Comic

Zeichnende Philosophen

Jeden Sonntag lässt der Berliner Tagesspiegel vier Comiczeichner über das Besondere im Alltag nachdenken. Zwei von ihnen veröffentlichen nun eine Sammlung ihrer besten Strips.

Die Namen Markus Witzel und Felix Görmann müssten nicht nur den Tagesspiegel-Lesern sofort etwas sagen, wenn sich die beiden nicht vor Jahren für Künstlernamen entschieden hätten. Hinter den Echtnamen verbergen sich die beiden Comickünstler Mawil und Flix, die neben Tim Dinter und Olivia Vieweg im Vierwochenrhythmus die Sonntagsstrips im Berliner Tagesspiegel zeichnen.

Bis zum Sommer 2014 war die Crew der Sonntagsstrip-Künstler ein reiner Männerladen, Vieweg stieg damals ein für den Hamburger Zeichner Arne Bellstorf. Wenn man die ehemalige Männercrew als Boygroup der Comicszene ansieht, dann haben Mawil und Flix die meisten Groupies. Wer sich noch nicht in die tragischen Helden von Flix’ Faust– oder Don Quijote-Adaption verliebt hat, der ist spätestens den Figuren seiner 2012 mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichneten Comicstrip-Serie Schöne Töchter verfallen.

Darin geht er seit 2010 im Tagesspiegel das Miteinander der Geschlechter im Großstadtdschungel nach. Mawil wiederum hat mit seinen Kindheitserinnerungen Kinderland die Herzen der Comicleser im Sturm erobert – wenn sie nicht ohnehin schon von seinen Alben Strandsafari oder Die Band hin und weg waren. Das Album ist die Krönung seiner bisherigen Karriere, wurde im letzten Jahr mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet. Nun erscheinen zeitgleich die neuen Bücher von Flix und Mawil im quadratischen Schallplatten-Format. Sie versammeln ausgewählte Strips ihrer Tagesspiegel-Sonntagsseiten der letzten fünf Jahre.

Schoene Toechter
Flix: Schöne Töchter. Carlsen-Verlag 2015. 128 Seiten. 24,99 Euro. Hier bestellen

Am Tag, an dem ich mich mit den Zeichnern im Atelier von Flix in einer ruhigen Ecke von Pankow treffe, hat Mawil Geburtstag. Flix streckt ihm nach einem Ständchen sein neues Album Schöne Töchter entgegen, im Gegenzug erhält er ein frisch gedrucktes Exemplar von dessen The Singles Collection. Sofort fachsimpeln beide über den Büchern: »Geile Farben«, »kommt gut raus«, »cooles Stoffbändchen«. Hier begegnen sich zwei befreundete Zeichner, die in ihrer Arbeit aufgehen.

Kennzeichen ihrer Strips ist die Allgemeingültigkeit. Statt tagesaktueller Kommentare stößt man auf eher grundsätzliche Aussagen. »Wir setzen unsere Kunst dafür ein, auf die kleinen und netten Dinge im Alltag hinzuweisen«, erklärt Mawil. Ein Strip sei dann gelungen, wenn er »ohne Aktualitätsbezug auskommt und die Leute dennoch dort abholt, wo sie sind«, ergänzt Flix. Spätestens beim inneren Schweinehund, der übergroß vor der Haustür lauert, oder dem schwangeren Wal, der sich auf dem Wohnzimmersofa wälzt, weiß man, wovon er redet.

Allgemeingültigkeit heißt aber auch, Stellungnahmen zu aktuellen Geschehnissen zu unterdrücken, auch wenn es schwer fällt. »Die so genannten „besorgten Bürger“ und die brennenden Flüchtlingsheime machen mir sehr schlechte Laune, da zuckt es schon gewaltig in meinen Fingern«, gesteht Flix. Womöglich nur eine Frage der Zeit, bis die Nachrichten über Umwege in seine Serie wandern.

In Schöne Töchter beobachtet er nicht nur die Dynamiken zwischen Männern und Frauen, sondern will auch den Blick seiner Leser auf die Dinge weiten. »Ich bin lieber ein Optimist, auch wenn ich am Ende Unrecht habe, als ein Pessimist, der Recht hat – das lebt sich irgendwie leichter. Das versuche ich in meinen Comics zu vermitteln, denn ich habe schon das Gefühl, dass es notwendig ist, die Leute an ihre Empathie zu erinnern.« Entsprechend zaubern selbst seine Mini-Dramen aus dem Leben seiner Großstadtmelancholiker ein Lächeln in die Gesichter seiner Leser.

Mawils Charaktere wirken nostalgisch und in anrührender Weise auch immer wieder hilflos. In seinen Berliner Alltagserlebnissen erzählt er etwa davon, wie man sich erfolglos vor einem Umzug drückt oder wie man besser nicht mit seinem Verleger verhandelt. Variabilität ist sein Programm, im Gegensatz zu Flix hat er sich keiner Serie verschrieben. Man weiß nie, was als nächstes kommt. Mal berichtet er von den Reisen mit dem Goethe-Institut, dann von Superhasis verrückten Abenteuern oder er nutzt den Raum für persönliche Anliegen. Als sein ausgedientes Brillengestell nicht mehr hergestellt wurde, zeichnete er einen Strip, in dem er Berlins Optiker bat, in ihrem Lager nach dem ausgelaufenen Modell zu schauen. Ein kluger Schachzug, denn einige Tage darauf ließ ihn die Pressestelle des betreffenden Brillenherstellers freudig wissen, dass man noch ein Exemplar für ihn gefunden habe.

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Mawil: The Singles Collection. Reprodukt Verlag 2015. 136 Seiten, 29,- Euro. Hier bestellen

Flix zieht vor Mawils spontaner Kreativität den Hut. Er hat sich ganz bewusst für eine feste Serie entschieden, denn »wenn ich das genauso frei gestalten würde wie Markus, dann würde mir gar nichts einfallen.« Dass ihm tatsächlich mal nichts einfallen könnte, kann man sich kaum vorstellen. Flix ist einer der produktivsten Zeichner in Deutschland und Verfechter des Trondheim-Prinzips: möglichst viele Bälle in der Luft halten. Er gilt deshalb als BWL unter den Comicschaffenden, kann selbst darüber aber nur lachen. »Kann bitte jemand meine Mutter anrufen und ihr das sagen? Die sieht das anders.« Mawil, der sich gern mal von der Arbeit ablenken lässt, wirft ein, dass das nur anerkennend gemeint sein könne. »Der Mann bringt die Sachen, die er angefangen hat, zu Ende, und weiß, was funktioniert und was nicht funktioniert. Ich komme hier alle fünf Jahre an und zeige stolz mein neues Buch, da hält er mir die drei vor die Nase, die er inzwischen gemacht hat.«

Comics zeichnen kann ein einsames Geschäft sein, auch wenn sich beide ihr Studio mit anderen Comickünstlern teilen. Wenn sie an ihren Zeichentischen sitzen – zwischen 9 und 15 Uhr ist die wichtigste Zeit –, dann brauchen sie Ruhe, denn »Zeichnen ist Nachdenken mit dem Stift«, erklärt Flix. Wenn das so ist, sitzen vor mir zwei veritable Philosophen.

Sein Gegenüber räumt ein, dass er »schon immer Teil einer Jugendbewegung sein oder eine Gang haben« wollte, um der Einsamkeit zu entgehen. Er träumt von einem Gemeinschaftsprojekt nach dem Vorbild des holländischen Lamellos-Kollektivs oder der Equipe um Bastien Vivès und das größenwahnsinnig-geniale LastMan-Projekt. Plötzlich ist diese Idee im Raum, an der auch Flix sichtlich Gefallen findet. Man soll ja nicht unken, aber möglicherweise geht da was. Vielleicht sogar ein gemeinsames Album der Tagesspiegel-Boygroup.

Der Beitrag ist in ähnlicher Form am 31. August in der Rubrik Stadtleben im Berliner Tagesspiegel erschienen.