Comic

Hinter dem Raum-Zeit-Kontinuum

Ein ambitioniertes Comicprojekt widmet sich den Welten von SciFi-Star Cixin Liu. Die ersten Alben lassen sich sehen und geben einen Eindruck davon, was es für zukünftige Generationen heißt, wenn das Klima kippt.

Irgendwo unter den drei Sonnen entdeckt eine chinesische Astrophysikerin mitten in der Kulturrevolution eine außerirdische Intelligenz, die schon bald zur größten Bedrohung der Menschheit wird. Eine feindliche Invasion droht, die Hoffnung der Welt ruht auf den gigantischen Plänen einer Hand voll Wissenschaftler. Am Ende sind es drei Märchen und nicht die Naturgesetze, die die Existenz der Menschheit retten. Diese Zusammenfassung wird Cixin Lius »Trisolaris«-Reihe nicht ansatzweise gerecht, für deren Qualität bürgen aber Prominente wie Barack Obama, Marc Zuckerberg oder Jonathan Franzen, die das 2015 mit dem renommierten Hugo-Award ausgezeichnete interstellare Epos zur Lektüre empfohlen haben.

Cixin Liu ist zweifellos einer der hellsten Sterne am SF-Himmel. Ein Klassiker diente ihm zur Einführung. Während der Kulturrevolution laß er in der chinesischen Provinz die Romane von Jules Verne. Die naturwissenschaftlichen und technischen Details faszinierten den gelernten Ingenieur, weshalb er selbst zu schreiben begann. Maßgebend ist dabei für ihn, dass die theoretischen Grundlagen seiner Zukunftsvisionen wissenschaftlich nachvollziehbar sind. »Ich schreibe Science Fiction wirklich als Science Fiction. Die Technik und die Wissenschaft in den Geschichten sind nicht Requisiten, die intellektuellen Probleme keine Fassade, hinter der es eigentlich um Zwischenmenschlichkeiten geht, die man auch ohne das erzählen könnte«, erklärt er in einem Interview des Verlags. Zudem würden die Krisen und Herausforderungen in seinen Büchern stets die gesamte Menschheit betreffen. Kulturkämpfe meide er. Das wird aber zunehmend schwierig, da rechte Bubbles den Klimawandel zunehmend von einer wissenschaftlich belegten Tatsache zu einem identitären Debattenfeld umdeuten.

Zurückgezogen lebt er in der chinesischen Provinz Shanxi und schreibt und schreibt und schreibt. Tausende Seiten sind seit dem Ende der 90er Jahre entstanden, es ist ein wortwörtlich gigantisches Werk. Sein knapp zwanzig Wälzer umfassendes Werk umspannt ganze Galaxien. 2019 produzierte Netflix eine Verfilmung von »Die wandernde Erde«, vor wenigen Monaten haben die »Game of Thrones«-Macher David Benioff und D. B. Weiss die erste Staffel ihrer Verfilmung der Trisolaris-Erzählung abgeschlossen. 2023 soll sie bei dem Streaming-Anbieter starten.

Auch der deutsche Papst des Science-Fiction-Genres (SF) Dietmar Dath ist begeistert von der Literatur des Chinesen, er hält ihn für eine der größten Hoffnungen der Hard Science Fiction, einem SciFi-Subgenre, das sich an Mathematik und wissenschaftlicher Empirie orientiert. Man könnte auch sagen, dass die Science hier besonders groß geschrieben wird. Das heißt nicht, dass Liu ihr wie ein Jünger folgt, sondern dass er sie reflektiert. In seiner weltweit erfolgreichen »Die drei Sonnen«-Trilogie stellt sich etwa am Ende heraus, dass zahlreiche Naturgesetze bewusst herbeigeführt sind und damit künstlich produziert. Die Implikationen sind entsprechend weitreichend. Da reicht es nicht, sich mit den technisch-naturwissenschaftlichen Grundlagen auszukennen, sondern man muss auch bereit sein, so manche spatial-temporale Prinzipien hinter sich zu lassen.

In seiner SciFi-Kulturstudie »Niegeschichte« stellt Dath bewundernd die Frage, wie der Chinese in seinem Hauptwerk angesichts der wissenschaftlichen Akkuratesse »eine dermaßen vollständige Übersicht über ausufernde ästhetisch-philosophische Konstrukt wahren kann und dabei noch Zeit und Kraft hat, augenöffnende Sprachbilder zu erschaffen, deren lyrische Vermählung von Wissen und Schönheit wie kleinstmögliche Saatkapseln einer Hard-SF-Poetik wirken.« Mehr Lob kann man hierzulande als SciFi-Autor kaum bekommen.

Passend zum Gigantismus, der mit Lius Werk verbunden ist, ist ein Comic-Projekt entstanden, das einen ähnlich größenwahnsinnigen Anspruch verfolgt. Insgesamt fünfzehn Comicadaptionen sollen erscheinen, in denen Zeichner und Autoren aus Argentinien, Belgien, Bosnien-Herzegowina, China, Frankreich, Italien, Serbien, Spanien, Uruguay und den USA Erzählungen des Chinesen in Text und Bild überführt haben.

Den Anfang macht der beeindruckende Comic »Die Wandernde Erde«, dessen Erzählung in einer Welt spielt, in der die Sonne bald erlischt und die Erde erkalten wird. Die Menschheit beschließt daher, die Erde mit gigantischen Raketentriebwerken aus ihrer Umlaufbahn zu schubsen und nach einem neuen, wärmegebenden Planeten suchen zu lassen.

Einer der Macher ist der französische Szenarist Christophe Bec, der bereits zahlreiche SF-Comics umgesetzt hat. Cixin Liu steht für ihn »auf einer Stufe mit den ganz großen der Zunft, mit Isaac Asimov, Frank Herbert, Philip K. Dick oder Alastair Reynolds«. Die größte Herausforderung bei der Adaption habe darin bestanden, »die poetische und spektakuläre Dimension des Originals zu bewahren«, erklärte er im Gespräch. Die beeindruckenden Sprachbilder Lius hat er in überwältigende Doppelseiten übersetzt, die die Hybris des Unternehmens vor Augen führen. Gelungen ist ihm das mit einer Panelarchitektur, die sich über die Doppelseite erstreckt. »Ich wollte den Eindruck des Gigantismus bewahren und die überwältigenden Bilder aus der Erzählung zum Leben erwecken«, begründet Bec, der seine Inspiration unter anderem bei den ausdrucksstarken Zeichnern des legendären französischen Comicmagazins Metal Hurlant fand.

Dieser ersten, in dunklen Farben gehaltenen Space Opera steht die in Gelbtönen gehaltene Dystopie »Yuanyuans Blasen« des franko-belgischen Duos Valérie Mangin und Steven Dupré gegenüber. Hier führt der Klimawandel zu Dürre und Wasserknappheit auf der Welt. Eine junge Wissenschaftlerin will mit gigantischen Seifenblasen dem Hitzekollaps zuvorkommen. Ein zunächst verrückt anmutender Plan, dessen Einzelheiten aber nicht völlig aus der Luft gegriffen sind.

In beiden Comicadaptionen wird Lius Vertrauen in die innovative Kraft der Menschheit deutlich: »Nur Wissenschaft und Technologie ermöglichen es der Menschheit, Katastrophen entgegenzutreten. Eine ständige Entwicklung von Wissenschaft und Technologie ist auch die Grundlage, auf der die Menschheit eine lebenswerte Zukunft bauen kann.«

In dem von Sylvain Runberg und Miki Montllò umgesetzten Comic »Die Versorgung der Menschheit« wird der skrupellose Auftragskiller Glattrohr auf eine Mission geschickt, wie er sie noch nie erlebt hat. Im Auftrag der reichsten Menschen der Welt soll er drei der ärmsten Menschen der Welt umbringen. Schnell stellt er sich die Frage, warum ein hungernder Maler, ein blinder Straßenmusiker und eine kindliche Schrottsammlerin eine solche Gefahr darstellen sollen.

Geradezu mythisch ist die gerade erschienene und von Xavier Besse umgesetzte Comicadaption der Kurzgeschichte »Der Kreis«, die tief in die Geschichte der chinesischen Kaiserreiche eintaucht. Sie handelt von einem Gelehrten, dessen Attentat auf den Kaiser scheitert, weil er es selbst so will. Der Anschlag dient nur als Vorwand, um an den Herrscher heranzukommen, dem er eine sensationelle Botschaft offenbaren will.

In den anderen, bereits erschienenen Geschichten wurden tech-affine Zukunftserzählungen adaptiert, in denen es um interstellare Kriege (»Der Dorflehrer«), Monster aus dem All und außergewöhnliche physikalische Phänomene (»Mehr der Träume«) geht. Die Zeit wird darin in alle Richtungen gedehnt, die Geschichten führen weit in die Vergangenheit und zurück in die Zukunft. Cixin Lius Literatur sprengt Raum und Zeit, ist im wahrsten Sinne des Wortes universell. Die alle von Maximilian Schlegel ins Deutsche übertragenen Comics geben diesem faszinierenden Universum eine konkrete Gestalt und führen das, was wir uns nicht imaginieren wollen, unverrückbar und in aller Konsequenz vor Augen.