Zeitgeist

Jetzt ist der Moment…

Jetzt ist der Moment, um der Ukraine zu helfen, diesen Kriegswinter zu überstehen. Mehr als 70 Osteuropa-Forscher:innen, Schriftsteller:innen, ehemaligen Diplomat:innen und Politiker:innen, Historiker:innen und Sicherheitsexpert:innen rufen mit dem LibMod – Zentrum Liberale Moderne für verstärkte Hilfen für die Ukraine auf. Die Unterstützung der zivilen und militärischen Widerstandskraft der Ukraine sei nicht nur eine moralische Pflicht, sondern liege in unserem Interesse. 30 internationale Autor:innen berichten zudem in einem neuen Film, was der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mit ihnen macht.

»Wenn sich Autor:innen der Wahrheit verpflichtet sehen, welche Chance haben sie dann in einem Regime, das es schon zu einem Verbrechen macht, einen Krieg als Krieg zu bezeichnen?«, fragt Margaret Atwood in dem Film »Voices on War«. Vorgestellt wurde der einstündige Film, in dem sich über 30 renommierte Autor:innen aus aller Welt zum Krieg in der Ukraine äußern, beim internationalen literaturfestival odessa, das in diesem Jahr kriegsbedingt im georgischen Batumi stattgefunden hat. Der Film, der kostenlos auf Youtube zu sehen ist, wirft ein Schlaglicht auf die Krise, die seit Beginn des Ukraine-Kriegs auch Kulturschaffende und insbesondere Autor:innen erfasst hat. Neben Booker-Preisträger:in Atwood äußern sich in dem Film auch der letztjährige Booker-Prize-Gewinner Damon Galgut, Pulitzer-Preisträger Matthieu Aikins, Heinrich-Böll- und Bruno-Kreisky-Preisträgerin Eva Menasse, der renommierte syrische Schriftsteller Khaled Khalifa oder der iranische Romancier Amir Hassan Cheheltan.

Vor allem die Vielfältigkeit der im Film geäußerten Perspektiven und Gedanken zum Krieg zeichnen den knapp einstündigen Film aus: Matthieu Aikin aus Kanada, Amir Hassan Cheheltan aus dem Iran und Khaled Khalifa aus Syrien erinnern an die sowjetischen und russischen Kriege in Afghanistan und Syrien, erkennt die italienische Schriftstellerin Dacia Maraini vor allem Ähnlichkeiten zwischen dem italienischen Widerstand gegen den Faschismus und dem »mutigen« Kampf der ukrainischen Bevölkerung. Der in Odessa geborene Dichter, Kritiker, Übersetzer und Lyrik-Professor Ilya Kaminsky schildert seine Betroffenheit über die Zerstörungen in seiner Geburtsstadt und das Leiden der dortigen Bevölkerung. Der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow ruft dazu auf, ukrainische Literatur zu lesen. 

Die tschechische Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin Radka Denemarková sieht im Krieg gegen die Ukraine den Gegensatz von offener Gesellschaft und Totalitarismus, von Meinungsfreiheit und Zensur sowie von Humanismus und ökonomischem Pragmatismus aufscheinen. Die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla erkennt im Krieg nicht den vielfach heraufbeschworenen Einbruch des Realen ins Leben, sondern vielmehr eine »Irrealität«.

Der niederländischsprachige belgische Autor, Historiker und Archäologe David Van Reybrouck mahnt, dass der Krieg die internationale Gemeinschaft auch im Kampf gegen den Klimawandel zurückwerfen wird und die türkische Journalistin Ece Temelkuran fürchtet die Gefahr der Normalisierung des Krieges in den Medien. Eva Menasse, die österreichische Schriftstellerin und Sprecherin des PEN Berlin sieht durch den Krieg den Glauben ihrer Generation an die Vernunft und den Fortschritt zutiefst erschüttert.

Die in Berlin lebende Menasse gehört auch zu den über 70 Intellektuellen, die angesichts der massiven russischen Angriffe auf ukrainische Städte, die Energieversorgung, Industriebetriebe und Verkehrswege davor warnen, dass der Ukraine ein Winter der Dunkelheit, der Kälte und des Hungers droht. Sie fordern auf, der Ukraine jetzt mit Spenden, humanitärem Engagement, technischer Unterstützung sowie finanzieller, militärischer und Nothilfe zur Seite zu stehen. Seit Beginn der russischen Großoffensive mussten bereits 14 Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen, weitere Millionen sollen zur Flucht gezwungen werden. Deutsche Kommunen klagen Medienberichten zufolge jetzt schon, am Rand ihrer Aufnahmekapazitäten zu sein. Gerade jetzt müssten die europäischen Gesellschaften aber zusammenstehen.

»Gelänge es Putin, die Ukraine in den Zusammenbruch zu treiben, gerieten auch die europäische Sicherheitsordnung, die Europäische Union und das transatlantische Bündnis ins Wanken. Dann ist kein Land im ehemaligen Machtbereich der Sowjetunion mehr sicher, die antidemokratischen Kräfte bekommen Auftrieb und das Völkerrecht liegt in Trümmern. Aus diesem Grunde ist die Unterstützung der zivilen und militärischen Widerstandskraft der Ukraine nicht nur eine moralische Pflicht. Sie liegt vielmehr in unserem ureigenen Interesse.«

Aus dem Aufruf »Jetzt ist der Moment«

Zu den Erstunterzeichner:innen des Aufrufs gehören neben Eva Menasse Intellektuelle wie Swetlana Alexijewitsch, Aleida Assmann, Jan Assmann, Gerhart Baum, Wolf Biermann, Marianne Birthler, Dany Cohn-Bendit, Durs Grünbein, Rebecca Harms, Wolfgang Ischinger, Daniel Kehlmann, Gerd Koenen, Claus Leggewie, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Herta Müller, Katharina Raabe, Jens Reich, Thomas Roth, Karl Schlögel, Ulrich Schreiber oder Michael Zürn. Mit ihrem dringenden Appell wenden sie sich an Bürger:innen, Verbände, Unternehmen sowie die Bundesregierung und fordern auf, jetzt der Ukraine mit vereinten Kräften über den kommenden Kriegswinter zu helfen: mit Spenden, humanitärer und technischer Hilfe und mit den Waffen, mit denen die Zivilbevölkerung geschützt und die russischen Truppen zurückgedrängt werden können.

Es gelte, den Geist der Solidarität »ungeachtet aller Härten bei uns, jetzt wiederzubeleben. Nichts wäre für die Ukraine gefährlicher als eine schleichende Ermüdung der westlichen Öffentlichkeit und Politik«, heißt es in dem Aufruf.

»Putins Katastrophenstrategie darf nicht aufgehen! Die von der ukrainischen Friedensnobelpreisträgerin Olexandra Matwijtschuk zitierte Parole »Für unsere und für eure Freiheit!« gelte auch umgekehrt: »FÜR EURE UND FÜR UNSERE FREIHEIT!«

Aus dem Aufruf »Jetzt ist der Moment«

SPENDEN könne man am besten an eine der schon existierenden Initiativen oder auf den von Präsident Wolodymyr Selensky eingerichteten nationalen Spendenfonds UNITED24.