Im #TrilogieDezember habe ich drei- und vereinzelt auch mehrbändigen Reihen vorgestellt, die Literaturfans mehr als nur ein gutes Buch bieten. Mit dabei waren Literaturnobelpreis-Träger:innen wie Toni Morrison oder Jon Fosse, Genre-Autoren wie Jeff Vandermeer oder Cixin Liu und viele deutschsprachige, preisgekrönte Autor:innen wie Anke Stelling, Ralf Rothmann oder Natascha Wodin.
Fischer-Trilogie
Vor wenigen Wochen hat der Reinhard Kaiser-Mühlecker für seinen Roman »Brennende Felder« den Österreichischen Buchpreis erhalten. Mit dieser Geschichte über Luisa Fischer, der jüngsten Tochter der Bauernfamilie, die im Mittelpunkt des Romans steht, hat er den umwerfenden Zyklus‘ über die Kinder der gleichnamigen Bauernfamilie abgeschlossen. Mit dem ersten Teil »Fremde Seele, dunkler Wald«, der sich um den von einem Auslandseinsatz zurückkommenden Soldaten Alexander Fischer dreht, war der Österreicher für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Der zweite Teil »Wilderer« über den jüngeren Bruder Jakob und seinen unbändigen Zorn war 2022 ebenfalls für den Buchpreis nominiert und wurde schließlich mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet. Mit dem dritten Teil über die jüngste Schwester Luisa hat Mühlecker nun in seiner Heimat den wichtigsten Literaturpreis gewonnen. »Kaiser-Mühlecker verdichtet, einfach und knapp, in ruhigem Ton. Durch unerwartete Wendungen spielt er nicht nur mit seinen Figuren, sondern auch mit den Lesenden. So konstruiert und dekonstruiert er diese abgründige, kalte und düstere Welt immer wieder aufs Neue«, hieß es in der treffenden Begründung.
Kopenhagen-Trilogie
Tove Ditlevsen zeichnet in ihrer Kopenhagen-Trilogie das Bild einer Frau, die das Leben, das sich ihr bietet, mit beiden Händen greift. Im Auftakt der Romanreihe »Kindheit« schildert sie das unschuldig-naive, aber auch harte Aufwachsen in den Arbeitervierteln Kopenhagens, in »Jugend« den Beginn ihrer Eigenständigkeit und die Entdeckung des Nachtlebens in Dänemarks Hauptstadt, in »Abhängigkeit« beschreibt sie eindrücklich den Rausch, in den sie als junge Frau stürzt.
Ditlevsen wird seit einigen Jahren als Vorläuferin von Autorinnen wie Annie Ernaux oder Rachel Cusk weltweit wiederentdeckt. Die von Ursel Allenstein facettenreich, sensibel und bilderreich übersetzte Werkausgabe ist inzwischen auf sechs Bände angewachsen. Vor wenigen Wochen ist ihr letzter Roman »Vilhelms Zimmer« erschienen, der als bester Roman der dänischen Autorin gilt und neben der Kopenhagen-Trilogie das literarische Vermächtnis dieser großen, hierzulande noch viel zu wenig gelesenen Autorin darstellt.
Tambudzai-Trilogie
In Tsitsi Dangarembgas Tambudzai-Trilogie kann man den traurigen Werdegang und Zustand der simbabwischen Gesellschaft nachvollziehen. Darin begleitet die Autorin ihre weibliche Heldin aus den 1970er Jahren bis in die Gegenwart, beleuchtet Fragen von ethnischer und sozialer Herkunft, Rassismus und Sexismus, Bildungs- und Aufstiegschancen. Unter anderem dafür erhielt sie 2021 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
In dem von Ilija Trojanow übersetzten ersten Band »Aufbrechen« werden Tambudzais Kindheit und ihre Erfahrungen in einer Missionsschule beschrieben. Anette Grube hat die beiden anderen Bände der Trilogie übersetzt, der verdienstvolle Orlanda-Verlag hat sie herausgebracht, zum Teil lange bevor der Hype um die Friedenspreisträgerin einsetzte. »Verleugnen« gibt Einblick, wie aus dem hoffnungsvollen Mädchen des Auftakts die verbitterte Frau werden konnte, der man »Überleben« begegnet.
Tambu erfährt in ihrem zweiten Jahr am Young Ladies’ College of the Sacred Heart den kolonialen Rassimus am eigenen Leib und ruiniert ihr Herz, wie es im dritten Band heißt. In dem kämpft Tambu in Simbabwes Hauptstadt um ein würdiges Leben. Eine mitreißende und immer wieder auch bedrückende Lektüre, die den Blick für die Wirklichkeit in Simbabwe schärft und für Tambu die Frage aufwirft, »was für eine Zukunft es für mich, eine neue Simbabwerin, [in diesem Land] gab.«
Zuckermann-Zyklus
Philip Roth hat ein Werk sondergleichen hinterlassen. Darin verstecken sich gleich zwei Triptychons. Da ist zum einen die Zuckermann-Trilogie, in der sein lebenslanger Begleiter und Alter Ego Nathan Zuckermann nicht nur eine erste Blüte erfährt, sondern auch Roth‘ literarische Karriere spiegelt. Von seinen Anfängen in »The Ghostwriter« (hier in der Übersetzung von Werner Peterich) über seinen plötzlichen Erfolg im Skandalroman »Zuckermanns Befreiung« bis zum völligen Zusammenbruch in »Die Anatomiestunde« (beide von Gertrud Baruch übersetzt). Mit »Prager Orgie« (übersetzt von Jörg Trobitius) erhielt die Trilogie noch einen Epilog in Kafkas Heimatstadt.
Dann wurde es ein Jahrzehnt still um Zuckermann, bis er als Erzähler in der Amerikanischen Trilogie wieder auftauchte. In den Romanen »Amerikanisches Idyll«, ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize, »Mein Mann, der Kommunist« (beide von Werner Schmitz übersetzt) sowie »Der menschliche Makel« (von Dirk van Gunsteren übersetzt) wird Zuckermann zum Dokumentaristen amerikanischer Zustände, wie niemand vor und nach ihm. Vermutlich würde Philip Roth heute eine Aktualisierung von »Verschwörung gegen Amerika« schreiben, um Trump und seine Lakaien zu demaskieren. Der vielfach ausgezeichnete Autor ist jedoch 2018, während Trumps erster Amtszeit, in New York City gestorben.
April-Trilogie
Angelika Klüssendorfs April-Zyklus hat mit dem im vergangenen Jahr erschienenen Band »Risse« eine Art Prequel erhalten, der noch einmal den Scheinwerfer auf ihre Trilogie warf. In dem mit autobiografischen Bezügen versehenen Triptychon erzählt die mehrmals für den Deutschen Buchpreis nominierte Autorin – die ersten beiden Teile »Das Mädchen« und »April« standen jeweils auf der Shortlist, »Jahre später« auf der Longlist – die Geschichte des Werdens und Seins einer Frau in der Bundesrepublik.
Im ersten Teil geht es um frühkindliche Traumata und Prägungen, im zweiten um die Selbstermächtigung dieses bislang namenlosen Mädchens und im dritten um ihr Scheitern als erwachsene Frau sowie ihren Kampf zurück ins Leben. Es sind Schlüsselromane, die über die Autobiografie weit hinausgehen und die Existenz von Mädchen und Frauen in den Blick nehmen. In dem nachgereichten Band »Risse«, der ebenfalls für den Deutschen Buchpreis nominiert war, erzählt Klüssendorf die Vorgeschichte zu ihrer erfolgreichen Trilogie, die ein gesellschaftspolitisches und literarisches Meisterstück ist.
Evolutions-Zyklus
Jens Harders bildgewaltige Erd- und Menschheitsgeschichte wird im kommenden Jahr mit dem Band »Gamma« ihren Abschluss finden, schon jetzt liegen »Alpha«, »Beta 1« und »Beta 2« vor. In seiner »Großen Erzählung« widmet sich der Berliner Comiczeichner nicht nur den zahlreichen natürlichen Prozessen der Evolution, sondern auch den kultur- und geistesgeschichtlichen Fort- und Rückschritten, die im Laufe der Jahrmillionen aus den naturverbundenen Horden eine Zivilisation geschaffen haben, die an ihrer eigenen Existenz sägt.
Harder kommt auf die Bedeutung von Mimik, Gestik und Lautgebung als Grundlagen der Kommunikation zu sprechen, verdichtet sprachliche Aspekte wie Masken, Theater, Film, Emotionen, Gesten, Gebärdensprache, Tanz, Musik, Gesang, Funk, Telefonie mit den anatomischen und kognitiven Grundlagen zu einer vielsagenden Bildersymphonie über die menschliche Kommunikation, in der ebenso das Naheliegende wie das Entfernte anklingen. Daraus gehen Wissenschaft und Philosophie, Industrialisierung und Politik hervor. Die Erfindung der Demokratie, die Abgründe des Kolonialismus und der zahlreichen Völkermorde, aber auch der Traum, zu den Sternen greifen zu können – all das verbindet Harder in diesem einmaligen und preisgekrönten Epos, an dem er knapp zwanzig Jahre gearbeitet hat.
Stelling-Trilogie
Anke Stellings Romane »Bodentiefe Fenster«, »Fürsorge« und »Schäfchen im Trockenen« (Verbrecher Verlag) sind absolut eigenständige Werke, zusammengenommen bilden sie aber so etwas wie eine Analyse der modernen Großstadtgesellschaft. In drei ganz unterschiedlichen Geschichten beleuchtet sie die Diskrepanz zwischen dem Innen und Außen ihrer Figuren und lotet die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit aus.
Es geht um Familienverhältnisse, um Mütter und die Kräfte, die an ihnen zerren, um das Ausbrechen aus den geordneten Verhältnissen (das wie etwa im Falle von »Fürsorge« auch extreme Züge annehmen kann) und die Suche nach dem Boden unter den Füßen. Anke Stelling hat einen Blick wie ein Skalpell, nicht umsonst hat sie für »Schäfchen im Trockenen« den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen. Vor allem im unwiderstehlichen genauen Blick auf ihre Figuren findet sie die Worte, die die Widersprüche der Moderne akkurat beschreiben.
George-Miles-Zyklus
Die Literatur von Dennis Cooper kommt nicht ohne Vorwarnung aus. Die dunklen Ecken des Sexuellen – Ausbeutung, Missbrauch, Exzess, Pädophilie, Kastration und Lustmord – ziehen sich wie ein roter Faden durch das literarische Werk des Amerikaners. Sein ebenso eigenwilliges wie radikales Schreiben hat ihm Vergleiche mit Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud und Jean Genet eingebracht. Dabei steht diese Literatur vor allem für sich selbst. Kathy Acker, William S. Burroughs und Bret Easton Ellis verehren ihn als letzten Outlaw der amerikanischen Literatur. Büchner-Preisträger Clemens J. Setz gilt als sein größter Fan im deutschsprachigen Raum.
Mit seinem letzten Roman »Ich wünschte«, den Raimund Varga für den Luftschacht Verlag übersetzt hat, bekam der George-Miles-Zyklus noch einmal eine literarische Verarbeitung. Im gleichen Verlag sind seit 2017 die Post-George-Miles-Romane »Mein loser Faden« (von 2002), »Die Schlampen« (von 2004) und »God Jr.« (von 2005) erschienen. In diesen avantgardistischen Kopfverdrehern geht es um (die Rückeroberung von) Kontrolle, der Coopers Erzähler in der SM-Szene, in Snuff-Filmen, in abgefuckten Online-Foren oder einem Computerspiel nachgeht. Eine längst überfällige Cooper-Werkausgabe wartet noch auf Verwirklichung.
Southern Reach Trilogy
Jeff VanderMeer hat mit den vor knapp zehn Jahren erschienen Romanen »Auslöschung«, »Autorität« und »Akzeptanz« eine Serie begonnen, die als Southern Reach Trilogy nicht nur berühmt, sondern auch berüchtigt geworden ist. Die im Verlag Antje Kunstmann erschienenen Romane bilden einen unter die Haut gehenden Mix, der mit den Themen Umwelt, Klimawandel und Weltuntergang spielt. Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine nicht näher benannte Küstenregion namens Area X, die sich die Natur wieder zurückerobert.
Nachdem bislang alle Expeditionen in das Gebiet katastrophal gescheitert sind, brechen im ersten Band »Auslöschung« vier Frauen auf, um mit wissenschaftlichen Mitteln das dunkle Geheimnis von Area X zu lüften. Ihre Forschungsergebnisse werden im zweiten Band »Autorität« vom Kopf der Agentur gesichtet, die die Expedition organisiert hat. Doch das, was John Rodriguez entdeckt, lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren. In Teil drei »Akzeptanz« scheint das Gift von Area X auf die restliche Welt überzugreifen. Mit Elementen von Horror und Magischem Realismus spielend hat der amerikanische SciFi-Autor in seiner von Michael Kellner mitreißend übertragenen Erzählung ein konsequentes Meisterwerk geschaffen, das einen nicht mehr loslässt. In diesem Jahr ist von VanderMeer das Buch »Absolution« bei Farrar, Straus and Giroux erschienen, in dem die Vor- und Nachgeschichte der #SouthernReachTrilogy erzählt wird. Ob und wenn ja, wann eine Übersetzung erscheint, ist noch nicht bekanntgegeben.
Herkunftstrilogie
Das Werk von Natascha Wodin ist stark autobiografisch geprägt, ihre drei letzten Romane bilden aber zweifellos einen zentralen Kern. In ihrem Roman »Sie kam aus Mariupol«, 2017 ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse, ergründete sie die Herkunft ihrer früh verstorbenen Mutter und bringt Licht ins Dunkel um das Schicksal der osteuropäischen Zwangsarbeiter im Dritten Reich. In ihrem darauffolgenden Roman »Irgendwo in diesem Dunkel» ging sie den Lebenswegen ihres Vaters nach und erzählt auf verschlungenen Wegen die Geschichte ihrer eigenen Kindheit.
In ihren letzten Roman »Nastjas Tränen« porträtiert Wodin eine Frau aus ihrem persönlichen Umfeld, die wie ihre Mutter die Ukraine gen Deutschland verlassen hat, bei der aber andere Motive vorlagen. Zusammengefasst kreisen die drei Romane um Fragen der Herkunft, Familie und Identität. Zuletzt ist von Wodin Erzählungsband »Der Fluss und das Meer« erschienen, die darin enthaltenen Texte sind schon wie ihre Romane weltumgreifend, augenöffnend und universal menschlich.
Vogel-Zyklus
Peter Wawerzineks existenzieller Zyklus bestehend aus den Romanen »Rabenliebe«, »Schluckspecht« und »Liebestölpel« darf in dieser Sammlung natürlich nicht fehlen. Wawerzinek war in den Achtzigerjahren in der Literaturszene im Prenzlauer Berg aktiv, nach der Wende geriet er nahezu in Vergessenheit.
Sein Durchbruch gelang ihm 2010, als er für einen Auszug aus seinem damals noch unveröffentlichten Roman »Rabenliebe« den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann. Später bezeichnete er seinen Triumph beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt als seine literarische Geburt. In dem 2010 für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman verarbeitet er das Kindheitstrauma, als Fünfjähriger von seinen in den Westen fliehenden Eltern allein mit seiner Schwester zurückgelassen und in Heimen aufgewachsen zu sein, und die dramatischen Folgen bis zur unterkühlt-sprachlosen Wiederbegegnung zwischen Mutter und Sohn nach der Wende bei einem trockenen Stück Kuchen aus dem Supermarkt.
Anschließend verarbeitete er seine »Alkoholsucht« in dem Roman »Schluckspecht«, bevor er in »Liebestölpel« noch einmal auf seine Lebenslieben und Lebenslügen, auf die Sehnsucht nach und die Flucht vor dem Familiären zu sprechen kam. Peter Wawerzineks Sprache ist bilderreich und metaphorisch, leicht und tiefgründig, melodisch und poetisch. Seine Prosa ist voller literarischer Referenzen und Disruptionen, ein Spiel mit allem Materiellen und Ideellen, mit Sprache und Form, mit Leben und Welt. Wawerzineks Romane sind weniger Entdeckung als vielmehr Erfahrung, ich kann sie nur dringend empfehlen.
Weltschev-Trilogie
Vor fast 50 Jahren begann der bulgarische Schriftsteller Vladimir Zarev die Arbeit an seiner Weltschev-Trilogie. In seiner in der deutschen Übersetzung von Thomas Frahm über 1.500 Seiten umfassenden Familiengeschichte bricht er das Schicksal Bulgariens im 20. Jahrhundert auf seine Figuren herunter. Geradezu mythisch startet sein Epos in dem 1976 im Original erschienenen ersten Teil, der die Geschehnisse in der Kleinstadt Widin an der Donau schildert, wo die Geschichte der Weltschevs ihren Anfang nimmt. Aus dem Welten- und »Familienbrand« im Zweiten Weltkrieg gehen die »Feuerköpfe« (1983) hervor, die im zweiten Teil im Mittelpunkt stehen. Hier beschreibt Zaren den Aufbau des Sozialismus in Bulgarien, der von Perestroika und samtener Revolution Ende der 80er, Anfang der 90er ebenso weggefegt wird wie in allen anderen Ostblock-Staaten. Die Illusionen des Familienoberhaupts brechen zusammen und fahren in die »Seelenasche« (2012) ein, die dem dritten Teil seinen Titel gibt. Die Feuermetapher steht auch für das Lodern der Ereignisse im Roman, für die sich durch die Geschichte hindurchglühenden Konflikte und den Schwelbrand der europäischen Geschichte, die alle drei Romane und die epische Gesamterzählung prägt. Die Weltschev-Familie steht auf einem Rang mit Dostojewskis Karamasoffs, wer sie noch nicht kennt, sollte sie unbedingt kennenlernen.
Berliner Trilogie
Irina Liebmann ist die Dokumentaristin des Umbruchs in Berlins Mitte. In ihrer Trilogie bestehend aus den Romanen »In Berlin«, »Die freien Frauen« und »Die Große Hamburger Straße« legt die Uwe-Johnson-Preis-Trägerin Schicht für Schicht frei, was zwischen und unter den Pflastersteinen verborgen ist. Ihr letzter Roman »Die Grosse Hamburger Straße« bildet den Abschluss eines Zyklus‘, in dem sie die Perspektive vom Kleinen zum Großen weitet. Die Reihenfolge der Romane spricht Bände, denn statt den Blick in koordinierter Reihenfolge vom Haus auf die Straße in das Land zu werfen, sei Liebmann das Leben dazwischengekommen, wie es im letzten Satz ihres schillernden Abschlussromans heißt, weshalb sich mit »Die freien Frauen« der Blick ins Land dazwischengeschoben hat.
Die drei Romane bilden weniger ein fixes Triptychon, sondern legen sich wie verschiedene Schichten im den Körper der prächtigen Literatur Liebmanns. In der Trilogie erweckt sie das Berlin zum Leben, das es materiell kaum mehr gibt, das wegsaniert und abverkauft wurde. Aber in ihrem Kopf, in ihren Erinnerungen, in ihren Romanen ist alles noch da. Und auch wenn diese etwas Vergangenes in Erinnerung rufen, was heute nicht mehr zu sehen ist, bilden sie Wirklichkeit ab, viel mehr, als jede Fotografie. Indem sie die historischen Schwingungen zwischen den Fassaden der Häuser der großen Hamburger Straße zum Klingen bringt, schafft Liebmann so etwas wie eine universelle Wirklichkeit, in der all das mitschwingt, was einst war, was ist und – ja, warum eigentlich nicht – was noch kommen mag.
Orbitor-Trilogie
Spätestens seit dem Abschluss seiner Orbitor-Trilogie gilt Mircea Cartarescu als europäischer Meister des Magischen Realismus. Darin erzählt der 1956 in Bukarest geborene Rumäne eine mit autofiktionalen Bezügen versehene Alternativgeschichte Budapests. Dorthin kehrt er seither immer wieder zurück, sei es in seinem SciFi-Roman »Solenoid«, in seinen in »Melancolia« zusammengeführten Erzählungen oder in seinem jüngsten Epos »Theodoros«, die allesamt von Ernest Wichner mitreißend übersetzt sind.
Die in den 90er und Nuller Jahren erschienenen Romane »Die Wissenden«, »Der Körper« und »Die Flügel«, sprachgewandt übersetzt von Gerhardt Csejka und Ferdinand Leopold, bilden das Fundament für sein späteres Schreiben und sind zugleich eine der betörendsten Stadt- und Gesellschaftserzählungen der Weltliteratur. Cartarescu erzählt darin seine eigene Geschichte und malt zugleich ein großes historisches Panorama seines Landes und seiner Leute. Seine Familiengeschichte ist ein großes Drama, Bukarest die Weltbühne, auf der es zur Aufführung kommt. Die Wirklichkeit setzt der Erzählung dabei keine Grenzen, wunderliche Dinge vollziehen sich in diesem großen Werk, das im Hardcover im Zsolnay Verlag vorliegt, als Paperback aber auch im dtv Verlagsgesellschaft erhältlich ist. In der Zeitschrift Sinn und Form findet sich ein sehr lesenswertes Interview zur Orbitor-Trilogie.
Vorläufige Hölle
2013 eröffnete der brasilianische Schriftsteller Luiz Ruffato die Frankfurter Buchmesse. Er sprach damals davon, dass er an einem Ort schreiben müsse, »wo der Begriff Raubtierkapitalismus ganz bestimmt keine Metapher ist«. Luiz Ruffato ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren seines Landes. In seinem zwischen 2005 und 2011 entstandenen und mehrfach preisgekrönten Romanzyklus »Vorläufige Hölle« geht er dem Schicksal seines Landes und seiner Leute auf den Grund.
In den fünf von Michael Kegler bei Assoziation A übersetzten Romanen »Mama, es geht mir gut«, »Feindliche Welt«, »Teilansicht der Nacht«, »Das Buch der Unmöglichkeiten« und »Sonntage ohne Gott« erzählt er facettenreich, multiperspektivisch und mitreißend die Geschichte der brasilianischen Arbeiter, Hausangestellten, Sicherheitskräfte, Empfangsdamen, Straßenfeger, Tankwarte, Einwanderer und Binnenmigranten; kurzum des Lumpenproletariats. »Diese Menschenmasse lebt nicht, sie überlebt im besten Fall in den Vorstädten, stranguliert durch den Ruin des Gesundheits- und Erziehungssystems, gelähmt von der Gewalt, die von der Polizei und den Banditen gleichermaßen verübt wird«, führte Ruffato damals in Frankfurt aus aus. Was genau das heißt, kann man in seinem überwältigenden Bericht aus der vorläufigen Hölle in fünf Bänden nachlesen.
Beloved-Trilogie
Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison hat mit den Romanen »Beloved«, »Jazz« und »Paradies« zwischen 1987 und 1997 die so genannte #Beloved-Trilogie vorgelegt, deren Auftakt-Roman hierzulande lange unter dem Titel »Menschenkind« publiziert wurde. Dank der gerade im Rowohlt Verlag erschienenen Neuübersetzung von Tanja Handels trägt der Roman nun wie im Original den Namen der Hauptfigur im Titel trägt und kann besser als Auftakt dieses Roman-Triptychons identifiziert werden.
Alle drei Romane handeln von der Liebe und tauchen tief in die afroamerikanische Geschichte ein. Der 1988 mit dem Pulitzer Prizes ausgezeichnete Roman »Beloved« ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts angesiedelt und erzählt von den grauenhaften Folgen der Versklavung inmitten einer Familie. Der 1992 erschienene Roman »Jazz« (abgebildet in der Übersetzung von Helga Pfetsch) spielt im Harlem der 1920er Jahre und nutzt thematisch wie sprachlich den Jazz, um der traumatischen Vergangenheit seiner Figuren auf den Grund zu gehen. Im Jahr nach dem Erscheinen erhielt Morrison den Literatur-Nobelpreis.
Vier weitere Jahre später erschien der Abschlussroman der Trilogie »Paradies« (abgebildet in der neu aufgelegten Übersetzung von Thomas Piltz), dessen Handlung Mitte der 1970er Jahre angesiedelt ist. Er folgt den Ereignissen um eine Gruppe von Frauen, die in einem verlassenen Kloster Zuflucht suchen. Morrison selbst sagte, dass alle drei Bücher von der Suche nach »dem Teil des Selbst, der du bist und der dich liebt und immer für dich da ist« zusammengehalten werden.
Weltkriegs-Trilogie
Im Sommer 2022 hat Ralf Rothmann seine verstörende Kriegs-und-Nachkriegs-Trilogie beendet, die 2015 mit dem eindrucksvollen Roman »Im Frühling sterben« begann, drei Jahre später mit »Der Gott jenes Sommers«, ausgezeichnet mit dem Uwe-Johnson-Preis, ihre Fortsetzung fand und mit »Die Nacht unterm Schnee« fulminant endete. In seinen drei Romanen seziert Rothmann die letzten Kriegsmonate und die deutsche Nachkriegszeit, indem er sie aus den verschiedenen Perspektiven seiner Figuren nachzeichnet. Alle drei Romane können natürlich unabhängig voneinander gelesen werden. Sie sind in sich geschlossen, weisen aber zahlreiche Querverbindungen und Vernetzungen in den Biografien und Lebensverläufen der Figuren auf, die, einmal entdeckt, auch die Erzählung auf eine andere Ebene heben.
Zeit-Literaturchef Adam Soboczynski schrieb zum Abschluss der Trilogie, dass dieser »so großartig geraten, so anrührend, so brutal, furchtbarerweise auch so aktuell« sei, dass man sein Erscheinen als Ereignis betrachten dürfe. Wer meint, dass uns Literatur über diese Zeit nichts mehr zu sagen habe, der hat Rothmann nicht gelesen!
Kopp-Zyklus
Auf den letzten Seiten von Terézia Moras Abschluss ihrer Trilogie um den Glückssucher Darius Kopp stellt eben jener fest, »dass er wieder einmal, anfing glücklich zu werden.« Da sitzt er, der von Gott Verlassene, in der Kirche, und hat noch einmal Alles vor sich. Wer hätte das gedacht, nachdem er im ersten Teil der Trilogie als »einziger Mann auf dem Kontinent« im Dotcom-Hype untergegangen ist und dann im zweiten Teil »Das Ungeheuer« mit der Asche seiner Frau eine verzweifelte Flucht durch Europa angetreten hat.
Der erste Teil war ein Ereignis, der zweite eine Sensation, die dann auch mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Im Abschluss der Kopp-Trilogie »Auf dem Seil« lebt der tragische Held auf Sizilien und bäckt Pizzen. Da taucht seine schwangere Nichte auf und wieder steckt Kopp bis zum Hals in Verpflichtungen. Moras Kunst besteht darin, den unsicheren Existenzen in ihren Romanen eine authentische und glaubhafte Stimme zu geben. Dabei entlässt sie sie nicht in die Depression oder Verzweiflung, sondern erzählt das mit Witz und Ironie. Denn die Möglichkeit von Glück will sie ihren Figuren nicht verweigern.
Trilogie der Vertreibung
»Wenn jemand spricht, wird es hell«, schreibt Ulrike Draesner am Ende ihres Romans »Die Verwandelten«, der im letzten Jahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war. Er bildet den sprachgewaltigen und erzählerisch umwerfenden Höhepunkt eines Zyklus, der es in sich hat. Nach ihrem für den Deutscher Buchpreis nominierten Familienroman »Sieben Sprünge vom Rand der Welt« und dem mit dem Bayerischer Buchpreis ausgezeichneten Künstlerporträt »Schwitters« schloss die in Berlin und Leipzig lebende Autorin 2023 mit ihrem multiperspektivischen Generationenroman ihre Trilogie um Krieg, Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert ab.
Man muss dankbar für jede der fast 600 Seiten des dritten Romans sein, denn es braucht viel Sprache, viel Reden und Erzählen, um das Dunkel des von Kriegen, Konflikten und Erschütterungen überschatteten 20. Jahrhunderts zu erhellen. In ihrem verzweigten Roman erhalten deshalb ausschließlich Mütter und Töchter die Hoheit über die Erzählung. Was nicht heißt, dass Männer nicht auch zu Wort kommen, aber immer nur durch den Filter einer der weiblichen Erzählstimmen.
Diese schildern die traumatischen Folgen von Krieg, Gewalt und Ideologie, von Entwurzelung und Seelenschmerz, die sie wiederum zu Rollenwechseln und (An-)Verwandlungen bewegen. Sprachlich ist das große Kunst, von Dada über epische Passagen bis hin zu Unsagbarem und Beschwie–––genem bildet Ulrike Draesner in diesem Triptychon die erfahrenen (Ver-)Störungen durch Wortneuschöpfungen, Auslassungen und Streichungen in der Sprache ab.
Trilogie der Ratte
Nur zwei Bücher sind zu sehen, dahinter verbirgt sich dennoch ein Triptychon. Haruki Murakami hat mit den Romanen »Wenn der Wind singt«, »Pinball 1973« (bei DuMont Buchverlag in einem Band in der Übersetzung von Ursula Gräfe erschienen) und »Wilde Schafsjagd« (in der Übersetzung von Annelie Ortmanns) recht früh in seinem Schaffen die so genannte Trilogie der Ratte vorgelegt.
Alle drei Romane teilen sich verschiedene Schauplätze und Protagonisten, einer davon ist der Freund des Erzählers mit dem Spitznamen Ratte. Dieser Sohn eines reichen Unternehmers will Schriftsteller werden und entwickelt eine besondere Begeisterung für Flipperautomaten. Besonders an den beiden Romanen »Wenn der Wind singt« und »Pinball 1973« ist, dass sich Haruki Murakami lange Zeit von ihnen distanziert und sie nicht zur Übersetzung freigegeben hat. Erst 2015 erschienen sie erstmals in deutscher Sprache, sie bilden mit ihren Anspielungen auf die Musikkultur inzwischen als Grundstock der Murakami-Literatur.
Trilogie der Blauen
Jorge Zepeda Patterson ist einer der profiliertesten Politjournalisten Mexikos. Weil ein Teil seiner Erkenntnisse »nicht druckbar« ist, hat er angefangen, sie in Krimis zu verarbeiten. Seine Trilogie um »Die Blauen« beleuchtet die folgenschwere Verführbarkeit der Mächtigen und ihre Vernetzung mit der organisierten Kriminalität. Die Blauen, das sind der Journalist Tomás Arizmendi, Kolumnist bei der größten mexikanischen Tageszeitung, Amalia Navarro, Strippenzieherin der mexikanischen Sozialisten, Jaime Remus, Sicherheitsexperte und ehemaliger Geheimdienstler sowie Mario Crespo, Soziologe und der Mann mit dem besonderen Blick auf die Dinge.
Sie stehen im Zentrum dieser preisgekrönten Krimi-Trilogie, die tief in die düstere Welt der organisierten Kriminalität abtaucht. Einer Welt, in der Menschenhandel, politische Korruption und internationale Finanzmarkttransaktionen zu einer milliardenschweren halbseidenen Normalität führen. Die drei Romane fesseln nicht nur durch den geschickten Aufbau, sondern auch durch die realitätsnahe Zeichnung der zahlreichen Charaktere.
Nadine Mutz hat das Roman-Triptychon »Milena oder der schönste Oberschenkelknochen der Welt«, »Spiele der Macht« und »Die Korrupten« mitreißend übersetzt, nur in wenigen Fällen rutscht ihre Übertragung in einen leicht formalen Ton – etwa wenn von einer »Linie Kokain« statt von einer »Line Koks« die Rede ist. Aber das trübt nicht nachhaltig diese lebendige und authentische Übertragung. Jorge Zepeda Patterson ist der Don Winslow Mexikos, seine Crime-Literatur setzt Maßstäbe.
Ortsumgehung – Zyklus
Der Schriftsteller Andreas Maier beginnt im Jahr 2010 einen auf elf Bände ausgelegten Zyklus, der den übergreifenden Titel »Ortsumgehung« trägt. Während viele Schriftsteller, wenn sie Kreise ziehen, immer kleiner werden, wird Maier immer größer. Er beginnt im »Zimmer« und erweitert im Titel den Radius über »Das Haus«, »Die Straße«, den »Ort« usw. Der »Ort«, dessen Veränderungen er in seinem autofiktionalen Zyklus mit genauem Blick und sprachlicher Intensität dokumentiert, ist anfangs die hessische Wetterau, aber auch hier weitet sich der Fokus.
Maier betreibt in den jeweils eigenständigen Romanen so etwas wie Kultur- und Mentalitätsgeschichte, umkreist Fragen wie Identitätsfindung (»Die Universität«, »Der Kreis«) oder Ausflugs- und Urlaubshabitus (»Die Städte«), er dekonstruiert vermeintliche Familienidyllen (»Die Familie«) und Heimatgefühle (»Die Heimat«). Maier ist ein Proust unserer Zeit, losgelöst vom Weltgeschehen und doch ganz Kind seiner Zeit schreibt er seine Serie, die komplett im Suhrkamp Verlag erscheint, konsequent weiter. Zwei Bände stehen noch aus, der nächste »Der Teufel« ist für das Frühjahr 2025 angekündigt. Dann steht nur noch der Abschlussband »Der liebe Gott« aus, bis diese einmalige Romanreihe abgeschlossen ist.
Mafia- und Banden-Trilogien
Don Winslows preisgekrönter Kriminalroman »Tage der Toten« ist ein grandioses, weltgeschichtliches Epos über die Abgründe des Drogenkriegs in Mittel- und Südamerika und der verhängnisvollen Rolle der US-amerikanischen Geheimdienste. Als dieses Panoptikum des Drogenkrieges erschien, lasen das viele als Revolution des Crime Genres, nicht ahnend, dass es nur der Auftakt einer Trilogie war, die mit »Das Kartell« und »Jahres des Jägers« eine fulminante Fortsetzung und beeindruckenden Abschluss fand. Viele dachten dann, besser kann es nicht mehr werden, aber auch da sollten man sich täuschen.
Denn mit »City on Fire«, »City of Dreams« und »City in Ruins« legte Winslow eine weitere Trilogie auf, die sich der politischen Korruption und Clanwirtschaft in Amerika widmet. Die zentralen Linien seiner Romane nachzuzeichnen würde gleichermaßen zu kurz springen und zu weit führen. Entscheidender ist das Wissen, dass Winslows Krimi-Epen, die Conny Lösch stets grandios überträgt, zu dem Besten gehören, was man lesen kann – packend, mitreißend, lebendig, witzig, überraschend und absolut ansteckend. Umso trauriger, dass Winslow angesichts des Aufstiegs von Trump seine Autorenkarriere an den Nagel gehangen und sich fortan politisch engagieren. Zum Glück hat er ein Werk hinterlassen, das einen eine ganze Weile beschäftigt.
Trilogie – Heptalogie
Das umfangreiche Werk von Literaturnobelpreisträger Jon Fosse bedient eine Vielzahl von Genres und besteht aus Theaterstücken, Romanen, Gedichtsammlungen, Essays, Kinderbüchern und Übersetzungen. Auf den Bühnen der Welt ist er einer der meistgespielten Theaterautoren, ihm eilt der Ruf eines »Beckett des 21. Jahrhunderts« voraus. Fosses literarisches Werk ist im Neunorwegischen (Nynorsk) verfasst und liegt im Rowohlt Verlag in der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel vor.
Der hat mir einmal über Fosses Schreiben Folgendes gesagt: »Sowohl in Prosa als auch im Theater gelingt es ihm wie keinem Zweiten, dass das Eigentliche gesagt wird, indem es nicht gesagt wird. Fosse Figuren sind kleine Menschen mit großen Problemen, die keine Sprache haben. Und das sind wir ja irgendwie alle, ganz egal, wie groß wir sind und wie viele Wörter wir haben. Es gibt keinen, der es so schafft, diese Menschen wirklich so reden zu lassen. Das, was eigentlich ist, sagen sie nicht, und dennoch tritt dieses Eigentliche ganz klar hervor. Im Theater gelingt ihm das vor allem durch Pausen, in der Prosa durch Wiederholungen. … Man liest diese Wiederholungsschleifen, und irgendwann enthält der Satz, der zuvor schon fünfmal kam, eine kleine Veränderung. Da erfährt man plötzlich etwas Neues und man liest diesen Satz in einem anderen Licht. Er trägt auf einmal etwas anderes. Und so setzt sich etwas zusammen, wie bei einem Kaleidoskop. Fosse ist deshalb ein unvergleichlicher Autor, weil es auf faszinierende Weise dann doch unergründlich bleibt, wie genau er das macht.«
Ein besonderes Augenmerk verdienen in dieser Reihe Fosses serielle Werke, das als »Trilogie« herausgegebene Liebesgeschichte in drei Teilen (»Schlaflos«, »Olavs Träume« und »Abendmattigkeit«) sowie das siebenteilige Künstlerporträt, das als »Heptalogie« in drei Bänden erschienen ist.
Vernon Subutex
Virginie Despentes hat mit »Baise Moi!« ein Skandalbuch verfasst, dass sie in Windeseile berühmt gemacht hat. Dann wurde es recht still um sie, bis sie mit »Vernon Subutex« eine Figur erfand, wie sie schräger kaum sein könnte. Sein Plattenladen geht pleite und Vernon muss aus seiner Wohnung raus. Er kommt zunächst bei Bekannten unter, steigt dann aus, um schließlich zum Guru unter den Freaks zu werden. Allein das Figurenkabinett, das Despentes rund um den tragischen Helden arrangiert, trägt diese Erzählung in andere Sphären.
In drei Bänden erzählt Despentes die unglaubliche Geschichte des Musikladen-Inhabers, die Claudia Steinitz für Kiepenheuer & Witsch mitreißend übersetzt hat. Der französische Karikaturist Luz hat die Romane gemeinsam mit Despentes zudem grandios als Comic adaptiert, gerade ist das zweite von zwei Alben bei Reprodukt in der Übersetzung von Claudia Steinitz und Lilian Pithan erschienen. Christoph Schickl hat den Band vor kurzem an dieser Stelle hymnisch besprochen.
Trilogie des Denkens
Die Geschichte der Philosophie im zwanzigsten Jahrhundert fängt Wolfram Eilenberger in seiner famosen Trilogie des Denkens ein. Nachdem er in »Zeit der Zauberer« die Jahre 1919 bis 1929 anhand der Philosophen Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin, Ernst Cassirer und Martin Heidegger beschrieben und in »Feuer der Freiheit« den finsteren Jahren 1933 bis 1943 die rettende Philosophie von Simone de Beauvoir, Hannah Arendt, Simone Weil und Ayn Rand entgegengehalten hat, beschwört er im Abschluss die »Geister der Gegenwart« herauf.
In seiner Betrachtung des Übergangs aus der Nachkriegszeit in die Moderne stehen vier Philosoph:innen im Mittelpunkt, hier sind es Theodor W. Adorno, Susan Sontag, Michel Foucault und Paul M. Feyerabend. Sie alle zeichnet eine gewisse Distanzierung von der institutionalisierten Philosophie und das Bedürfnis nach der größtmöglichen Freiheit aus, wenngleich sie das Fehlen der Sicherheit aufgrund fehlender Anstellungen/Berufungen durchaus mal beklagen. Episodisch führt Eilenberger ihr geistiges Schaffen parallel, ohne es zu sehr in eine gemeinsame Erzählung zu zwingen. Folgt man den hitzigen Debatten, die um die vier Nachkriegsphilosoph:innen geführt wurden, lernt man auch viel über die Gegenwart. Eine bessere Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts wird man kaum finden.
Trisolaris-Reihe
Irgendwo unter den drei Sonnen entdeckt eine chinesische Astrophysikerin mitten in der Kulturrevolution eine außerirdische Intelligenz, die schon bald zur größten Bedrohung der Menschheit wird. Eine feindliche Invasion droht, die Hoffnung der Welt ruht auf den gigantischen Plänen einer Hand voll Wissenschaftler. Am Ende sind es drei Märchen und nicht die Naturgesetze, die die Existenz der Menschheit retten. Diese Zusammenfassung wird Cixin Lius mehrfach ausgezeichneter Trisolaris-Reihe, für deren Qualität prominente Fans wie Barack Obama, Marc Zuckerberg, Jonathan Franzen oder Dietmar Dath bürgen.
Sie alle haben das 2015 mit dem renommierten Hugo-Award ausgezeichnete interstellare Epos zur Lektüre empfohlen. Cixin Liu ist zweifellos einer der hellsten Sterne am SF-Himmel. Ein Klassiker diente ihm zur Einführung. Während der Kulturrevolution laß er in der chinesischen Provinz die Romane von Jules Verne. Die naturwissenschaftlichen und technischen Details faszinierten den gelernten Ingenieur, weshalb er selbst zu schreiben begann. Maßgebend ist dabei für ihn, dass die theoretischen Grundlagen seiner Zukunftsvisionen wissenschaftlich nachvollziehbar sind. »Ich schreibe Science Fiction wirklich als Science Fiction. Die Technik und die Wissenschaft in den Geschichten sind nicht Requisiten, die intellektuellen Probleme keine Fassade, hinter der es eigentlich um Zwischenmenschlichkeiten geht, die man auch ohne das erzählen könnte«, erklärte er in einem Interview mit dem Heyne-Verlag.
Zudem würden die Krisen und Herausforderungen in seinen Büchern stets die gesamte Menschheit betreffen. Die Bücher sind inzwischen für Netflix unter dem Titel THREE BODY PROBLEM verfilmt und vom WDR als Hörspiel adaptiert worden, bei beiden Adaptionen geht aber einiges verloren. Ich empfehle daher die Lektüre dieses packenden und von Martina Hasse (»Die drei Sonnen«) und Karin Betz (»Der dunkle Wald«, »Jenseits der Zeit«) mitreißend übersetzten Zyklus.
Argentinische Historias-Trilogie
Der argentinische Autor Alan Pauls ist in Deutschland vor allem für seinen herausragenden Roman »Die Vergangenheit« (in der Übersetzung von Christian Hansen im Klett-Cotta Verlag erschienen) bekannt, nur vereinzelt wurde seine umwerfende Trilogie über die turbulentesten Jahre der argentinischen oder besser gesagt lateinamerikanischen Geschichte und ihre Nachwirkungen registriert.
In drei voneinander unabhängigen Geschichten erzählt Pauls von Menschen, die in äußerst schwierigen Verhältnissen ums Überleben kämpfen. Die »Geschichte der Tränen« ist eine Sammlung der dem jungen Erzähler anvertrauten Leidensberichte, die eine Geschichte der Schmerzen und Traumata eines Landes bilden. In der »Geschichte der Haare« sind es der Traum von ewiger Jugend und eine Perücke, die mitten in die Militärdiktatur Argentiniens führen. Und die »Geschichte des Geldes« wirkt in seiner schonungslosen Kapitalismus- und Neoliberalismuskritik wie eine Zeitmaschine, die direkt in die argentinische Gegenwart führt.
Alan Pauls »Historias«, allesamt famos von Christian Hansen im Klett-Cotta Verlag übersetzt, sind unvergessliche Allegorien auf Fragen von Schuld und Verantwortung, eingepflanzt in eine schizophrene Gesellschaft, in der Unschuld nicht existiert, weil jede Biografie unter einem doppelte Boden düstere Geheimnisse verbirgt. Kein geringerer als Roberto Bolaño sagte, Pauls sei der wichtigste Gegenwartsautor seines Landes. Dem kann ich nur zustimmen.
Jahreszeiten-Quartett
Ali Smith‘ Jahreszeiten-Quartett bietet sich dafür mehr als an, denn abwechslungsreicher, mitreißender, überraschender und spannender kann man über Großbritannien in diesen Zeiten nicht schreiben. In dem ersten Band »Herbst« liest Elisabeth ihrem dementen Nachbarn Bücher vor und erkennt sich dabei selbst; es ist eine fulminante Todesfuge auf den Brexit. In »Winter« eskaliert ein Weihnachtsfest, in »Frühling« setzt Smith in einer völlig unmöglichen Geschichte der britischen Xenophobie die Hochkultur entgegen und in »Sommer« erzählt sie die Geschichte eines Mädchens und ihrer Familie zwischen Tierschutz, Klimawandel und Lockdown.
Smith blickt tief in die Köpfe ihrer Figuren, lässt sie über die Moderne, den Raubtier-Kapitalismus, Flüchtlinge und die EU diskutieren. Diese von Silvia Morawetz so galant wie mitreißend übersetzten Romane bieten vorzügliche Unterhaltung, Charme und gesellschaftspolitische Analyse.
Scuratis M-Zyklus
Das M auf den Titeln von Antonio Scuratis auf vier Bände angewachsenen Romanprojekts über den Aufstieg des Faschismus in Europa steht für Benito Mussolini, der als »Sohn des Jahrhunderts« das Trümmerfeld nach dem 1. Weltkrieg für sich zu nutzen weiß (Band 1) und dann als »Mann der Vorsehung« (Band 2) die Figuren auf dem politischen Schachbrett zu seinen Gunsten arrangiert. Im dritten Band »Die letzten Tage von Europa« zeichnet Scurati dann das Bündnis mit Hitler und den kollektiven Marsch Europas in den Faschismus nach, bevor er in »Das Buch des Krieges« vom Untergang des Duce erzählt.
Kaum ein Werk, das von Verena von Koskull (und im 4. Band auch Michael von Killisch-Horn) sprachgewaltig übersetzt wurde, analysiert den Aufstieg des Faschismus in Italien und Europa so akribisch und kunstvoll wie dieser mehrfach ausgezeichnete Zyklus, der inzwischen auf über 2.000 Seiten angewachsen ist. Kein Projekt, dass man zwischen den Jahren bewältigt, aber eines der besten Vorhaben, das man sich für 2025 machen kann. Lektionen für die Gegenwart inbegriffen!
Geschichte des Kalten Kriegs
Diese von Bernd Greiner herausgegebenen Bände dokumentieren die Ergebnisse einer Forschungsgruppe am Hamburger Institut für Sozialforschung zur Gesellschaftsgeschichte des Kalten Krieges. Dabei geht es zum einen um das Problem, wie das institutionelle, materielle und mentale »Erbe der Gewalt« des Zweiten Weltkrieges in der Nachkriegszeit weiterwirkte und transformiert wurde. Zum anderen wird darin untersucht, wie die unter den Bedingungen des Ost-West-Konfliktes geschaffenen Gewaltpotentiale und die sie verwaltenden staatlichen Institutionen das Leben beeinflussten und welche Spuren dieser Einfluss hinterlassen hat.
Gefragt wird nach der wechselseitigen Durchdringung sowie Beeinflussung von zivilen und militärischen Welten, von Innen- und Außenpolitik, von Sicherheitsstrategie und Wirtschaftspolitik, von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie von politischen Großwetterlagen und Mentalitäten. Hierbei sind geschichtswissenschaftliche, ökonomische, politikwissenschaftliche, soziologische wie psychologische Ansätze gleichzeitig gefragt. Diese Ansätze haben Greiner und sein Team in jahrelanger Sisyphosarbeit verfolgt, um ihre augenöffnenden und mitunter auch überraschenden Ergebnisse in diesen Bänden zusammenzuführen. Angesichts der internationalen Entwicklungen und den sich verhärtenden Fronten zwischen Ost und West ist diese Lektüre überaus lohnenswert.
Biographie einer Frau
Gleich im Januar erscheint der dritte und abschließende Teil von Julia Schochs Trilogie der »Biographie einer Frau«. Nachdem Schoch in »Das Vorkommnis« erst die biografische Erschütterung einer Nachricht verarbeitet hat und in »Das Liebespaar des Jahrhunderts« die Verletzungen und Verwundungen einer Beziehung in den Mittelpunkt rückte, wird es in »Wild nach einem wilden Traum« erneut um einen Kipppunkt im Leben ihrer Heldin gehen. Sie lässt sich auf eine Affäre mit einem katalanischen Schriftsteller ein und wagt alles, was man wagen kann, um zu sich selbst zu finden.
»Der einzige Mensch, mit dem ich je über den Katalanen gesprochen habe, war meine Schwester«, heißt es am Ende, wo sich der Kreis zum ersten Teil schließen mag oder erneut öffnet. Das ist ganz den Leser:innen dieses Tryptichons überlassen.
Trilogie des kritischen Denkens
Die Schriften der Philosophin Bettina Stangneth, die viele wahrscheinlich aufgrund ihres Buches »Eichmann vor Jerusalem« oder von den von ihr herausgegebenen Aufzeichnungen des Eichmann-Verhörers Avner Werner Less »Lüge! Alles Lüge!« kennen, hat die Süddeutsche Zeitung einmal als »Lektion in gespannter Gelassenheit« bezeichnet.
Zwischen 2016 und 2018 veröffentlichte sie ihre Trilogie zur Kritik der dialogischen Vernunft. Die Essays »Böses Denken« (nominiert für den Bayerischer Buchpreis), »Lügen lesen« und »Hässliches Sehen«, die alle im Rowohlt Verlag erschienen sind, sind Resultate ihres kritischen Umgangs mit der Hoffnung der Aufklärung, wie sie im Nachwort zur Trilogie beschreibt. Selberdenken, Zuhören und Hinsehen allein würden weder moralisches Verhalten noch eine sichere Weltorientierung garantieren, schrieb Stangneth da hellsichtig, als hätte sie damals schon den Weg in die gegenwärtige Hysteriegesellschaft erkannt. Statt ratlos in die gesellschaftlichen Debatten zu schauen, empfehle ich diese klugen und geradezu visionären Essays, die den eigenen Blick auf die Verhältnisse weiten.
Gelände-Trilogie
Gleich zu Beginn von »Rombo« beschreibt Esther Kinsky, woran der aufmerksame Beobachter erkennen kann, was dem rauen norditalienischen Friaul, einem Landstrich an der Grenze zu Slowenien, zugestoßen ist. An den dürftig geflickten Rissen in den Hauswänden großer Gebäude, an schiefen Grabmälern, verzerrten Kathedralen und den einstöckigen Häusern auf dem Feld erkenne man, dass diese Region im Jahr 1976 von zwei heftigen Erdbeben heimgesucht worden ist. Alles ist schief, was steht, bleibt flach. »Hauptsache, nicht zu viel fällt einem aufs Haupt, falls es noch einmal…«
Gemeinsam mit »Hain« (wie »Rombo« im Suhrkamp Verlag erschienen) , ihren 2018 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Streifzügen durch Italien, und »Am Fluß«, ihrer bei Matthes & Seitz Berlin erschienenen Erkundung des Terrains rund um den Fluss Lea vor den Toren Londons, bildet »Rombo« eine eigenständige Gelände-Trilogie. Das Gelände in den drei sprachmächtigen Romanen wird zum Kulminationspunkt von Wahrnehmung und Erfahrung, von Geschichte und Geschichten, in denen sich das Betrachten ebenso spiegelt wie das Erinnern.
Der Boden des täglichen Lebens wird in dieser Literatur »zum gestörten Gelände, auf dem ein jeder nach Verlorenem sucht, tastend, schauend, horchend«, wie es etwa in »Rombo« heißt. »Ein Erdbeben ist doch, als bewegte sich etwas Gewaltiges im Traum. Oder als wäre einem Riesen nicht wohl im Schlaf. Und das Erwachen ist eine neue Ordnung der Dinge in der Welt. Da wird der Mensch mit seinem Leben so klein wie der kleinste Stein im Fluss.« Dass der Mensch – sei es Kinski selbst oder seien es Menschen, denen sie begegnet – dennoch nicht in Vergessenheit gerät, dafür sorgt die erschütternde, bewegende und umwälzende Prosa der Schriftstellerin und Übersetzerin Esther Kinsky, die Naturkunden und Erinnerung kunstvoll miteinander verknüpft.
Trilogie des Liebens
Glaubt man der 2021 verstorbenen Feministin bell hooks, dann liegt im Bekenntnis zur Selbstliebe, zum Begehren und zur eigenen Sexualität die eigentliche feministische Revolution. In ihren bereits um die Jahrtausendwende erschienenen und von Heike Schlatterer und Elisabeth Schmalen übersetzten Klassikern »alles über liebe«, »lieben lernen« und »selbstliebe« appelliert bell hooks an den Mut zum großen Ganzen. Liebe definiert sie dabei als »Willen, das eigene Selbst auszudehnen, um das eigene spirituelle Wachstum oder das eines anderen Menschen zu nähren.«
Dieses Konzept wollte hooks nicht auf den privaten Raum beschränkt wissen, sondern stellte sie als gesellschaftliche Utopie in den Raum. Dabei richte sich die Liebe direkt gegen das Patriarchat, weil sie als politische Idee Dominanz und Unterdrückung beende. Die in ihrer Liebes-Trilogie formulierte Ethik der Liebe ist hochaktuell, wenn es da etwa heißt, dass Kulturen der Dominanz auf die »Kultivierung der Angst« und den »Wunsch nach Abschottung« bauen. Daher gelte es, die Angst abzubauen, um sich mit anderen zu verbinden und sich selbst in den anderen wiederzufinden. Wie dies gelingen und insbesondere Frauen in Liebe und Sexualität Freiheit entdecken können, beschreibt sie in ihren Texten, in denen hooks aus persönlicher Erfahrung heraus Gerechtigkeit, Strukturen, Arbeit, Macht, Körper, Alter, Sexualität und Emotionen in den Blick nimmt und konstruktiv miteinander ins Verhältnis setzt.
Trilogie der menschlichen Existenz
Daniel Schreiber hat mit seinen autobiografischen Essays »Nüchtern«, »Zuhause« und »Allein« eine Art Trilogie der menschlichen Existenz vorgelegt. Schreibers ebenso kluge wie entblößende Essays stehen ganz in der angelsächsischen Tradition, die Texte von Joan Didion oder Leslie Jamison stehen ihm stilistisch beim Schreiben zur Seite, inhaltlich viele mehr – von Annie Ernaux über Didier Eribon bis Hannah Arendt oder Anita Brookner.
In allen drei Essays geht es um Wunden und Narben, Schmerzen und Scham, um Einsamkeit und Angst, Glück und Unglück, Hoffnung und Liebe – also um Zustände, die das Leben hinterlässt. Wie aber geht man mit ihnen gesellschaftlich um? Und wie ist der Susan-Sontag-Biograf Daniel Schreiber mit ihnen umgegangen. Um diese Fragen kreisen Schreibers Bücher.
Betäubung und Rückzug sind klassische Motive, die in diesen lebensklugen Essays reflektiert werden, um einen Ort im Ich zu finden, an dem er leben will. Dass es dabei auch darum geht, loszulassen und Kraft aus den Verlusten zu ziehen, die wir erleiden, darum geht es in seinem jüngsten Buch »Die Zeit der Verluste«. Sein Schreiben dreht sich also weiter um die existenziellen Fragen des Lebens, es lohnt sich, dem nachzugehen.
Trilogie der kapitalistischen Idiotie
Anlässlich des Erscheinens ihres Romans »GRM – Brainfuck«, einer allzu realen Dystopie über künstliche Intelligenz, Überwachung und Neoliberalismus, sagte SciFi-Adeptin Sibylle Berg in einem Interview, dass sie »immer mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, für Gerechtigkeit kämpfen« werde und daran glaube, »dass eine Gesellschaft, in der es allen gut geht, die bessere, freundlichere, entspanntere ist«. Diesen Kampf ließ sie in »RCE – Remote Code Execution«, dem zweiten Roman ihrer Trilogie, von einer Handvoll Hacker austragen, die an einem geheimen Ort in einem abhörsicheren Container am Code zur Rettung der Welt sitzen. Die war nach der gescheiterten Tech-Revolution (Brainfuck) dringender denn je, denn in ihrem der Gegenwart entrissenen und ordentlich desillusionierenden Roman ist die Krise der Normalzustand, weil Kriege und Unterdrückung, Seuchen und Klimakatastrophen über das Schicksal der Menschheit bestimmen.
Hinter diesem maroden Grundzustand der Wirklichkeit steckt der neoliberale, als allumsorgendes, vorausschauendes Überwachungsregime angelegte Raubtierkapitalismus, mit dem windige Banker und Investoren die bessere, freundlichere und entspanntere Gesellschaft, von der Berg träumt, permanent verhindern. Wer meint, dass es sich dabei nur um Fiktion handelt, hat doppelt unrecht. Erstens mit »nur« angesichts des mitreißenden Tempos, mit dem Bergs Textlawinen die Gehirne ihrer Leser:innen fluten. Zweitens mit Fiktion selbst, denn die Belege ihrer die Untiefen unserer Gegenwart erkundenden Prosa finden sich in dem Interviewband »NERDS retten die Welt«, der beim Schreiben des zweiten Bandes ihrer Trilogie über die kapitalistische Idiotie unserer Zeit entstanden ist. Nun heißt es, auf den Abschluss von Bergs Triptychon zu warten.