Interviews & Porträts, Literatur, Roman

250 Seiten für »Wutbürger« und »Gutmenschen«

Der Singersongwriter und Schriftsteller Jan Böttcher entführt in seinem fünften Roman in die Provinz. Sein aktuelles Buch »Das Kaff« ist ein Heimatroman im allerbesten Sinne, hochaktuell und präzise beobachtet. Wir sprachen mit ihm über provinzielle Perspektiven, Fußball als Blitzableiter und Berlin als Kontrastprogramm.

Jan Böttcher, was ist an der Provinz das Spannende?

Mir fällt zuerst das Soziotop Fußballplatzein, das ist in der Provinz schon noch einmal etwas anderes als in der Großstadt. Ich wollte mich aber auch selbst ein bisschen berichtigen. Ich habe mein erstes Buch »Lina oder: Das kalte Moor« vor 15 Jahren über das Hochhausviertel am Rande von Lüneburg geschrieben, wo ich herkomme. Ein sehr unversöhnliches Buch. Ich hatte damals noch mit der Selbstgenügsamkeit der Kleinstadt zu kämpfen. Ich dachte, »Mensch, ihr müsst Euch doch eurer Nazivergangenheit anders stellen!« und so weiter. Erst nach und nach habe ich in Berlin die Toleranz entwickelt, die ich dann auch gegenüber der Provinz aufbringen konnte. Menschen sind so unterschiedlich, und in der Großstadt wird man wacher dafür, großzügiger, verständnisvoller. Aus dieser Erfahrung erwächst das Herz für die Gegend, aus der man kommt.

Als Singer-Songwriter kommt das Ländliche bei Ihnen nicht so gut weg. »Unser Dorf hat noch immer dieses gelbe Eingangsschild, weil man es sonst nicht sieht«, haben sie vor zehn Jahren noch getextet. Jetzt lenken Sie unsere Blicke auf so ein Kaff? Was hat sich geändert?

Das Kaff ist kein Dorf. Der Titel und das Cover lassen zwar diesen Eindruck entstehen, aber es ist eine Kleinstadt, die aus verschiedenen Kleinstädten Norddeutschlands – darin auch einiges von Lüneburg – zusammengesetzt ist. Das Dorf traue ich mir nicht zu. Ich habe das einmal getan in meinem Roman »Nachglühen«, der spielt in einem Dorf im DDR-Sperrgebiet. Diesmal wollte ich aber mehr als Kammermusik machen, mehr als fünf, sechs Personen abbilden. Die Hauptfigur bringt aus ihrer ersten Lebenshälfte viele Kontakte mit und muss Antworten auf Fragen wie »Wen steuert man jetzt wieder an?«, »Wem muss ich ausweichen?«, »Wer kommt auf mich zu?« oder »Mit wem will ich gar nichts mehr zu tun haben?« finden. Dann gibt es natürlich ein paar Eröffnungen oder Offenbarungen. Das Verhältnis zur Schwester verändert sich und auch die Beziehung zu seinem alten Tischlermeister gestaltet sich anders als gedacht. Michael Schürtz ist kein sehr nachdenklicher oder melancholischer Typ, sondern einer, der seine Probleme sofort lösen will. Das Freelance-Hopping hat er verinnerlicht.

»An Erinnerungen hat mich immer genervt, dass man sie nicht beherrschen kann«, gesteht Schürtz an einer Stelle. Sie als Autor leben von Erinnerungen. Können Sie sich mit Ihrem Erzähler identifizieren?

Nein, aber das ist auch nicht meine Aufgabe. Ich suche mir jemanden, mit dem ich Fragestellungen aufwerfen kann. In diesem Fall wollte ich eine Entwicklung vom Minus ins Plus nachzeichnen und dabei den kleinen Orten – und damit auch meiner Heimat – etwas gerechter werden. Es ist ein Trugschluss, dass Bewegung automatisch Großstadt heißt und die Provinz Stillstand ist. Ich habe zu viel in der Verwandtschaft erlebt und bekomme auch immer noch zu viel von dort mit als dass ich sagen könnte, dass das alles nichts taugt. Diesen Reflex hatte ich vielleicht in den ersten fünf Jahren in Berlin, aber danach hat sich dieser Reflex aufgelöst.

Hat das auch etwas mit Wehmut zu tun, mit der man dann Richtung Heimat blickt?

Es gibt vielleicht eine Wehmut zum alten Fußballverein… Nein, die Wehmut ist eher Erinnerung. Ich beschäftige mich in meinen Texten oft mit Kindheit und Jugend, weil ich mich dort zuhause fühle und das immer exklusiv ist. Meine eigenen Erfahrungen, Stimmungen und Milieukenntnisse prägen mein Schreiben. In diesem Buch will ich genau sein, deshalb habe ich das Kaff nicht in die Zukunft verlegt oder einen ganzheitlich fiktiven Ort entworfen, sondern ich entwickle die Geschichte in der norddeutschen Umgebung, die mir vertraut ist.

In der Provinz wird derzeit ja oft die Zurückgezogenheit und Angst vor dem Anderen verortet – Stichwort: Flüchtlinge. Wie wichtig war es Ihnen, die politischen Rahmenbedingungen in diesen Roman einfließen zu lassen?

Das geschah irgendwie automatisch. Ich weiß nicht, wo der erste Ansatz für Michael Schürtz war, aber irgendwann hatte ich die beiden Begriffe Wutbürgerund Gutmenschin meinem Kopf. Beide sind in ihrer Wirkung verheerend – Gutmenschnoch mehr als Wutbürger. Da dachte ich, jetzt hast Du 250 Seiten, um denen Mal Leben einzuhauchen, also mach das. Ich frage mich, warum sich in diesem Land niemand darüber freuen kann, dass das 2015 anständig über die Bühne gegangen ist. Stattdessen hackt man auf den Menschen herum, die in München Migranten in Empfang genommen haben. Das ist nicht nur fragwürdig, sondern richtiggehend beschissen. Diese Sprache, die von rechts gesät wird – angefangen mit linksversifftund endend bei Gutmensch– steht meiner Sozialisation entgegen. Ich komme zwar aus einem kleinbürgerlichen Haushalt, aber mit Mentoren aus dem linken Spektrum. Und ich kann die Diffamierung anständiger Leute (und einer grundsätzlich humanitären Haltung) von rechts nur schwer ertragen. Wutbürger ist ja quasi der Gegenbegriff aus dem linksliberalen Haushalt für diejenigen, die jetzt gerade durchdrehen. Auch eine dumme Distanznahme. Das wollte ich in eine Stelle führen, wo ich mich auskenne und wo ich glaube, dass man ansetzen muss. Deshalb der Fußballverein. Denn ich glaube, dass die ganze Blase aus Professionalisierung des Amateursports durch DFB-Nachwuchszentren, Fairnessregeln und No-Racism-Kampagnen dazu führt, dass das Ventil Fußball nicht mehr so genutzt werden kann wie früher. Da muss ich mir nur meinen alten Fußballverein ansehen. Dort spielen in der ersten Herrenmannschaft nur noch 19- bis 21-Jährige, weil die Älteren das Tempo nicht mehr mitgehen können. Die Professionalisierung hat dazu geführt, dass der Vereinsgedanke, wie ich den gelebt habe, gar nicht mehr so existiert. Das ist nicht nur sehr schade, sondern führt dazu, dass dieses gesellschaftliche Ventil komplett ausfällt. Persönliche Auseinandersetzungen wandern ab in einen anonymen Raum, in dem man einander hasst und disst und mobbt. Viel Kampfsport findet über das Internet statt. Und Michael Schürtz ist eine Figur, den das umtreibt. Er sagt ja auch einmal am Grab seiner Mutter, dass er es nicht versteht, warum Leute Angela Merkel angreifen, obwohl es drei Arschlöcher im eigenen Umfeld gibt, die es viel eher verdient hätten.

Im Roman wird immer wieder das Spannungsverhältnis zu Berlin aufgemacht. Welche Rolle spielt Berlin für das Verständnis für das Leben im Kaff?

Keine große. Ich möchte das eher als Leerstelle behalten. Hier steht zwar Berlin, aber es könnte auch Hamburg sein. Ich habe 25 Jahre Berlin-Erfahrung und habe über das Ankommen in der Stadt oder meine Generation (die »Enkel der Trümmerfrauen«) einige Lieder für Herr Nilssongeschrieben. Ich tue mich schwer, das nun ein zweites Mal zu verwenden. Es wissen doch schon alle, was ich da zu sagen hätte. Deshalb habe ich die Berlin-Passagen so gut es geht verdichtet, wenngleich natürlich der Aspekt des Unfertigen in den Blick genommen wird. Meine Generation hat den Prenzlauer Berg ja als »Trümmerhaufen« kennengelernt. Wir haben angefangen, Böden abzuschleifen, Einfachfenster einzusetzen und die Außenklos abzuschaffen – dieser Neuanfang prägt auch Michael Schürtz.

Böttcher_Kaff
Jan Böttcher: Das Kaff. Aufbau Verlag 2018. 269 Seiten, 20,- Euro. Hier bestellen

Auf Kosten des Prekariats lachen lernt man in der Hauptstadt, heißt es ziemlich am Anfang des Romans. Was haben Sie denn in Berlin gelernt?

Ich habe vor allem einen weiteren Blick bekommen. Man sieht in Berlin alle Spektren der Gesellschaft, heute noch mehr als früher. Zwischen einmal U8 fahren und am Kottbusser Tor aussteigen und der Vorstellung, ein ganzes Leben nur im Grunewald zu führen, liegen ganze Welten. Die prallen bei der Flugplatzfrage nun in anderer Konstellation direkt aufeinander. Westberliner können sich ja kaum vorstellen, sich in eine S-Bahn zu setzen, um nach Schönefeld zu fahren. Ost- und Westberlin ist ein ziemlich bizarres Gebilde. Es ist spannend, die Reibungen, die da zwischen Ost und West immer noch sind, zu beobachten.

Inwiefern?

Ich wohne jetzt an der S-Bahn-Brücke Wollankstraße. Wenn der Bus aus dem Wedding kommt, steigen an der Haltestelle die letzten Menschen mit Migrationshintergrund aus. Dann rauscht der Bus ohne sie ins gutbürgerliche Pankow hinein. Ich wünsche mir seit Jahren türkische Lebensmittelläden in Pankow. Aber sie kommen nicht und kommen nicht, weil anscheinend die Klientel dafür fehlt.

Ihre Sprache ist direkt und poetisch, zugleich weltoffen. »Shitty Littleton« und »Trash aus Bangladesh« sind so Beispiele. Was war Ihnen beim Schreiben wichtig?

Hier war es mir wichtig, dass der Ich-Erzähler nicht so homogen erzählt. Er hat zwei Seelen in seiner Brust – die 20 Jahre Kleinstadterfahrung seiner Kindheit und Jugend sowie die mehr als 20 Jahre Großstadterfahrung in Berlin. Es gibt also eine Art vertraute Sprache und eine erlernte Sprache – beide müssen sich im Text wiederfinden. Gerade wenn er abends auf dem Balkon sitzt und ein Buch liest, werden die Sätze und Satzketten schon mal länger. Elliptisch und abgehackt wird die Sprache hingegen vor allem dann, wenn er in die alte Kaffwelt zurückfällt und mit seiner inneren Ablehnung kämpft.

Im Kaff muss Michael Schürtz lernen, dass er dort auch nicht alles so machen kann, wie er will – nicht einmal im Fußballverein, wo er bald einige Eltern gegen sich aufbringt. Das Kaff ist am Ende nicht die Glücksseligkeit.

Nein, sicher nicht. Und mir würde diese Episode mit den Helikoptereltern womöglich ausreichen, um die Segel zu streichen und diesem Kaff den Rücken zuzukehren. Das ist ja auch das, was ich in Prenzlauer Berg nicht mehr ertrage.

Jan Böttcher, vielen Dank für das Gespräch.

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