln vom Scheitern, wobei dieses Scheitern mit Ansage kommt. Letztendlich aber verhandeln diese akribisch gezeichneten Daseinsstudien die große Frage, wie es Menschen miteinander aushalten. Und mit sich selbst, wenn das Gegenüber fehlt. Eindringlinge ist ein Gigant der Neunten Kunst.


2. THE LOVE BUNGLERS

Jaime Hernandez. Fantagraphics Books 2016. 112 Seiten. 19,99 $

Die Comic-Soap Love and Rockets, an der die in den USA geborenen Brüder Gilbert und Jaime Hernandez seit Anfang der 1980er Jahre zeichnen, ist eines der wenigen seriellen Werke, die unbestritten zu den ganz großen Klassikern der Neunten Kunst gehören. Gilberts Comics erzählen von den Ereignissen in dem fiktiven mexikanischen Ort Palomar, Jaime vom Leben im kalifornischen Fantasieort Hoppers. Jaimes betörende Heldin Margarita »Maggie« Chascarillo hat unzähligen Lesern den Kopf verdreht, Gilberts Amazone Luba noch die letzte sexuelle Fantasie in die Tat umgesetzt. Über 25 Jahre nachdem Jaime das begehrenswerte Punk- und Riotgirl Maggie erstmals auftreten ließ, erzählt er in The Love Bunglers vom Ende ihrer On-and-Off-Affäre mit dem geheimnisvollen Ray. Wie ein Metronom pendelt die Erzählung zwischen Erinnerung und Gegenwart, bei der jeder Schlag erbarmungslos hinab in die zerrissene Seele dieser gereiften, aber immer noch tragischen Heldin führt. Auch wenn neben der deutschen Ausgabe der Referenzband (Der Tod von Speedy) mit publiziert wurde, empfiehlt sich das größere Original, um die perfekte Grafik dieses Meisterwerks in vollen Zügen zu genießen.


3. SUNDAY SKETCHING

Christoph Niemann. Knesebeck Verlag 2016. 272 Seiten. 34,95 Euro

Christoph Niemann ist Deutschlands erfolgreichster Illustrator. Seine Arbeiten sind im New York Times Magazine, dem New Yorker oder dem Zeit-Magazin erschienen. Zu den bekanntesten zählen seine zeichnerische Dokumentation des New-York-Marathons und die Gummibärchen-Chroniken. Er könnte sich entspannt zurücklehnen und den Erfolg genießen, doch »wenn es gut läuft, sollte man die Richtung ändern«, lautet sein Credo. Das erklärt seine Neigung zum Experiment, ohne die seine sonntäglichen Zeichenübungen nicht entstanden wären. Dabei handelt es sich um material- und medienübergreifende Spielereien, die er sich abseits des beruflichen Drucks gönnt, um seinen Blick für das Ungewöhnliche zu trainieren. Da werden Muscheln zu Badehosen, Tintenfässer zu Fotoapparaten, Socken zu Dinosauriern und Kämme zu Oldtimerspoilern. Das klingt vielleicht irritierend, ist es aber mitnichten. Im Gegenteil, alles wirkt naheliegend und logisch. Die akribische Arbeit dahinter, das vorsichtige Drehen und Verschieben der Elemente, bis die richtige Perspektive die Eingebung liefert, sieht man nicht. Sie wird erst im Ganzen deutlich, wenn Niemann seinen Werdegang Revue passieren lässt und dabei seinen Mühen, Zweifeln und Ängsten Gestalt gibt. Gegen sie experimentiert er unaufhörlich an, die Ergebnisse sind grandios.


4. PATIENCE

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Daniel Clowes. Fantagraphics Books 2016. 180 Seiten. 29,99 $

Clowes Helden sind hoffnungslose Romantiker, wie man zuletzt bei den gesammelten Strips seiner Serie Mister Wonderful beobachten konnte. Patience und Jack, die Helden seiner neuen Comicerzählung, gehören auch in diese Kategorie. Beide sind nicht auf der glücklichen Seite des Lebens geboren, finden aber im jeweils anderen den lange gesuchten Halt. Als Patience schwanger wird, scheint ihr Leben eine Wende zum Positiven hin zu nehmen. Doch das Glück endet jäh, als Jack seine Freundin tot im Wohnzimmer findet und als Tatverdächtiger gefangen genommen wird. Es folgt ein Zeitsprung aus dem Jahr 2012 ins Jahr 2029, in dem er einen Mann kennenlernt, der ihm ein Zeitreisegerät anbietet. Jack beamt sich damit zurück, um den Mord an Patience zu verhindern und seinem Leben seinen Sinn zurückzugeben. Daniel Clowes erfindet in diesem hyperkontrastiv gezeichneten Comic (ab März 2017 in deutscher Übersetzung) das Erzählen neu. Mit jeder Zeitreise erfahren Jack und die Leser etwas mehr von Patience’ Vergangenheit und mit jeder Information wird Jacks Racheplan waghalsiger. Am Ende wird der hoffnungslose Romantiker einen absurd hohen Preis dafür zahlen, um seine Liebe zu retten.


5. PIANO ORIENTAL

Zeina Abirached. avant verlag 2016. 212 Seiten. 29,95 Euro

Abdallah Kamanja, der Großvater der in Beirut geborenen und in Paris lebenden Comiczeichnerin Zeina Abirached, war nicht nur ein begeisterter Pianist, sondern auch ein großer Freund der arabischen Musik. Zu seinem Leidwesen waren die Klänge des Orients jedoch nicht mit dem wohltemperierten Klavier zu erzeugen, weil sie auf Viertelton- und nicht auf Halbtonschritten basieren. Jahrelang tüftelte er an seinem Piano, bis er einen Weg fand, sein äußerlich herkömmliches Klavier orientalisch klingen zu lassen. Er reiste nach Wien, um sein Piano Oriental bei einer renommierten Klaviermanufaktur vorzustellen. Auch wenn das elektrische Piano diese Erfindung überflüssig machen wird, lohnt sich dieser Comic, weil er ein spannendes Kapitel der Musikgeschichte erzählt, das vom gegenseitigen Interesse zwischen Morgen- und Abendland zeugt. Abirached verbindet diesen Wissenstransfer zudem mit ihrer eigenen Verwurzelung in zwei Sprachen. »Seit meiner Kindheit stricke ich eine Sprache aus zwei hauchdünnen, kostbaren Fäden«, schreibt sie in ihrem Comic, in dem sie diese Fäden auf zeichnerischer Ebene grandios aufnimmt und einen golden glänzenden Sprach- und Bilderteppich daraus knüpft.

9 Kommentare

  1. […] um das Ganze zu fassen zu kriegen. Seine Trilogie schließt an die Krise des Peronismus an, die Héctor German Oesterheld in seinem allegorischen SciFi-Comicklassiker »Eternauta« mit überwältigender Bildgewalt verarbeitet […]

  2. […] des in Neukölln lebenden Cartoonisten. Mit seinen Strips trat er bei der ZITTY die Nachfolge von Fil und dessen legendärer »Didi und Stulle«-Serie an und konnte die Lücke füllen. Inzwischen zeichnet er für den tip, aber auch für Stern, […]

  3. […] Die Vielfalt dessen, was Freiheit ist, fängt auch die neue Ausgabe des Spring-Kollektivs ein. In diesem versammeln sich Autorinnen, Comiczeichnerinnen und Illustratorinnen, die sich immer wieder einzelne Phänomene des Alltags herausgreifen und diese Jahr für Jahr bebildern. Die letzten Ausgaben beschäftigten sich mit Gespenstern, Sex, Arbeit, Zukunft und dem oft zitierten »Elephant in the Room«. […]

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