Literatur, Roman

An der Realität gescheitert

Takis Würger war 2017 der Newcomer der deutschsprachigen Literaturszene. Nach seinem kometenhaften Anstieg folgt nun der harte Fall auf den Boden der Wirklichkeit.

Takis Würger-Stella
Takis Würger: Stella. Hanser Verlag 2019. 224 Seiten. 22,00 Euro. Hier bestellen

Mit seinem Debüt »Der Club«, einem in Cambridge angesiedelten Sex-and-Crime-Roman, begeisterte er gleichermaßen Kritik, Buchhandel und Publikum. In seinem zweiten Werk lässt er nun von einem naiven Schweizer aus bürgerlichen Verhältnissen die Geschichte der Jüdin Stella Goldschlag als kitschige Liebesverirrung nacherzählen.

Goldschlag verriet in den vierziger Jahren hunderte untergetauchte Juden an die Nazis, anfangs um ihre Eltern vor dem Transport nach Auschwitz zu bewahren, später wohl aus Eigennutz. So genau weiß das niemand. Auf sie trifft der anonyme Erzähler, als er 1942 nach Berlin kommt, um, wie er selbst sagt, »die Gerüchte von der Wirklichkeit zu trennen«.

Würger selbst macht das jedoch kaum. Er streut zwar etwas Wirklichkeit durch Aktenauszüge oder historische Abrisse in seine Erzählung ein, die nicht mehr als eine halbgare Lovestory in einem Berlin am Abgrund ist, eine echte Verbindung entsteht dadurch aber nicht. Die kurzen Passagen wirken pflichtschuldig, als hätte dem Kitsch der Erzählung noch eine Prise realer Härte gefehlt.

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Peter Wyden: Stella Goldschlag. Eine wahre Geschichte. Vorwort von Christoph Heubner. Übersetzt durch Ilse Strasmann. Steidl Verlag 2019. 384 Seiten. 20,00 Euro. Hier bestellen

Statt dieser dümmlichen Verehrung einer geheimnisvollen femme fatale durch den naiven Erzähler hätte man gern etwas von der Seelenpein der Stella Goldschlag erfahren. Leider Fehlanzeige. Man bekommt nur diesen treudoofen Selbstbetrug des Erzählers als Literatur serviert. Allzu leicht(fertig) erzählt zerschellt »Stella« an der Härte der Geschichte und nicht zuletzt auch am Verantwortungsbewusstsein des deutschen Feuilletons, in dem der Roman zurecht verrissen wurde.

Im Steidl-Verlag ist wohl auch deshalb Peter Wydens »Stella Goldschlag. Eine wahre Geschichte« neu aufgelegt worden. Wer sich also für die Wahrheit hinter der Geschichte interessiert, legt Würgers Machwerk besser zur Seite und widmet sich den zusammengetragenen Informationen in Wydens Erinnerungsbuch.

1 Kommentare

  1. […] Denn nichts wäre fataler gewesen, wenn im 75. Jubiläumsjahr der Befreiung von Auschwitz diese historisch schludrige und literarisch kitschige Lovestory aus dem Dritten Reich das Bild der hiesigen literarischen Erinnerungsarbeit repräsentiert […]

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