Erzählungen, Interviews & Porträts, Literatur

Sinn ist eine Fiktion

In Ihren Erzählungen geht es auch immer wieder um die Kommunikation in den verschiedenen Medien und ihre Veränderung beim Übergang von einem Medium zum anderen. So in »Die melancholische Macht«, in der man einem Theaterstück beiwohnt, ohne es zu wissen. Warum ist Ihnen dieser Übergang zwischen den Medien so wichtig?

Das hat für mich beim Erzählen eine große Bedeutung, weil ich einerseits so schreiben möchte, dass der Fernseher, der Radiobeitrag oder das Theaterstück gleichwertig neben dem anderen, dem »echten Leben« stehen können. Wenn ich erzähle, bilde ich nicht die Welt oder die Realität ab, wie sie ist, sondern der Text ist schon in sich Erzählung und Medium. Und so wie es normal ist, in einem Text ein Hausdach zu öffnen und hineinzuschauen, um zu sehen, was sich in den darunterliegenden Räumen abspielt, muss es natürlich sein, in den Fernseher hineinzuschauen und dort in der Situation zu sein. Und das ist nicht nur das, was die Kamera aufzeichnet, sondern das sind ja auch die Umstände vor Ort, das Studio, die Hitze, die Kulisse, die Menschen, ihre Gedanken und so weiter. Für mich ist es beim Erzählen wichtig, dass ich diese Grenzen durchlässig halte. Im Grunde bemühe ich mich, diese komplett aufzulösen, bis sie nicht mehr existieren. Dann kann ich die Interaktionen zeigen, die zwischen den Menschen und all diesen Medien stattfinden.

Von all dem »Nicht-Echten« ist schon so viel in die Leben der Menschen übergegangen. Dem gegenüber steht das Bewusstsein, dass es noch eine Grenze gebe, was sich meist in der Aussage »Das ist ja nicht echt!« spiegelt. So wie einem die Eltern bei einem Krimi sagen, dass die Toten im Film nicht echt sind. Dabei ist vieles von dem bereits in das alltägliche Leben, in unser Verhalten, in die Art, wie wir miteinander sprechen, und die Erwartung, die wir voneinander haben, übergegangen. Dieses »Nicht-Echte« ist bereits so echt, dass man es nicht mehr hierarchisch unter »die Realität« unterordnen kann.

Warum haben Sie Ihre Haupterzählung »Die Intelligenz der Pflanzen« auf zwei Stücke verteilt?

Die Intelligenz der Pflanzen war die letzte Erzählung, die ich für den Band geschrieben habe. Beim Schreiben habe ich nicht geahnt, dass sie so lang werden würde. Als einzelne Geschichte wäre sie zu schwer zwischen den anderen Erzählungen gewesen. Nach Abschluss der Erzählung wusste ich recht schnell, dass das die »Mutter« des Bandes werden würde, dass diese Geschichte zum Themenkomplex des Bandes gehört und ihn in gewisser Weise abrundet.

Ich habe diese Geschichte gelesen wie eine Mischung aus Peter Weirs Film »Die Truman Show« und Franz Kafkas Roman »Der Process«. Ist das Absurde und Skurrile, das in beiden Werken steckt, etwas, das Sie anzieht?

Es zieht mich an insofern, als dass ich davon ausgehe, dass beides ohnehin in der Realität wohnt. Vor allem das Absurde, das ist meines Erachtens in der Normalität im Kern zuhause. Es geht nicht, mehrfach einen Sachverhalt zu betrachten, ohne das ihm innewohnende Absurde an die Oberfläche treten zu sehen. Je länger man sich mit einer Konstellation befasst, umso absurder wird eigentlich alles, was sie zusammenhält. Das Absurde ist im Grunde der Leim.

Roman Ehrlich: Urwaldgäste. Dumont Buchverlag 2014. 272 Seiten. 19,99 Euro. Hier bestellen

In der Tiefe Ihrer Erzählungen entdecke ich immer wieder das Eintreten des Unerwartbaren. Ist die Annahme von Kohärenz im Leben ein Irrtum?

Wahrscheinlich schon; vor allem in einer Kultur, die so von Kontingenz geprägt ist. In einer solchen Welt, in der alles immer so ist, wie es ist, aber nicht zwangsweise so sein muss – und das Bewusstsein darüber vorherrscht –, ist diese Annahme wahrscheinlich per se ein Irrtum. Wer immer weiß, dass es anders möglich ist und die Tatsache, dass die Dinge so sind, wie sie sind, ein Zufall ist, wird sich schwer tun, Kohärenz zu empfinden. Oder zu glauben, dass es einen fortlaufenden, sinnhaften, gezeichneten Weg gibt.

Besteht die größte Absurdität vielleicht gerade darin, dass alle die Welt, so wie sie ist, hinnehmen, obwohl sie nicht so sein müsste?

Ich glaube, dass dieser Umstand bei vielen Menschen eine Art Missmut oder Wut auslöst. Denn wenn die Welt, so wie sie ist, schlecht ist, dann könnte sie auch vergehen. Dahinter steckt doch, dass ein Sinn verloren gegangen ist, der eingefordert wird. Das macht die Menschen wütend auf die Welt und die Verhältnisse, in denen sie leben, weil offenbar das Vertrauen, dass diese noch einmal anders werden, abhanden gekommen ist. Deshalb beklagen sich viele Menschen über die »Sinnlosigkeit der Welt«. Dabei gibt es gar keine Gegenbewegung, die der Welt eine Sinnhaftigkeit geben könnte. Und wenn es diese gäbe, wäre es eine Erfindung, eine Fiktion, der man dann vertrauen müsste – im Wissen, dass sie erfunden worden ist und dass sie auch wieder sämtliche Zustände annehmen könnte. Das menschliche Problem unserer Zeit schlechthin besteht darin, dass jeder Einzelne lernen muss, mit dieser Beliebigkeit und Sinnlosigkeit umzugehen, ohne diese jemandem vorwerfen zu müssen. Wir müssen akzeptieren, dass es keinen Schuldigen dafür gibt, dass wir nicht in einer sinnvollen Welt leben können. Es geht darum, zu begreifen, dass dieses Sinnvolle ein fiktives Konstrukt ist, das man entwickeln, entwerfen, durchführen, leben und immer wieder akzeptieren muss, obwohl es beliebig ist. Sonst bleibt nur eine unermessliche Leere.

Wo stehen ihre Figuren in diesem Prozess?

Wenn man die Sinnhaftigkeit als Fiktion akzeptiert, ist man sicher einen Schritt weiter als die Menschen in meinem Buch. Die sind an dem Moment, in dem sie registrieren, dass mit dem Sinn und der Zuschreibung irgendetwas nicht stimmt und es auch niemanden gibt, dem man das zum Vorwurf machen könnte. Oder sie stellen fest, dass sie unzufrieden sind oder begreifen nicht, nach welchen Regeln gerade gespielt wird. Aber sie können für sich noch keinen Weg entwickeln, wie sie damit umgehen müssen, damit es in ihrem Leben erfüllt weitergeht. Ich wollte sie bewusst nicht diesen nächsten Schritt machen lassen und vorgeben, was die Personen oder die Leser in ähnlichen Situationen nun machen müssten. Vielleicht ist dieser Schritt ja das, was die Menschen meinen, wenn sie Engagement in der Literatur fordern, aber ich finde, dass dadurch nur eine künstliche, die Welt auf eine Meinung zusammenschrumpfende »Klarheit« geschaffen wird. Das finde ich fatal.

Ich habe mich gefragt, ob Sie Comics lesen, weil die allgemeine Theorie davon ausgeht, dass im Panelgraben, also im leeren Raum zwischen zwei Bildern, das Meiste geschieht, weil der Leser imaginieren muss, was zwischen den beiden Bildern stattfindet. In Ihren Erzählungen nutzen sie auch immer wieder solche Leerstellen, in denen der engagierte Leser gefragt ist.

Das ist für mich am Veröffentlichen von Texten das Interessanteste. Ich würde mich freuen, wenn es noch besser gelänge, in die Köpfe der Leser zu schauen und zu sehen, womit sie diese Leerstellen füllen. Es wäre doch höchst interessant, das Material betrachten zu können, mit dem Leser diese Löcher stopfen. Genau darin besteht auch das Magische des Schreibens und Publiziertwerdens, wenn Leser, zum Beispiel bei Lesungen, mir als Autor einen Einblick darin gewähren, womit sie diese Lücken gefüllt haben. Oft habe ich das Gefühl, dass ich nur die erste Sprosse in eine Leiter eingezogen habe. Diese Leiter gehen die Leser aber natürlich hoch, bis sie an einen Ort kommen, wo ich selbst gar nicht war. Und wenn sie mir dann erklären, wie die Aussicht von da oben ist, ist das ein sehr schöner Effekt meines Schreibens.

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