Don Winslows »Tage der Toten« ist ein grandioses, weltgeschichtliches Epos über die Abgründe des Drogenkriegs in Mittel- und Südamerika und der verhängnisvollen Rolle der US-amerikanischen Geheimdienste. Brutal. Knallhart. Mörderisch.
Im Mittelpunkt von Winslows Tage der Toten steht der amerikanische Drogenfahnder Art Keller und seinem endlosen Kampf gegen die süd-, mittel- und US-amerikanischen Drogenkartelle. Der Roman setzt 1997 ein, oder besser gesagt, er fängt den Leser in diesem Jahr ein, nur um daraufhin in die Geschichte des amerikanischen »war on drugs« zurückzufallen und dort zu beginnen, wo alles seinen Anfang nahm. Präludium 1997, Erster Akt 1975. Operation Condor, die Verfolgung linker und oppositioneller Politiker hinter den Kulissen eines hemmungslosen Drogenkrieges in Mittel- und Südamerika ist in vollem Gange. »Hieronymus Bosch malt den Drogenkrieg«, denkt sich Keller beim Anblick des in Flammen stehenden Feldes, welches symbolisch für den in Flammen stehenden Kontinent steht. In diesem Einsatz bringt er gemeinsam mit dem Polizeichef der Provinz einen Drogenboss zu Fall. Doch wer meint, damit wäre ein Problem beseitigt, kennt den Drogenkrieg nicht. Wenn ein Drogenboss fällt, wird sein Platz frei – und selten fällt einer der Opiumbarone zufällig oder aufgrund polizeilicher Ermittlungen.
Winslow zeichnet dem Leser auf 700 randvoll geschriebenen Seiten ein Panoptikum des Drogenkrieges. Er macht deutlich, dass jede Grausamkeit eine Vorgeschichte und jede Vorgeschichte ihren Seitenpfad hat. Diesen Vorgeschichten und Seitenpfaden folgt Winslows Hard-Boiled-Kriminalroman in einem enormen Tempo, ohne dabei auseinander zu fallen. Ganz im Gegenteil. Über ein buntes Kabinett an mehr oder weniger lang lebenden Persönchen, Personen und Persönlichkeiten vertieft Winslow die einzelnen Pfade des Drogenkrieges bis in die kleinsten Verästelungen und macht so dessen Wesen, das Leben als solches in all seinen Fasern zu ergreifen, spürbar. Atemlos verfolgt der Leser die von selbst verübten, bezeugten oder erlittenen Schicksalsschlägen geprägten Lebensläufe der Protagonisten in Don Winslows Tage der Toten.
Da sind die Drogenbosse, die kein Massaker scheuen, um sich gegenseitig die Luft abzugraben. Selbst machen sie sich die Hände aber nicht schmutzig. Auf ihren Hochsicherheitsfarmen führen sie die meiste Zeit ein geradezu bürgerliches Leben, in dem die größte Attraktion die Nachricht eines gelungenen Coups oder eine abenteuerliche Affäre mit einem Escort-Girl ist. Nur selten geraten sie in Bedrängnis – und wenn, dann ist es meist am Ende ihrer Tage. Die Drecksarbeit machen ihre Fußsoldaten, kleine mexikanische, kolumbianische, amerikanische oder irische Gauner, die alle ihre Weisheiten mit sich herumtragen, bis sie mit einer Kugel im Kopf irgendwo im Straßengraben oder verbrannt in einer Ruine liegen. Ihren eigenen Tod fürchten sie ebenso, wie sie den Tod, den sie verbreiten, gleichgültig in Kauf nehmen. Ihre Opfer, nicht selten unschuldig, sind kaum zu zählen.
Irgendwo zwischen den Bossen, ihren Lakaien und dem ahnungslos-unschuldigen Fußvolk verkehren noch abgehalfterte ehemalige Drogenfahnder und Söldner, die sich, je nachdem, welche Seite mehr zahlt, für Auftragsmorde oder Sicherheitsdienstleistungen ein paar Dollar und ein schnelles Abenteuer verdienen. Außer Acht lassen in diesem Reigen darf man aber weder die Politiker und Regierungsbeamten auf den verschiedenen Seiten, denen das Hemd näher ist als der Rock, noch die evangelikalen Bekehrungstheologen und katholischen Priester, die gegen bare Münze oder einige Zärtlichkeiten Absolutionen für die grausamsten Verbrechen erteilen. Und zwischen all jenen steht Art Keller, der seinem persönlichen Rachefeldzug zynisch nachgeht und dabei einen Faustischen Pakt nach dem anderen schließt.
Faustische Pakte schlossen auch die Vereinigten Staaten in den dreißig Jahren, in denen die Handlung des Romans spielt, mehr als genug. Das Ende des Vietnam-Kriegs, Nixons Übertragung der Flächenbrandtaktik auf Mittel- und Südamerika, die Iran-Contra-Affäre im Zuge des Nicaragua-Feldzugs, die opferreiche Zerschlagung der kolumbianischen Drogenkartelle sind nur einige wenige Beispiele. Don Winslow lässt dies alles in seinen Krimi einfließen, in die DNS seiner Geschichte sickern und gibt ihr somit einen realpolitischen Boden. Chris Hirte, der Übersetzer von William Boyd und Mitherausgeber der Mühsam-Tagebücher, hat die aus diesem Boden emporsteigende Geschichte grandios ins Deutsche übertragen.
Don Winslows Tage der Toten ist ein wahrer Gigant. Wie es dem 1953 geborenen Amerikaner gelingt, die unrühmliche Rolle seines Heimatlandes in diesem Konglomerat aus Anti-Kommunismus, Drogenkrieg und Liberalisierung nachzuzeichnen, ist famos. Die Schonungslosigkeit und Brutalität, mit der Winslow diese abgrundtief düstere Geschichte erzählt, sucht seinesgleichen. Wie aus den sich endlos aneinanderreihenden Grausamkeiten die absurde Realität des Drogenkriegs in dieser genialisch erzählten Geschichte emporsteigt, ist allenfalls mit Roberto Bolaños 2666 vergleichbar.
Ähnlich wie Bolaño in seinem posthum veröffentlichten Roman auf etwa 350 Seiten Verbrechen an Verbrechen reiht, um den Leser schonungslos mit einer Realität zu konfrontieren, die dieser nur deshalb nicht kennt (und nicht kennen will), weil er sie nicht am eigenen Leib erlebt, wirft Winslow den Lesenden in eine Wirklichkeit, die er sich in seinen düstersten Visionen nicht hätte ausmalen können, die aber dennoch einen Teil der Welt ausmacht. Und ebenso wie Bolaños an der amerikanisch-mexikanischen Grenze spielender Höllentrip die Realität in Mexiko besser spiegelt, als die meisten Zeitungsreportagen, ist Winslows Geschichte in Bezug auf die Brutalität des mexikanischen Drogenkriegs der Gegenwart an Aktualität kaum zu übertreffen.
Winslows fulminantes Werk erhielt sowohl das Prädikat Bester Krimi 2010, ausgestellt von Arte und dem NordwestRadio als auch den Deutschen Krimi Preis 2011 in der Kategorie International. Die Feuilletons waren des Lobes voll. Denn Winslow ist es in seinem knapp 700 Seiten starken Werk in beeindruckend souveräner Manier gelungen, eine unter die Haut gehende Geschichte zu erfinden, in die er mal eben fast dreißig Jahre Weltgeschichte einbindet, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Winslow hat mit Tage der Toten Dantes Höllenkreise aus dem Jenseits in das Diesseits befördert und bietet seinen Lesern einen Panoramablick auf die Hölle auf Erden. Brutal. Knallhart. Mörderisch.
[…] nicht vorbei. Gerade ist sein Roman »Das Kartell« als Fortsetzung des fulminanten Bestsellers »Tage der Toten« erschienen, parallel dazu sind die beiden ersten Bände der vierteiligen Miniserie um seinen […]
[…] »Guten« im Kampf gegen »das Böse« zu stoßen. Wer hier mehr Tiefe wünscht, sollte besser zu Don Winslows Roman Tage der Toten und dem Folgewerk Das Kartell […]
[…] Ohne Rücksicht auf Verluste […]
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[…] den ersten Blick hat dieser Roman wenig mit Winslows aus seinem Durchbruchroman Tage der Toten bekannten Themenfeld Mafia-Drogen-Politik zu tun, doch mit dem Öffnen des Abgrunds erhält der […]