Film

Die Blutspuren des Kranichs

Tahar Rahim mit Zein und Dina Fakhoury in »The Cut« von Fatih Akin | © bombero int. / Pandora Film 2014

Nach dem Road-Movie »Gegen die Wand« und dem Generationenfilm »Auf der anderen Seite« beendet der deutsch-türkische Filmemacher Fatih Akin mit seinem Flüchtlingsdrama »The Cut« nicht nur seine Filmtrilogie Liebe, Tod und Teufel, sondern rührt auch an dem Tabu des armenischen Völkermords im Herkunftsland seiner Eltern.

»Es war einmal, es war keinmal« heißt es zu Beginn von Fatih Akins The Cut, der das Drama der aus der Türkei vertriebenen Armenier erzählt. Im Mittelpunkt des Films steht der junge armenische Schmied Nazaret Manoogian (Tahar Rahim), der 1915 mit seiner Familie in der südostanatolischen Stadt Mardin lebt. In Europa tobt der Erste Weltkrieg, an den Ausläufern zeigt die Atmosphäre der Paranoia und Brutalität ihre Wirkung. Aus Nachbarn werden Fremde, aus Minoritäten politische Feinde.

Eines Nachts zieht die türkische Polizei durch die Stadt und treibt alle armenischen Männer zusammen. Sie werden in Arbeitslager verschleppt, um Gleise und Straßen durch die Ödnis der anatolischen Steinlandschaft zu ziehen. Davon betroffen ist auch der junge Dorfschmied, der seine Frau und seine Zwillingstochter zurücklassen muss. Es ist der Anfang seiner Odyssee und der Beginn des türkischen Massenmords an der armenischen Minderheit. Fatih Akin zeigt ihn in schwer erträglichen Bildern, die sich dem Zuschauer einprägen. Es sind aber nicht nur Bilder, die vor allem vom ersten Teil dieses Filmes in Erinnerung bleiben, sondern auch Geräusche. Das verzweifelte Schreien einer Frau, die ihre Kinder fortschickt, damit diese nicht ansehen müssen, wie ihre Mutter vergewaltigt wird. Das leise Sirren der Klinge, die durch die Kehlen der armenischen Arbeiter fährt. Das nasse Klatschen des Blutes an den Felsen. Das Schnarren der Luft, die der durchstochenen Kehle von Nazaret Manoogian entfährt.

Wie durch ein Wunder überlebt er den Massenmord an den Armeniern, ist allerdings zum Schweigen verdammt. Das gibt der Figur etwas Schablonenhaftes, denn allein der scherzhaft-melancholische Blick von Hauptdarsteller Tahar Rahim kann den vergangenen und kommenden Schrecken nicht transportieren.

Auf seiner Flucht aus der Türkei kommt Manoogian durch das Flüchtlingslager Ras al-Ayn, eine Dantesche Vorhölle, in der Hunger, Krankheit und Tod herrschen. Hier findet Manoogian seine Schwägerin, die ihm im Delirium anvertraut, dass alle anderen Familienmitglieder bereits gestorben seien. Gebrochen zieht er weiter und findet im syrischen Aleppo Aufnahme in der Seifenfabrik eines mildtätigen Türken. Hier überlebt er den Krieg. Als dieser zu Ende ist, erfährt er, dass seine Töchter noch leben, und begibt sich auf eine jahrelange Suche.

Zu Beginn des Films wird die nun folgende Odyssee bereits angedeutet. Man sieht, wie Manoogian und seine Töchter gebannt einem am Himmel ziehenden Kranich hinterhersehen. »Wer einen Kranich sieht, begibt sich auf eine lange Reise«, heißt es da. Diese lange Reise ist das Motiv, das sich durch den Film zieht, Manoogian folgt dem Kranichflug.

Fatih Akin zeigt in seinem Film die Grautöne, die im oftmals schwarz-weiß gemalten Bild ethnisch-religiöser Konflikte untergehen. Er entlarvt den blinden Dogmatismus der Armenier ebenso wie die Sanftmut derjenigen, die Manoogian auf seiner Irrfahrt helfen. Sowohl Güte als auch Boshaftigkeit, von der er in diesem Abschluss seiner Trilogie von Liebe, Tod und Teufel vor allem erzählt, haben hier viele Gesichter.

2004 begann Akin seine Trilogie mit dem Road-Movie Gegen die Wand, in dem eine junge Deutschtürkin erleben muss, dass Liebe und Schmerz nah beieinander liegen. Drei Jahre später folgte der Spielfilm Auf der anderen Seite, der von sechs Menschen handelt, die sich zwar immer wieder begegnen, aber erst im Tod zusammenfinden. Nun steht der Teufel im Mittelpunkt, das Böse im Menschen, wenngleich das in The Cut nicht immer eindeutig zuzuordnen ist. Auch weil der Film erklärtermaßen keiner über den armenischen Genozid ist, obwohl Fatih Akin vor der Premiere bei den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig davon sprach, dass man im Anschluss entweder mit Steinen und mit Rosen nach ihm werfen werde.

Bislang waren es vor allem schlechte Kritiken, die auf Akin niedergingen. The Cut sei schematisch, hölzern in den Dialogen und von jeglicher politischen Brisanz bereinigt. Keiner dieser Kritikpunkte ist völlig aus der Luft gegriffen, aber vor allem letzterer wiegt schwer. Denn Fatih Akin verschenkt mit der auf die ersten 70 von insgesamt 138 Minuten beschränkten, nahezu beiläufigen Thematisierung des armenischen Genozids viel Kapital. Man kann ihm unterstellen, er habe sich an dieses im Herkunftsland seiner Eltern heikle Thema nicht mutig genug herangewagt – der märchenhafte Beginn würde diese These stützen. Zweifellos wurden aber auch hohe Erwartungen an Akin gestellt. The Cut wurde sehnsüchtig als politisches Statement des Filmemachers erwartet. Als solches kann der Film nur enttäuschen.

Fatih Akin: The Cut. 138 Minuten. FSK: 12 Jahre. Pandorra Filmverleih.

Die Frage, warum von einem Regisseur mit türkischem Hintergrund erwartet wird, dieses Thema in seinen Filmen explizit zu behandeln, führt nicht nur zu den Klischees und Erwartungshaltungen der deutschen Integrationsdebatte, sondern deutet auch auf die Bequemlichkeit der deutschen Filmindustrie. Es muss daher ebenso erlaubt sein zu fragen, warum sich bisher kein originär deutscher Filmemacher an dieses wichtige Thema gewagt hat.

The Cut ist am Ende vor allem eine Hommage an die Filmgeschichte vor dem Hintergrund des armenischen Genozids. Der Film steckt voller Zitate und stilistischer Verweise, etwa wenn weite Teile des Films an die Kultur der Western anknüpfen oder die Filmgeschichte selbst zum Thema wird. Dieses Spiel mit dem eigenen Medium erklärt die fehlende politische Note des Films. »Ich bin kein Politiker und mache keine Politik mit meinem Film«, sagt der Regisseur selbst dazu und ergänzt, dass The Cut »viel mehr ein Film über die Liebe zum Kino geworden [sei] als ein Film über einen Völkermord«.

Oft wird beklagt, dass sich die Kunst der Politik unterordnet. Ob hier das Gegenteil der Fall ist, darf angezweifelt werden. Denn die Entpolitisierung des Films führt bei diesem umstrittenen Thema leider nicht auf das streitbare Feld der Kunst, sondern auf das politische Feld des anderen Lagers, auf dem türkische Nationalisten nun die Steine fallen lassen und beruhigt nach Hause gehen können.

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4 Kommentare

  1. […] sondern auch Andrej Tschichatschow alias Tschick begegnet. Fatih Akin, der zuletzt mit dem armenischen Flüchtlingsdrama The Cut ein bleischweres Thema auf die Leinwand gebracht hat, macht es sich hier nicht allzu schwer, […]

  2. […] allem. So umschifft sie die dramatischen Fahrwasser, in die Fatih Akin in seinem unglücklichen Flüchtlingsdrama »The Cut« geraten ist. Zugleich versucht sie erst gar nicht, sich mit so einem Epos wie Varujan Vosganians […]

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