Gesellschaft, Philosophie, Politik, Sachbuch

Staatliches Droh(nen)potential

Der Sicherheitsexperte von der Universität Texas Armin Krishnan geht in seiner haarscharfen Analyse »Gezielte Tötung. Die Zukunft des Krieges« der Praxis und Geschichte des »gezielten Tötens« als Konfliktstrategie detailliert nach und zeichnet – ausgehend von und vor dem Hintergrund des Auf Asymmetrie beruhenden Drohnenkriegs – ein wahrhaft dystopisches Zukunftsbild.

Der Philosoph Bjung-Chul Han machte kürzlich deutlich, in welches ethische Dilemma der zunehmende Rückgriff auf Drohnentechniken in den asymmetrischen Kriegen der Neuzeit führt. Die Anpassung an die Guerillastrategien der Aufständischen in diesen Kriegen führe zu einer Entstaatlichung des Krieges, die wiederum eine Abwärtsspirale aus Entpolitisierung und Entmoralisierung in Gang setzt, so dass der Krieg aus allen Fugen gerät. Han verweist auf ethische Minima, die selbst bei der Jagd gelten. Han meint hier das »Ansprechen« des Wildes, »die Identifizierung des Tieres nach Alter, Geschlecht und Gesundheit«. Dies ist insofern von Belang, als dass es die Jagdethik etwa verbietet, dem Kitz die Geiß wegzuschießen, erklärt Han. Werden diese Regeln nicht eingehalten, pervertiert die Jagd »zu einer blinden Tötung«. Das Ansprechen aber braucht die Begegnung, die direkte Konfrontation. Das Gegenüberstehen von Angesicht zu Angesicht und das Wahrnehmen des Gegenübers spielt in den Kriegen der Moderne aber kaum noch eine Rolle. »Der Krieg kann schlecht umgehen mit Gesichtern, denn ein Gesicht ist per se das Gegenteil von Distanz«, schrieb der portugiesische Journalist Pedres Rosa Mendes in seinem weithin beachteten Werk Schwarz.Licht. Dies liegt auch daran, dass die inneren und äußeren Bilder, die die entgrenzten Kämpfe evozieren, den Kämpfenden offenbar nicht ohne Langzeitschäden zuzumuten sind, wie die zunehmenden Fälle posttraumatischer Belastungsstörungen unter Soldaten im Auslandseinsatz zeigen. Militärstrategen arbeiten deshalb daran, die Distanz zwischen den Kämpfenden zu erhöhen, um die »belastenden« Bilder zu tilgen. Das Töten per Joy-Stick soll etwas von dem abhandengekommen Spaß (engl. joy) des Männerspiels Krieg zurückbringen.

Die jahrhundertelange Entwicklung der Waffentechnik hat zu einer immer größeren Distanz der Kontrahenten geführt, die in den immer erschwinglicheren Präzisionswaffen der Neuzeit ihren Durchbruch und im Drohnenkrieg als »Krieg auf Knopfdruck« ihre gegenwärtigen Höhepunkt findet. In dieser Entwicklung ist auch der Algorithmus eingeschrieben, dass mit der Distanz die Fähigkeit zur Empathie sinkt und die Bereitschaft zur Entgrenzung steigt. Dass diese bereits jetzt ein überaus gefährliches Maß angenommen hat, welches noch um ein Vielfaches gesteigert werden wird, wenn dem nicht jetzt ein Riegel vorgeschoben wird, macht Armin Krishnan deutlich.

Ausgangspunkt seiner Untersuchung ist ein historischer Exkurs in die Praktiken der gezielten Tötung – keineswegs ein neues Phänomen – und ihrer ethischen Komplikationen vor dem Hintergrund des Clausewitz’schen Paradigmas des Krieges als Duell. Nach Clausewitz ist Krieg nicht nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, um anschließend wieder zur Politik übergehen zu können, sondern auch ein faires Duell in dem Sinne, als dass Angreifer und Angegriffener gleichberechtigte Gegner mit der potenziellen Chance auf Sieg sind. Dies ist bei der gezielten Tötung nicht mehr der Fall. Hier wurde von einer externen Macht ein Urteil gefällt, ein Gegner wurde eines Verbrechens in Abwesenheit und ohne Verteidigung schuldig gesprochen. Ein Angreifer führt nun die Mission der Todesstrafe still und heimlich aus. »Die Degradierung und Inkriminierung des Gegners zum Verbrecher ist die Voraussetzung für die gezielte Tötung, die keine Kriegs- sondern eine Polizeiaktion darstellt«, bringt Han auf den Punkt.

Oft trifft dies Partisanen oder Terroristen, die per definitionem gegen die Regeln des Kriegs verstoßen und staatliche Gegner damit einladen, sie zu Verbrechern zu erklären, schreibt Krishnan. Dies ist aber keineswegs immer der Fall, wie der Sicherheitsexperte in seinem Buch aufzeigt. Historische Beispiele wie die Morde israelischer Geheimdienstler im Rahmen der Operation »Zorn Gottes« an Palästinensern nach dem Attentat bei den Olympischen Spielen in München 1972, die Anschläge im südamerikanischen Antidrogenkampf der USA mit der »Operation Condor« oder die gezielte Tötung von IRA-Terroristen sind ebenso aufgeführt wie die jüngsten Einsätze von Drohnen im Jemen sowie in Pakistan und Afghanistan. Staatliche Pläne, den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi schon Mitte der 1980er Jahre gezielt umzubringen, führt Krishnan ebenso auf, wie die gezielten Attacken der israelischen Armee auf islamistische Führungsfiguren in den palästinensischen Gebieten.

Krishnan macht in seinem Buch aber nicht nur die ethischen Probleme der gezielten Tötung deutlich, sondern weist auch auf die (völker-)rechtlichen und demokratischen Schwierigkeiten hin. So erfolgt die Auswahl der Zielpersonen, die liquidiert werden sollen, in den meisten Fällen eben nicht in einem demokratischen Verfahren oder durch demokratisch legitimierte Vertreter, sondern meist durch die eine gezielte Tötung durchführenden Organe selbst, also durch die Militärs und Geheimdienste. Vor dem Hintergrund der wachsenden Söldnerpraxis vertieft sich hier die Kluft zwischen demokratischer Legitimität und Kriegspraxis. Auch völkerrechtlich ist die gezielte Tötung ein Problem, da die betroffenen Personen meist eben nicht als Kombattanten und damit nach Kriegsrecht als legitime Zielpersonen anerkannt sind. Macht nichts, sagen sich viele Militärs, haben doch die Terroristen, gegen die man nun massenhaft mit Drohen vorgeht, ihre rechtlichen Ansprüche verwirkt, indem sie sich selbst außerhalb jeden Rechts niedergelassen hätten. Eine überaus umstrittene Position.

MSB_Krishnan_Umschlag-Klappe.indd
Armin Krishnan: Gezielte Tötung. Die Zukunft des Krieges. Matthes & Seitz Berlin 2012. 270 Seiten. 17,90 Euro. Hier bestellen

Die größte Rolle spielt die gezielte Tötung heute im Rahmen des Drohnenkrieges. Hier wird immer wieder die Effektivität der eingesetzten Mittel in den Vordergrund geschoben. Krishnan widerspricht diesem Argument. Denn betrachtet man einmal die genauen Resultate, dann sei das Ergebnis aus militärischer und sicherheitspolitischer Sicht doch recht dürftig, zeigt er. Abgesehen davon, dass man den getöteten Terroristen durch das Töten auf Knopfdruck nicht habhaft wird, haben die Tötungen weder zu einer Abnahme von Gewalt geführt noch dazu, dass die betroffenen Terrorgruppen ihre Aktivitäten eingestellt hätten. Ganz im Gegenteil: »Gezielte Tötungen tendieren dazu, die Wut, Motivation und Entschlossenheit der betroffenen Gruppierungen und ihrer Sympathisanten zu erhöhen«, fasst Krishnan seine Untersuchungen zur taktisch-strategischen Effizienz von gezielten Tötungen zusammen.

Auch das Argument der »kosteneffektiven Kriegsführung« durch Drohnen widerlegt Krishnan. 2010 wurden bei 118 Drohnenangriffen in Pakistan 801 Taliban bzw. Al-Quaida-Mitglieder getötet. Bei den Kosten von etwa 1 Million US-Dollar pro Drohneneinsatz entspricht das Kosten von etwa 150.000 US-Dollar pro getötetem Feind. Da aber 94 Prozent der Getöteten »islamistische Fußsoldaten« gewesen seien, belaufe sich die Tötung eines »Hochwertziels« auf 2,4 Millionen US-Dollar. Rechne man die Hilfsleistungen in Höhe von 1,1 Milliarden US-Dollar als notwendiges Backup mit hinzu, steigen die Kosten auf 0,9 Millionen US-Dollar pro »Fußsoldat« und 14 Millionen US-Dollar pro Taliban/Al-Quaida-Führungsmitglied. Eine zynisch-utilitaristische Rechnung, die aber angesichts der im Raum stehenden Argumente notwendig scheint.

Eine Studie von Rechtswissenschaftlern der Stanford-University und der New-York-University kam kürzlich zu dem Resultat, dass der Drohneneinsatz das Terrorrisiko keinesfalls senke. Ist die Drohne also schon ein Modell für den Schrottplatz. Wohl kaum! Vielmehr scheint das, was aktuell geschieht, die Trainingsphase für eine düstere Zukunft zu sein. Krishnan legt die aktuellen Forschungen und Investitionen im Bereich des Drohneneinsatzes und das schreckenerregende Drohpotential offen. Man liest da von Laserwaffen, die Individuen wie Blitze töten, von bionischen Wespen, die mit einer Minidosis tödlichen Gifts auf Menschenjagd geschickt werden, von fliegenden Mikrodrohnen, die mit einem bionischen Erkennungssystem und einer tödlichen Mini-Sprengladung ausgestattet sind oder von Schwärmen winziger Nanorobotter, die in der Lage sind, die Zellen von bionisch markierten Personengruppen zerstören. Es sind diese Passagen, in denen sich Krishnans Buch wie George Orwells »1984« liest, dessen Dystopie nichts anderes war als eine futuristische Deutung der technischen Möglichkeiten. Wer die Drohnentechnologie und ihre verheerenden Potentiale verstehen will, der muss Krishnans Studie über die Zukunft des Krieges lesen.

Noch sind die von ihm beschriebenen Waffentechniken nur Szenarien von Militärs und Sicherheitsexperten, nach deren Vorstellung das Potential des verdeckten, anonymen, spurenlosen, massenhaften und gezielten Tötens im Kampf von Gut gegen Böse perfektioniert werden soll. »Möglicherweise steuern wir auf eine alptraumhafte Zukunft eines ‚Terminator-Planeten’ zu, in der bewaffnete Drohnen rund um die Uhr weltweit auf Terrorjagd sind, um jederzeit und überall zuschlagen zu können«, warnt Armin Krishnan zu Ende seines Buches.

Die Labore, in denen an diesen blinden Massenvernichtungswaffen gebastelt wird, sind zahlreich. Ein Wettrüsten um die besten Techniken ist längst im Gange. Die Wirklichkeit trennt von dem Orwell’schen Krieg, wie ihn Krishnan beschreibt, nur noch wenig. Deshalb fordert der Sicherheitsexperte ein internationales Verbot der gezielten Tötung. Nur eine internationale Ächtung dieser Praxis könne helfen, den staatlichen Missbrauch zu verringern und die schlimmsten Gefahren abzuwenden, schreibt er.

Eine entsprechende Forderung an den Deutschen Bundestag hatten 2012 die Friedensforschungsinstitute gestellt – ohne Ergebnis. Statt dessen hatten Verteidigungspolitiker und Militärs in der Vergangenheit immer wieder die Anschaffung von Drohnen für die Bundeswehr gefordert. Ihr Einsatz sei »ohne Zweifel sinnvoll«, hieß es aus dem Verteidigungsministerium. In diesem Frühjahr hatten über einhundert Organisationen den Appell »Keine Kampfdrohnen« gestartet, mit dem erreicht werden soll, das Deutschland auf Drohnen verzichtet.

Wer Gezielte Tötung gelesen hat, der kann zu der Einschätzung deutscher Sicherheitspolitiker, Drohnen seien sinnvoll, nicht mehr kommen. Die Bedrohung des Bürgers ist viel massiver als bislang angenommen. Denn wer sagt uns, dass Drohnen auf den außenpolitischen Einsatz beschränkt bleiben? Wer versichert, dass nach Terroristen nicht auch bald unbequeme politische Gegner (Russland scheint hier bereits eine Praxis gefunden zu haben, wie der Fall Litwinenko zeigt) und irgendwann dann auch ungelegene Gruppen ethnischer, politischer oder religiöser ins Ziel genommen werden? Die biometrische Markierung möglicher Zielpersonen ist schon heute dank Minisonden kein Problem mehr, die genetische Markierung nach der kompletten Entschlüsselung und Deutung des menschlichen Genoms scheint nur eine Frage der Zeit. Radikale politische Ideologien wie der Transhumanismus oder der Öko-Faschismus, die in der massiven Minimierung der Weltbevölkerung die einzige Lösung zur Rettung des Planeten erheben, gibt es bereits. Wenn Verfechter dieser Ideologien erst einmal in den Besitz des nötigen Know Hows kommen, die diese Technologien zu Massenvernichtungswaffen werden lassen, wer will dem dann noch Einhalt gebieten?

Auf solche Fragen haben Politiker und Militärs bislang keine Antworten. Darüber wollen sie auch nicht reden, denn damit stößt man nicht nur in das Gebiet der dunklen Seite der Macht, sondern in den Bereich der schwarzen Materie der Drohnentechnologie vor. Ein Bereich, von dem keiner weiß, was dann kommt. Ein internationales Verbot der gezielten Tötung verhindert nicht, dass es diese schwarze Materie gibt, aber zumindest minimiert es die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns in einen Raum mit diesem sich rasant ausbreitenden schwarzen Loch begeben.

Die Lektüre von Krishnans Studie führt das Maß der Utopie des von Mary Kaldor und Shannon Beebe aufgezeigten Sicherheitskonzepts der »Menschlichen Sicherheit« vor Augen. Erst wenn Krishnans Forderung einer internationalen Ächtung der »gezielten Tötung« Wirklichkeit ist, kann ernsthaft über ein Konzept »Menschlicher Sicherheit« nachgedacht werden. Allerdings kann auf dem Weg zu einer solchen Ächtung die von Beebe und Kaldor angemahnte »Geisteshaltung, die die unabdingbare Gleichwertigkeit aller Menschenleben anerkennt« nur nützlich sein.