Ein Hintergrundgespräch mit Martin Zähringer, dem Initiator vom Climate Cultures Festival Berlin, zu Nature Writing und dem Potential der Klimawandel-Literatur.
Herr Zähringer, wie kam es zur Gründung des Climate Cultures Festival und welchen Gedanken verfolgen Sie und die Macher des Festivals?
Ursprünglich kommt das aus der Literaturkritik. Ich hatte vor ein paar Jahren festgestellt, dass in unserem Literatur- und Feuilletonbetrieb das Thema Klimawandel gar nicht auftaucht. Jedenfalls nicht so offensiv wie im anglophonen Raum, wo sogar schon ein Begriff kursierte – Climate Fiction oder Cli-fi. Wir haben dann ein sehr erfolgreiches Climate Fiction Festival mit europäischen Autor:innen auf die Beine gestellt und aber bald schon bemerkt, dass es nicht so weiter gehen kann – jedes Jahr ein CliFi-Festival oder so. Deshalb versuchen wir jetzt, erzählende Literatur zum Klimawandel in ihrem kulturellen Kontext zu sehen, und der heißt Climate Cultures oder auch Klimakulturen. Da geht es aber auch um andere Genres und Sparten, alle die am Thema sind – und das werden immer mehr.
Können Sie angesichts von Klimawandel sowie Umwelt- und Nachhaltigkeitsdebatten tatsächlich eine neue literarische Hinwendung zur Natur, zum »Nature Writing« feststellen?
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob die eindeutig feststellbare Hinwendung zum Nature Writing aus Umwelt- oder Nachhaltigskeitsdebatten resultiert. Erstens ist es eine recht späte Renaissance der amerikanischen Tradition in deutscher Sprache; ich meine hier nicht nur die Übersetzungen von einschlägigen Nature Writern der amerikanischen oder britischen Tradition, sondern auch die poetologische Grundposition – der Mensch in der Natur wird zum schreibenden Subjekt. Es ist also zweitens die Ausweitung des literarischen Individualismus mit anderen Mitteln und damit eher etwas konservativ.
Wie wird Nature Writing von deutschsprachigen Autor:innen eingesetzt? Welche Themen werden in den Fokus gerückt?
Ehrlich gesagt möchte ich zum deutschsprachigen Nature Writing gar nicht so viele Worte verlieren. Ich finde, es hat kein wirklich kritisches Potential mehr, es war mal vor ein paar Jahren spannend, als die berühmten Trüffelschweine im Verlagswesen noch großes, originales Nature Writing publiziert haben. So brachte Matthes & Seitz etwa eine Werksausgabe des Insektenkundlers Jean-Henri Fabre heraus, außerdem Gary Snyder, Henry David Thoreau, John Muir und weitere. Zudem beherbergt der Verlag die einschlägige Reihe Naturkunden, die von Judith Schalansky kuratiert wird. Inzwischen ist es zu einer ziemlich einträglichen Verlagssparte mutiert und allzu vieles wiederholt sich einfach nur.
Wie würden Sie das Verhältnis von »Climate Fiction« und »Nature Writing« zueinander beschreiben? Wie verhält es sich in der deutschsprachigen Literaturszene?
Nature Writing bezieht seine Energie aus der Rück- oder Hinwendung zu einer als heilsam gedachten Natur, aber die ist meiner Meinung nach hinüber. Natur als Ort der Heilung ist Vergangenheit. Climate Fiction bezieht ihre Energie aus der Zukunft, das war schon bei der frühen Science-Fiction so, auch wenn die dystopischen Romane sehr drastische Szenarien bieten. Heute gehen ja immer mehr kreative Köpfe auf die Suche nach dem utopischen Potential, oder nach einem Schreiben, das Hoffnung für die Gegenwart schöpft. Ich kann leider die deutschsprachige Szene gar nicht mehr so genau beurteilen, es wird ja deutlich mehr, aber meine Zeit gehört überwiegend der internationalen Recherche. Man muss diese Fragen global betrachten, sonst hat es keinen Sinn.
Haben »Nature Writing« oder »Climate Fiction« das Zeug, die neue engagierte Literatur unserer Zeit zu werden?
Ja, auf jeden Fall. Beide Strömungen, so verschieden sie sein mögen. Das Nature Writing könnte vielleicht noch etwas mehr zur Lage der Situation aussagen, wenn es ästhetisch mehr aus sich macht und die klassischen Dispositionen verlässt. Wie sprechen Mikroben? Was ist die Sprache dieser sogenannten Natur? Die der Menschen kennen wir schon. Und die Climate Fiction wird sicher auch noch ganz, ganz hot, wenn sie die Gefahr in den Literaturbetrieb selbst trägt. Wenn die Welt gefährlich wird, darf Literatur nicht harmlos sein.
Wie würde sich mein Leben in einer durchschnittlich zwei Grad wärmeren Zukunft anfühlen? Die Ausstellung im Züricher Strauhof will die Bedingungen und komplexe Zusammenhänge des gerade erscheinenden Anthropozän sichtbar und fühlbar machen. Geschichten und Gedichte erzählen von Hitze, Wasser und Gletschern, von drastischen Veränderungen und vom schwindenden Vertrauen zwischen den Generationen. Aber auch von Verantwortung und von der Hoffnung auf eine bessere Welt. Kann die Literatur uns helfen, zu verstehen, zu akzeptieren, zu handeln?
[…] Ähnlich sieht das auch Martin Zähringer, Initiator des Climate Cultures Festivals in Berlin. »Das Nature Writing könnte vielleicht noch etwas mehr zur Lage der Situation aussagen, wenn es ästhetisch mehr aus sich macht und die klassischen Dispositionen verlässt. Wie sprechen Mikroben? Was ist die Sprache dieser sogenannten Natur? Die der Menschen kennen wir schon. Und die Climate Fiction wird sicher auch noch ganz, ganz hot, wenn sie die Gefahr in den Literaturbetrieb selbst trägt. Wenn die Welt gefährlich wird, darf Literatur nicht harmlos sein.« […]