Comic

Sticheleien können böse enden – oder amüsant sein

Marjane Satrapis jüngste Erzählungen geben nicht nur einen Einsicht in die iranische Gesellschaft, sondern lassen vor allem tief in die menschliche Seele blicken. Satrapi macht dabei die Würde und den Stolz einer vorschnell verurteilten Gesellschaft sichtbar.

»Was dir da an die Nieren geht, frisst lang schon am Gehäuse. Was über Deine Leber läuft, sind Furien, nicht Läuse.« Diese Zeilen von Heinz Rudolf Kunze sind wie gemacht für Nasser Ali Khan, den Protagonisten in Marjane Satrapis Erzählung »Huhn mit Pflaumen«. Darin berichtet die im Iran geborenen und in Paris lebende Erfolgsautorin davon, wie ihr Großonkel an seinem Leben zerbricht. Einzig die Musik mit seinem Tar (traditionelle iranische Laute) ließ ihm das Leben lebenswert erscheinen. Doch dieser ist im Streit mit seiner Frau zu Bruch gegangen und ein ebenbürtiger Ersatz ist im ganzen Land nicht aufzutreiben. In seiner Frau, die ihn in all seinem Tun und Sein in Frage stellt, sieht er seitdem noch mehr einen das Leben erschwerenden Hausdrachen und die gemeinsamen Kinder trampeln dem Feingeist auf der Seele herum. Nasser beschließt, sein Leben zu beenden. Er legt sich hin und wartet auf den Tod.

Die iranische Autorin und Comiczeichnerin Marjane Satrapi hat nach ihrem Welterfolg »Persepolis«, in dem sie von ihrer Kindheit und Jugend im Iran und in Österreich erzählt, den Stift nicht aus der Hand gelegt. Als im November 2007 die Verfilmung des Welterfolgs in die deutschen Kinos kam, waren bereits zwei weitere Comics auf dem deutschen Markt erschienen. Unberechtigterweise fanden diese nie eine ähnlich starke Beachtung wie die verfilmten Kindheitserinnerungen. Denn auch in diesen bilden die persönlichen Erfahrungen und familiären Umstände der Erzählerin die Grundlage der Handlung. Sie erzählt auch in diesen Bänden aus dem iranischen Alltag und macht die Menschen unter dem Tschador sichtbar, den der Westen über das ganze Land und seine Gesellschaft gestülpt hat. Sie gibt ihren Landsleuten die Menschlichkeit zurück, die ihnen kollektiv abgesprochen wird. Und gerade diese Menschlichkeit ist es, die den Lesenden der von ihr erzählten Geschichten so unter die Haut geht.

Marjane Satrapi: Huhn mit Pflaumen. Aus dem Französischen von Martin Budde. Edition Moderne. Zürich 2006. 86 Seiten. 18,00 Euro.

Wie das Schicksal des Nasser Ali Khan, das aufwühlt und bewegt. Acht geschlagene Tage wartet er auf den Tod. Acht Tage, an denen er sich in seinem Zimmer einschließt, das Essen – selbst seine Lieblingsgericht »Huhn mit Pflaumen« – verweigert und sein Leben noch einmal Revue passieren lässt. Zwischen Hungerrausch und Delirium geht der vom Leben betrogene Familienvater noch einmal den Hoffnungen und Entsagungen seiner Tage nach und versucht den Ursprung seiner tiefen Melancholie zu finden. Ist es einfach nur der Zustand seiner Ehe, die nur noch ein Andauern und Ertragen ist? Eine gegenseitige Verbitterung, die jede Annäherung schon im Keim verhindert und ohne Unterlass mit giftigen Pfeilen der Geringschätzung und des Abscheus verletzt? Oder ist es das frühkindliche Trauma, in der mütterlichen Gunst immer hinter dem eigenen Bruder zurückstehen zu müssen, die sein Leben schon frühzeitig in ein schlechtes Licht gerückt hat? Oder hat ihm die versagte Beziehung zu Irane, seiner großen Liebe, den Sinn des Seins geraubt, nachdem er sie auf der Straße angesprochen hatte, sie ihn jedoch nicht einmal mehr erkannt hat?

Diesen Fragen geht er in einer schonungslosen Selbstbefragung nach. So reihen sich die erschlagenden Erinnerungen und Selbsttäuschungen des Nasser Ali Khan aneinander wie eine Serie von Faustschlägen in einem Boxkampf. Andächtige Momente des Glücks tauchen nur als Auftakt der nächsten Katastrophe auf. Bis zum finalen Niederschlag. Mit »Huhn mit Pflaumen« hat Marjane Satrapi ein bebildertes Requiem in acht Akten vorgelegt, welches der Struktur einer klassischen Totenmesse folgt und einer solchen in Nichts nachsteht.


Den Kontrapunkt zu diesem orientalischen Totentanz bilden die zuvor gezeichneten »Sticheleien«, die eher einer Komödie gleichen. Die Vorlage lieferte die sich regelmäßig einfindende Frauenrunde, die in der heimischen Küche bei einem frisch gebrühten Tee über Gott und die Welt redete. Während auf der Straße die Tyrannei der iranischen Machthaber ihre langen Schatten warf, herrschte in den vier Wänden der Familie Satrapi die absolute Redefreiheit. Kein noch so heikles Thema blieb zwischen den Fauen verschont oder unausgesprochen. »Und so begannen wir unseren Herzen ausgiebig Luft zu verschaffen…«

Die Damen in Satrapis Porträt tauschen sich über längst vergangene und aktuelle Affären aus, geben sich einander Lektionen in sexuellen Angelegenheiten oder helfen sich gegenseitig mit Ratschlägen aus, wenn es darum geht, die längst verlorene Jungfräulichkeit für die Hochzeitsnacht zumindest scheinbar wiederherzustellen. Und natürlich bleibt das Austauschen von Gerüchten und Geschichten über das Liebesleben anderer, die ihnen zu Ohren gekommen sind, nicht aus. Frei von der Leber weg wird getratscht, gelästert und – ja – gestichelt.

Marjane Satrapi: Sticheleien. Aus dem Französischen von Martin Budde. Edition Moderne. Zürich 2005. 136 Seiten. 18,00 Euro. Hier bestellen.

Satrapis Zeichnungen stehen hier frei im Raum und sind nicht durch die für den Comic typischen Panelrahmen beschränkt. Durch diesen Kunstgriff überträgt sie zum einen die Möglichkeit der unbeschränkten, freien Rede in ihre Zeichnungen und zum anderen lässt sie den Leser in der illustren Runde Platz nehmen. Dabei greifen die Bilder auf die Erzählung über, verdrängen den Text an den Rand oder in Bildlücken. Zuweilen nehmen sie ganze Seiten ein. So entsteht ein etwas unkonventioneller Comic, dessen bemerkenswerte Erscheinung in der fabelhaften Komposition aus Text und Bild seine Berechtigung findet.

So findet der Leser in »Sticheleien« eine bunte Mischung amüsanter, abstruser und melancholischer Geschichten, die in dem Leben der anwesenden Frauen ihren Platz eingenommen haben. Die Art und Weise, wie diese Geschichten in der intimen Runde erzählt, interpretiert und verarbeitet werden, zeigt zugleich den Stolz und das Selbstbewusstsein der bürgerlichen iranischen Frau, mit denen diese den aufgezwungenen Regeln und Normen den Rücken zuwendet. Dass die Politik der Mullahs, vor allem hinsichtlich der gesellschaftlichen Rolle der Frau, nur sehr selten in diesem so freien und unkontrollierten Kreis zur Rede kommt, erstaunt aber doch ein wenig. Aber vielleicht ist auch gerade die Ignoranz der Politik dies das Resultat der permanenten religiösen Indoktrination durch die Mullahs. Wenn sie dann doch Einzug in die Themen der Frauenrunde erhält, dann nur insofern, als dass zumeist sie es sind, auf deren Rücken der gesellschaftliche Kampf zwischen bürgerlicher Emanzipation und religiösem Anspruch ausgetragen wird.

Marjane Satrapi erzählt in ihren Arbeiten aus dem iranischen Alltag und macht so überhaupt erst einmal sichtbar, dass unter den von den Mullahs verordneten Kopftüchern und hinter den Bärten Menschen wie du und ich stecken. Von den strahlenden, erhebenden Momenten ebenso wie von den Erlebnissen, die einem wie ein Klotz am Bein hängen und ein Leben lang beherrschen. Einzig die gewitzte Leichtigkeit des Seins macht es möglich, manche dieser Klötze abzuschütteln wie reife Pflaumen von einem Baum. Man muss nur darauf achten, dass sie einem dabei nicht auf den Kopf fallen. Aber wie stellt Satrapis Großmutter am Ende von »Sticheleien« lapidar fest: »So ist das Leben. Mal sitzt du obenauf, und mal kommst du unter die Hufe.«

1 Kommentare

  1. […] der iranischen Revolution mit sich brachten. Die persönlichen Schicksale und Geschichten – die sie in ihren beiden hervorragenden Comics »Sticheleien« (leider vergriffen) und »Huhn mit Pfl… – repräsentieren in fabel-hafter Manier die iranische Tragödie als […]

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