Ein Gespräch mit der kanadischen Autorin Mariko Tamaki über die Besonderheit der Teenagerjahre, feministisches Schreiben und die Zusammenarbeit mit ihrer Cousine Jillian Tamaki am Sensationscomic »This One Summer«.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit ihrer Cousine Jillian Tamaki? Ist sie vertrauensvoller im Sinne von: Gibt es da eine familiäre Ebene, die eine Art blindes Vertrauen schafft?
Ich denke, da ist definitiv etwas »Familiäres« in unserer Zusammenarbeit. Das macht ja auch Sinn, schließlich sind wir ja Cousinen. Mein vollkommenes Vertrauen in meine Cousine rührt vor allem daher, dass sie eine unglaublich tolle Künstlerin ist, mit der ich wahnsinnig gern zusammenarbeite. Beim Comic ist das etwas anderes als wenn Du mit jemandem zusammen schreibst. Hier geht es darum, dass man sich zusammentut, weil man miteinander arbeiten will, weil man daran interessiert ist, was sich aus der Summe der Talente ergibt, die man hier zusammenführt, und nicht nur daran, was einem das selbst bringen kann.
Wenn Du zurückblickst, wie war Eure Beziehung als Teenager? Speist sich dieses Urvertrauen vielleicht aus sehr frühen Erfahrungen?
Eher nicht. Wir haben uns als Kinder nur selten gesehen, eigentlich nur auf Hochzeiten und bei Beerdigungen. Jillians Familie lebte damals in Calgary, ich in Toronto – beide Städte sind voneinander ziemlich weit entfernt. Es gab mal eine nicht allzu lange Zeit, da lebte Jillian nicht ganz so weit weg und wir haben etwas mehr Zeit miteinander verbracht. Aber so richtig ist unser Verhältnis erst mit den Comics entstanden, die wir gemeinsam gemacht haben.
Wie war das für Sie als Autorin, das Script für einen Comic zu schreiben, der im Wesentlichen durch die Atmosphäre und die stillen Momente lebt und gar nicht so sehr durch die Dialoge. Und was unterscheidet das Bücherschreiben vom Schreiben einer Comicvorlage?
Bücher zu schreiben ist ohne Zweifel aufwendiger, denn es gibt einfach viel mehr zu tun. Jeden einzelnen Moment muss man selbst schaffen und die Prosa muss sehr viel expliziter sein. Comics zu machen ist etwas ganz anderes, denn ich bin mir bewusst, dass ich nur den ersten Schritt in dem Prozess, eine Geschichte zu erzählen, mache. Das heißt, für mich muss es einen Sinn ergeben, was ich da schreibe. Normalerweise ist das auch der Fall. Dennoch müssen Jillian und ich ein paar Mal miteinander telefonieren oder E-Mails hin- und herschicken, bevor wir beide auf demselben Stand sind. Aber sie ist sehr geduldig mit mir, das schätze ich sehr.
Aufgrund der räumlichen Distanz – Jillian lebt in New York, Sie in Toronto – arbeiten Sie beide allein. Wie oft sind sie überrascht oder sogar überwältigt von den Zeichnungen, die Jillian aus ihrem Script zieht?
Ich bin immer begeistert von Jillians Arbeiten. Aber ganz ehrlich, als ich gesehen habe, wie Jillian Windy über die Seiten tanzen lässt, war ich vollkommen hin und weg.
Bereits in Ihrem ersten gemeinsamen Comic »Skim« haben sie ein Teenagermädchen porträtiert. In »Ein Sommer am See« zeigen Sie erneut die Welt durch die Augen eines Teenagers. Gibt es eine Verbindung zwischen den beiden Arbeiten?
Nicht notwendigerweise. Ich glaube, »Skim« ist deutlich stärker introvertiert. Man bekommt eigentlich die ganze Zeit nur die Perspektive von Skim, wenngleich wir ab und an einen Eindruck der Menschen erhalten, die sie umgeben. »Ein Sommer am See« ist dagegen ein sehr viel komplizierteres, verschachtelteres Porträt, in dem die vielen Menschen eine Rolle spielen, die um Rose herum sind. Deshalb hat man auch eher den Eindruck, dass sich hier die Lebenswege von verschiedenen Menschen kreuzen.
Welchen Einfluss hat die Teenager-Perspektive auf die Art und Weise, wie man eine solche Geschichte erzählt, erst recht in einem Comic?
Es geht doch darum, dass diese Zeit eine begrenzte Zeit ist. Du bist noch nicht erwachsen, aber du bist eben auch kein Kind mehr. Da ist all dieses Potential, diese Kraft und dieser Drang, sich selbst zu finden. Zugleich ist man dünnhäutig, verletzlich und macht Fehler. Allein all das ist schon Grund genug, überhaupt davon zu erzählen.
Welche Bedeutung hat für Sie die Kombination von Wort und Bild, insbesondere hinsichtlich des Potentials der Neunten Kunst als erzählende Kunst und der Möglichkeiten des Storytellings?
Was ich an Comics am meisten mag, sind die Möglichkeiten, Widersprüche sichtbar zu machen. Wenn eine Figur etwas macht, man dem Leser aber die Möglichkeit gibt, noch etwas anderes zu sehen. Auch gibt der Comic die Freiheit, nicht jeden Moment oder jedes Gefühl zu Tode ausführen zu müssen. Man kann die Leser also genau die Geschichte lesen lassen, die sie im echten Leben auch erleben.
Was ist das faszinierende an der Teenager-Zeit und der Phase, in der sich die jungen Erwachsenen befinden?
Alle Phasen im Leben sind auf ihre Weise faszinierend. Aber wie ich eben schon sagte: in der Teenagerzeit ist nichts in Stein gemeißelt, das mag ich am meisten. Teenager haben zwar schon die Energie von Erwachsenen und eine Idee davon, was Erwachsensein heißt, sind aber noch nicht den Einschränkungen unterlegen. Deshalb gibt es auch ein wenig Spielraum dafür, wie jemand ist oder sein kann, sein will oder sein muss.
Rose’ Eltern reden wenig – das gilt sowohl für Rose als auch miteinander. Rose und Windy wiederum sowie die Teenager in Awago Beach reden ziemlich offen miteinander und über ihre Probleme. Ist die Welt der Erwachsenen deshalb viel komplizierter, weil sie sie selbst komplizierter machen?
Für Rose’ Eltern gilt das ganz bestimmt. Aber es gibt in unserer Geschichte ganz verschiedene Erwachsene. Windys Eltern zum Beispiel sind absolut offen und ehrlich zu ihrer Tochter.
Wieviel Autobiografisches steckt in Rose und Windy?
Im Grund nur den einen, dass auch ich als Kind mit meinen Eltern in ein Sommerhaus gefahren bin und Sommerfreunde hatte.
Ein anderer wichtiger Teil in dieser Coming-of-Age-Geschichte sind die emanzipatorischen Aspekte der Geschichte. So ist Windy ein wenig wie ein kommendes Riot-Girl angelegt. Dann gibt es die Geschichte der Fehlgeburt der Mutter, die ungewollte Schwangerschaft von Jenny und und und. Wie wichtig oder unumgänglich war es für Sie und Jillian – sie sind beide aktive Feministinnen – diese Dinge in den Mittelpunkt der Geschichte zu rücken?
Nun, ich bin halt eine Feministin, die die Welt durch ihre Augen sieht. Und dazu gehören Erfahrungen des Frauseins, die ich in der Geschichte haben wollte.
Ändern die zahlreichen Preise, die ihr erhalten habt, euren Alltag?
Absolut. Ich kann mein Geld mit einer Sache verdienen, die ich liebe. Das wird mir jeden Tag aufs Neue bewusst.