Sechs Monate nach seinem Tod erschien Ali Eskandarians autobiografischer Roman »Die goldenen Jahre« in den USA. Es ist das Tagebuch eines Lebenssüchtigen, der versucht, sich auf die Reihe zu kriegen und grandios daran scheitert.
Anfang November 2013 kam es in New York zu einem Amoklauf auf die Mitglieder der Band The Yellow Dogs, bei dem neben dem Attentäter drei Menschen ums Leben kamen. Darunter befand sich auch der iranische Musiker Ali Eskandarian, der damals kurz vor dem endgültigen Ausstieg aus der Musikszene stand. Die Band selbst bestand aus Musikern, denen in den USA Asyl gewährt wurde, nachdem sie wie der Autor aus dem Iran geflohen waren. Eskandarian gehörte zum Dunstkreis der Band, war aber kein festes Mitglied. Er wurde dennoch Opfer des Attentats, weil er sich zum Tatzeitpunkt in derselben Wohnung befand.
Wie tragisch sein Tod war, wird nun, da sein kurz vorher abgeschlossener Roman Die goldenen Jahre erschienen ist, umso deutlicher. Denn dieses Buch hat jetzt schon Kultpotential, ist eine Mischung aus Jack Kerouacs rasanter Beat-Literature und Karl Ove Knausgårds schonungsloser Selbstenthüllungsprosa.
Tatsächlich lebt jener Ali, der in diesem autobiografischen Roman aus seinem Leben erzählt, in schönster kreativer Armut. Gemeinsam mit einigen jüngeren Musikern, die der Ich-Erzähler liebevoll »the kids« nennt, weil sie geschätzt eine Dekade weniger auf dem Buckel haben und mit entsprechendem Übermut von den Verlockungen des Lebens kosten, bewohnt er ein Loft im Zentrum von New York. Diese Wohnung wird sowohl hedonistisches Zentrum der Eroberungszüge (nicht nur) als auch Refugium des existenzialistischen Immigranten sein.
Ich habe »ein richtig gutes Herz«, schreibt der Erzähler von sich selbst überzeugt im Roman. Offenbar zu gut für diese Welt, denn es wird im Laufe der knapp 200 Seiten nicht nur mehrfach gebrochen, sondern auch in unzähligen durchzechten (Sex-)Nächten von so ziemlich jeder Droge aufs Härteste malträtiert. Das dieses Herz am Ende des Romans immer noch schlägt, kann man durchaus als kleine Sensation betrachten. Aber es schlägt, und zwar laut und heftig, denn »Scheiße, das ist ein richtig gutes Herz. Ich habe es vor tausend Jahren bekommen, und es hat sich nicht verändert.«
Man muss kein Psychologe sein, um eine Vorstellung davon zu haben, was es heißt, als Künstler in New York zu leben, aber man muss größenwahnsinnig sein, um zu meinen, dies in die richtigen Worte kleiden zu können. Größenwahn allein reicht aber nicht, es braucht auch eine gewisse Unbekümmertheit, um nicht im hochtrabenden Versuch zu enden. Eskandarian ist zweifelsohne beides gewesen, größenwahnsinnig und unbekümmert, seine Prosa passt zum Beat der Stadt. New York beschreibt er als »Singles City, Fuck City, Suck City«, als modernes Sodom und Gomorra. Auf dessen »Fleischpisten« wandeln unzählige »Unabhängigkeitskämpfer und Nymphen mit halbsynthetischen Seelen, Armen, Beinen, Mösen, Schwänzen und lutschbereiten Mündern, mit zinngepanzerten Herzen, die Nervengifte ausspien«.
Die goldenen Jahre ist ein ebenso wehmütiger wie höhnischer Abgesang auf diese selbstverloren Gestalten, zu denen Eskandarian zumindest zeitweise auch gehört hat. Als die schöne und unnahbare Allison in sein Leben tritt, hat der Iraner angefangen, sich zu fragen, »warum wir mit unserem Leben nichts Sinnvolles anfangen können«.
Sein Roman fängt den Schwachsinn, den der Ich-Erzähler mit fassungslosem Kopfschütteln beobachtet, in schonungslosen Beschreibungen ein. »Wir werden darüber reden, wer wen gefickt hat und wer nicht, dann wird es Abend und dann wieder Tag. Ich komme mir lächerlich vor. Alle möglichen Pläne liegen auf dem Tisch, für Tourneen, Projekte, Auftritte und was weiß ich nicht alles. Ich brauche Liebe. Ich will nicht mehr von Ast zu Ast hüpfen, will nicht der sein, der gerade aus mir wird.« Wenige Zeilen später wird die Verzweiflung über die eigene Unfähigkeit, diesem Kreislauf an Nichtigkeiten zu entkommen, unüberhörbar. »Wann finde ich endlich aus diesem kranken Korridor heraus?«, heißt es da. Doch lange Zeit da ist nicht viel außer zahlreichen Luftschlössern und der Hoffnung, durch zwanghaften Realismus dem surrealen Dasein zwischen Alkohol, Drogen, nacktem Fleisch und dem Delirium am Tag danach. »Drogen können eine Erfahrung intensiver machen, aber wenn der Brunnen ausgetrocknet ist, füllen Sie ihn dir nicht wieder auf. Sie sind keine Oase mitten in der Wüste.
Eskandarians Beobachtungen könnten in ihrer wohlmeinenden Weisheit ganz schrecklich auf die Nerven gehen, wenn sie herablassend oder selbstgefällig wären. Sie sind aber ganz das Gegenteil, schonungslos gegenüber dem Ich, das sich des eigenen zweifelhaften Daseins nur allzu bewusst ist. Diese Härte gegenüber dem Selbst macht einen Pfad ins Grundsätzliche auf, den Eskandarian nutzt, um seine eigene Geschichte mit der seiner Ahnen und deren Geschichte mit der ihrer Ahnen und so weiter zu verbinden, bis man sich plötzlich vor den Toren iranischer Paläste oder dem Hohen Gericht von Caesarea wähnt. Der literarische Beat Eskandarians führt aus der Gegenwart in die tausendjährige Menschheitsgeschichte zurück, genau das macht diese Prosa so unwiderstehlich. »Auf den Straßen welcher Stadt du auch wandelst, denen des alten Alexandria, denen von Damaskus, Rom, San Francisco, du musst dich auf die Reihe kriegen. Die goldenen Jahre ist das Dokument eines Lebenssüchtigen, der versucht, sich auf die Reihe zu kriegen und grandios daran scheitert.
Unheimlich ist, wie dieses Buch auf seinen letzten Seiten in einen wehmütigen Nachruf auf das Leben kippt, als hätte der Autor sein nahendes Ende geahnt. »Der Lagunennebel hat dich früher zu sich gerufen. … Also fürchte dich nicht, vergib dir selbst und bleibe verrückt. Das Licht wartet nicht am Ende des Tunnels, es leuchtet immer und überall.«
[…] Kopf hinzuhalten«, schreibt er in einem Text über Chandlers Marlowe-Krimis. Von den Beatniks um Jack Kerouac und William S. Burroughs schaut er sich den unwiderstehlichen Rhythmus ab, der seine Prosa prägt. […]