Literatur

Literatur reagiert auf die Gegenwart

Welche Bedeutung haben Nature Writing und Climate Fiction in der zeitgenössischen Literatur? Wie beeinflussen laufende Debatten zum Klimawandel die Arbeit einer literarischen Institution? Anlässlich einer Recherche für den tip Berlin bat ich Janika Gelinek, einer der beiden Leiterinnen des Literaturhaus Berlin, auf diese Fragen einzugehen. Hier dokumentiere ich ihre Antwort.

Die literarische Hinwendung zur Natur hat es schon immer gegeben, sie ist nur durch die gegenwärtigen Debatten viel sichtbarer und dringlicher geworden – und damit auch in Deutschland zum quer durch alle Verlage erkennbaren und repräsentierten Genre geworden: sei es Esther Kinskys so wegweisendes wie stilbildendes »Rombo« oder auch spannende ältere Titel wie »Curious Creatures« von Erna Pinner, das soeben in der wunderbaren Gestaltung von Kat Menschik bei Weidle erschienen ist.

Janika Gelinek (rechts) und Sonja Longolius (links) leiten gemeinsam das Literaturhaus Berlin | Foto: Phil Dera

Für uns in der Programmgestaltung ist aber weniger die puristische Repräsentation eines Genres von Bedeutung oder wie sich Nature Writing und Climate Fiction zueinander verhalten, als vielmehr die grundsätzliche Frage, wie Autor:innen und Künstler:innen auf die Gegenwart reagieren – und das geschieht bei uns eben zumeist genreübergreifend und interdisziplinär: beim Climate Fiction Festival 2020, bei dem neben dem Klima auch (pandemisch zwangsläufig) die digitale Vernetzung der Welt Thema war, beim Festival der Kooperationen mit Alexander Kluge 2021, in dem Natur und Klima nicht nur thematisch, sondern vor allem auch durch die Kooperationspartner präsent waren (u.a. Botanischer Garten, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Wissenschaftskolleg) oder bei der Verleihung des WORTMELDUNGEN Preises im Januar 2022, bei dem neben Marion Poschmanns lyrischem »Laubwerk« jüngere, aggressivere, essayistische Formen im Zentrum standen, z.B. Samuel J. Kramers spektakulärer Text »Nichts an einem Waldbrand ist unsichtbar«.

Gattungsdefinitionen scheinen also eher müßig, wo Texte darum ringen, die bedrohte Natur nicht nur zu fassen, sondern auch ihre Zerstörung anzuprangern – entsprechend interessieren mich persönlich auch Essays, Dystopien und Poetry Slam als alte und neue Ausdrucksformen engagierter Literatur – zum Beispiel das gerade bei Reclam neu von Holger Hanowell übersetzte »Ökotopia« von Ernst Callenbach oder den von Samuel J. Kramer im Satyr Verlag herausgegebenen Band »Poetry for future. 45 Texte für übermorgen«.

Beim diesjährigen Sebald-Preis, dessen Thema die Zerstörung der Natur war, hat bezeichnenderweise Kirsten Fuchs gewonnen, mit einem so dystopischen wie lustigen Text über einen Jugendlichen, der in der Dauerquarantäne Besuch von einer Amsel bekommt, die ihm die eigene Entfremdung von der Natur deutlich macht.

Last but not least haben wir auch im Haus überlegt, wie die menschengemachte Zerstörung der Natur präsent sein könnte, ohne dass jeder Abend mit einem Appell für den Klimaschutz beginnt: Der Künstler Marc Bausback hat dafür eine Bühne aus Lehm gebaut, aus der Kakteen wachsen – und bislang ist noch kein Abend vergangen, an dem Publikum und Podium nicht unmittelbar darauf reagiert hätten… 🙂

2 Kommentare

Kommentare sind geschlossen.