Der Anwalt einer einflussreichen Wirtschaftskanzlei wird erhängt in seinem Sommerhaus aufgefunden. Kurz darauf kommt seine Sekretärin bei einem Unfall in der New Yorker U-Bahn ums Leben. Kann das Zufall sein? Louis Begley, der Autor von »Lügen in Zeiten des Krieges« und »Schmidt«, legt mit »Zeig dich, Mörder« seinen ersten Thriller vor und erfindet sich in seinem zwölften Buch noch einmal neu.
Jack Dana ist das einzige Kind eines Philosophieprofessors an der Harvard-Universität und einer Flötistin im Bostoner Kammerorchester, also in praller Kultur aufgewachsen. Noch während seiner Zeit auf dem College sterben beide auf tragische Weise, Jack bleibt bei seinem Onkel Harry zurück. Nach der Schule hätte er in die schöngeistigen Fußstapfen seiner Eltern treten können, doch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 meldet er sich freiwillig zum Militärdienst. Zurück von den Schlachtfeldern, die für den Elitesoldaten viele Monate die Welt bedeuteten, beginnt er, seine Erlebnisse recht erfolgreich in Literatur zu verarbeiten, springt quasi doch in die verwaisten Fußstapfen seiner Ahnen. Sein Onkel Harry nimmt die Rolle des Türöffners ein, wo immer er seinem Neffen helfen kann.
Schon hier wird deutlich, dass Begley für seinen neuen Roman das Milieu der Oberschicht, das sein Werk so prägt, nicht ganz verlassen kann. Sein Held kennt das Leben on the ground, wie es im Englischen so schön vieldeutig heißt, zuhause aber ist er in den oberen Etagen der Glas- und Klinkertürme Manhattans. Zeig dich, Mörder ist die literarische Verarbeitung eines Alptraums, der Begley seit seinem Debüt Lügen in Zeiten des Krieges verfolgt, und ist unter dem Titel Killer, Come Hither gerade in Großbritannien und den USA erschienen, in Deutschland ist diese Geschichte um den Elitesoldaten Jack Dana bereits Anfang Januar erschienen.
Dieser zieht sich für sein zweites Buch in das Ferienhaus seines Onkels in Südamerika zurück. Dort erreicht ihn nach einigen Wochen absoluter Abgeschiedenheit der Anruf von Harry Dans Nachlassverwalter Fred Minot, der ihm die Nachricht vom Tod seines Onkels übermittelt. Er sei in seinem Sommerhaus an der Küste erhängt aufgefunden worden, nun müsse sein Nachlass geregelt werden. »Wie Sie vielleicht wissen, hat er, abgesehen von einigen kleinen Legaten, einschließlich einer Zuwendung für die Kirche, sein gesamtes Vermögen Ihnen vermacht. Es ist ein beträchtliches Erbe«, erfährt Jack Dana am Telefon von Minot.
Doch irgendetwas stimmt hier nicht, viel zu schnell tauchen Puzzleteile auf, die allzu gut zusammenpassen. Da sind die aus der Luft gegriffenen Gerüchte, Onkel Harry wäre an Demenz erkrankt und habe sich in letzter Zeit einiges zuschulden kommen lassen, was den Weg des Freitods erkläre. Ein seltsamer Abschiedsbrief seines Onkels taucht auf, während parallel alle privaten Unterlagen aus der Kanzlei verschwinden. Der unglückliche Tod von Harrys Sekretärin Barbara Diamond würde allzu gut in ein Szenario passen, bei dem es um die Beseitigung des erfolgreichen Wirtschaftsanwalts geht.
Wollte jemand Harry aus dem Weg räumen? Welche Rolle spielt der abgebrühte Kanzleichef Will Hobson bei Onkel Harrys Tod? Wieso kündigte Harrys langjähriger Mandant Abner Brown nach vielen Jahren die Zusammenarbeit auf? Und was weiß Harrys anziehende Kollegin Kerry Black? Jack macht sich auf die Suche und gerät immer tiefer in einen Sumpf aus Korruption, politischen Ränkespielen und Wirtschaftskriminalität.
Der Roman leidet allerdings am zum Teil zerfaserten Plot, da Begley nicht nur versucht, den Bogen zwischen dem Balkan-Konflikt, den Schlachtfeldern im Nahen Osten und dem Krieg auf den Märkten zu spannen, sondern auch noch das Themenfeld Organisierte Kriminalität abzugrasen und die Geschichte des American Dream (»Alles ist möglich, wenn Du nur willst«) sowie den heroischen Kampf einer gegen alle zu erzählen. Quellenforscher hätten hier ihre wahre Freude, sie würden sicher auch noch Aspekte von MacGyver’schem Einfallsreichtum und biblischem Rachedurst, aber auch Argumente aus Begleys historischer Untersuchung Der Fall Dreyfus – Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte finden.
Der 81-jährige Anwalt und Schriftsteller Louis Begley hat seine besten Zeiten zweifellos hinter sich. Grandioser als sein preisgekröntes Holocaustmemorial Lügen in Zeiten des Krieges oder die mit Jack Nicholson verfilmte Schmidt-Trilogie kann man Literatur auch kaum schreiben. Mit Zeig dich, Mörder legt er nun einen Justiz- und Politthriller vor (erschienen in der Reihe Suhrkamp Krimi), in dem er die eigenen Kenntnisse des Konkurrenzkampfs in Großkanzleien verarbeitet und mit Anflügen der Ermittlungslust eines Ian Fleming und der Drastik eines Cormac McCarthy ergänzt. So stellt dieses Buch durchaus eine packende Lektüre dar, will am Ende aber zu viel.