Comic

Echoräume des Wahnsinns

© Thomas Hummitzsch

Daniel Clowes »Monica« war eines der meisterwarteten Comics des Jahres 2024. Die Erzählung folgt der Suche einer Frau nach ihrer Mutter zwischen seltsamen Sektierern und Verschwörungstheoretikern. Die unterschiedlichen Stationen von Monicas Lebens springen von Genre zu Genre und Idiotie zu Idiotie. Mit dem Album »Patience« fügt sich dieses neue Werk von Daniel Clowes zum Psychogramm einer paranoiden Gegenwart.

Durch die Geschichten von Daniel Clowes wandeln oft hoffnungslose Romantiker, mit denen es das Leben nicht gut meint. Seine lakonischen Helden scheinen in der Welt, in die sie ihr Schöpfer setzt, oft hoffnungslos verloren. Irgendwoher schöpfen sie dann aber doch eine unbändige Kraft, mit der sie sich diese Welt zu eigen machen. Beobachten konnte man das in seinem Klassiker »Ghost World« sowie in den Alben über den selbstverlorenen »Mister Wonderful« und den muffeligen Sonderling »Wilson«, der im Zuge der Verfilmung mit Woody Harrelson noch einmal entdeckt werden konnte.

Sein neues Album »Monica« setzt nun den Weg fort, den Clowes mit seinem letzten Comic »Patience« eingeschlagen hat. Um sich diesen erzählerischen und stilistischen Weg noch einmal zu vergegenwärtigen, lohnt es sich, diese SciFi-Lovestory noch einmal vor Augen zu führen.

Daniel Clowes in deutscher Übersetzung

Patience und Jack sind nicht auf der glücklichen Seite des Lebens geboren. Beide wuchsen in bescheidenen Verhältnissen auf. Geldsorgen, Scham, Ausgrenzung und Gewalt sind ihnen früh vertraut. Es ist daher kein Wunder, dass sie einander erkennen und beim jeweils anderen den lange gesuchten Halt finden. Als Patience von Jack ein Kind erwartet, keimt Hoffnung auf. Doch nur wenige Tage später findet Jack seine Freundin tot in der eigenen Wohnung und wird als Tatverdächtiger festgenommen. Die Erzählung macht dann einen gewaltigen Sprung ins Jahr 2029, in dem Jack in den Besitz eines Zeitreisegeräts gerät. Mit diesem beamt er sich um Jahrzehnte zurück, um den Mord an Patience zu verhindern und sein Leben wieder in die richtigen Bahnen zu führen.

Daniel Clowes: Patience. Aus dem Amerikanischen von Jan Dinter. 180 Seiten. 29,- Euro. Hier bestellen https://reprodukt.com/collections/daniel-clowes/products/patience
Daniel Clowes: Patience. Aus dem Amerikanischen von Jan Dinter. 180 Seiten. 29,- Euro. Hier bestellen.

Es ist nur der Anfang zahlreicher Zeitreisen, die Jack mit Patience‘ beklagenswerter Lebensgeschichte, aber auch mit seiner eigenen verkorksten Biografie konfrontieren. Und mit jeder verpassten Chance, den Lauf der Ereignisse zu verändern, rückt die Frage in den Vordergrund, ob ein Eingriff in die Geschichte den erhofften Effekt zeitigen würde. Hinter dieser Unsicherheit verbirgt sich die Frage nach dem Schmetterlingseffekt, der besagt, dass in komplexen Systemen selbst kleine Abweichungen große Auswirkungen haben können. Würde er ihr, wenn er sie als Kind bei einer seiner Zeitreisen aus der Armut holte, später überhaupt begegnen?

Auszug aus »Patience«

Clowes ist eines der größten Comicgenies dieser Tage. Selbst Giganten wie Adrian Tomine oder Chris Ware schwärmen von seinen unwiderstehlichen Arbeiten. Klare Linien, knallige Farben und unter die Haut gehende Dialoge prägen sein Werk, an dessen Spitze bislang »Ghost World« als moderner Klassiker der Neunten Kunst steht.

Hatte man schon bei »Patience« den Eindruck, dass dieses Album sein bisheriges Meisterwerk vom Thron stoßen könnte, scheint dies mit »Monica« nun der Fall zu sein. In der englischsprachigen Welt fehlte der sehnlich erwartete Comic im vergangenen Jahr auf keiner Bestenliste (New York Times, Washington Post, Publishers Weekly, Library Journal, Comics Beat, Guardian) beim diesjährigen Comicfestival in Angoulême wurde die französische Ausgabe als Bestes Album ausgezeichnet.

Daniel Clowes: Monica. Aus dem Amerikanischen von Matthias Wieland. 106 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen https://reprodukt.com/products/monica
Daniel Clowes: Monica. Aus dem Amerikanischen von Matthias Wieland. 106 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen.

Darin zeichnet er den Lebensweg der Titelfigur nach, die als Kind einer Hippie-Mutter früh erfahren muss, was Bindungsangst und Vertrauensverlust bedeuten. Monica wächst bei ihren Großeltern auf, kommt später als Selfmade-Unternehmerin zu einem kleinen Vermögen, mit dem sie sich zur Ruhe setzt, um den verschlungenen Wegen ihrer Biografie auf den Grund gehen zu können.

Auszug aus »Monica«

Einmal mehr erzählt Clowes hier in spektakulärer Optik eine packende Geschichte, in der die Zeit aufgelöst und eine Art universelle Ordnung die Hoheit über die Dinge ergreift. Neben berauschten Hippies und traumatisierten Kriegsveteranen treten hier auch religiöse Fanatiker, politische Sektierer und pöbelnde Rednecks auf. Sie repräsentieren die verschiedenen Spielarten der Idiotie, die sich an den Rändern der amerikanischen Gesellschaft breitgemacht und zynische Witzfiguren wie Donald Trump oder Elon Musk hervorgebracht hat. Zuletzt hatten u.a. Künstler wie Nick Drnaso oder Darcy van Poelgeets diese Fragen aufgegriffen.

Waren es in »Patience« noch die sensationell ins Bild gesetzten Zeitreisen, die die Verwicklungen und Beziehungsgeflechte kaleidoskopisch aufgefächert haben, führt in »Monica« jedes der neun Kapitel in ein anderes rabbit hole, in denen jeweils eigene Gesetzmäßigkeiten gelten. Titelheldin Monica dient dabei als mit allen Wassern gewaschene Außenseiterin, die die verschiedenen Stränge dieser sich ständig verändernden Geschichte zusammenhält. Am Anfang ist sie nicht mehr als ein Hirngespinst in Dschungel von Vietnam, am Ende eine grauhaarige Seniorin, die zu sich selbst gefunden hat.

Ihr Lebensweg ist gepflastert mit politischen Verschwörungstheorien und religiöser Endzeitstimmung; kein Wunder, dass es sie zwischendrin auch selbst völlig aus der Bahn trägt. Mal spricht sie tagelang mit ihrem toten Großvater, dann wieder schließt sie sich einer lächerlichen New-Age-Sekte an.

Comic-Genie Daniel Clowes vermisst in seinem neuen Meisterwerk die Echoräume des Wahnsinns, der in den USA unter dem Label eines selbstbestimmten und freien Lebens kaschiert wird. Von Pseudo-Philosophie bis Sekten-Idiotie – souverän jongliert Clowes mit den Spielarten der Weltflucht. Die Zeitreisen, die Jack in »Patience« unternimmt, sind nur eine dieser Varianten, der tristen Gegenwart zugunsten einer imaginierten Parallelwelt zu entkommen.

Daniel Clowes: Monica. Aus dem Amerikanischen von Matthias Wieland. 106 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen https://reprodukt.com/products/monica Daniel Clowes: Patience. Aus dem Amerikanischen von Jan Dinter. 180 Seiten. 29,- Euro. Hier bestellen https://reprodukt.com/collections/daniel-clowes/products/patience
Zueinander ins Verhältnis gesetzt bilden »Monica« und »Patience« ein erschreckend genaues Psychogramm einer paranoiden Gesellschaft.

Clowes spektakulär-farbenfrohe Retro-Optik, die an die Pulpkultur der 60er und 70er erinnert, passt perfekt zu seinen zwischen Kunst und Kult, Wunsch und Wirklichkeit, Gegenwartsanalyse und Dystopie pendelnden Arbeiten, die zueinander ins Verhältnis gesetzt ein erschreckend genaues Psychogramm einer paranoiden Gesellschaft bilden.