Erzählungen, Literatur

Macht kaputt was euch kaputt macht

Die Erzählungen des Amerikaners Nana Kwame Adjei-Brenyah »Friday Black« konfrontieren uns schonungslos mit uns und unserer Zeit. Sie zeigen eindrucksvoll, wohin Rassismus und ungezügelter Konsum führen können.

Die Zeile, die der Story-Sammlung »Friday Black« vorangestellt ist, stammt von keinem Geringeren als Rap-Legende Kendrick Lamar. Sein »anything you imagine you possess« ist vielleicht die beste Handlungsanleitung, sich eine Welt anzueignen, die so absurd, widersprüchlich und brutal ist, dass man sie im wahrsten Sinne des Wortes kaum fassen kann. Ihr kommt der US-amerikanische Autor Nana Kwame Adjei-Brenyah in spektakulärer Weise nach. Die Abgründe der Gegenwart bilden die Grundlage seiner zwölf Erzählungen: der tief verankerte Alltagsrassismus, die allgegenwärtige Brutalität und der blindwütige Glaube an den Markt. Diese Wirklichkeit packt er bei den Hörnern und treibt sie mit wenigen Worten auf die Spitze. In eine Welt, die möglicherweise in keiner allzu fernen Zukunft liegt.

In dieser Zukunft gibt es beispielsweise »Zimmer-Land«, einen Freizeitpark, in dem weiße Amerikaner ihre Aggressionen an nicht-weißen Komparsen auslassen können. Die müssen sich dafür in vom Militär ausrangierte Kampfanzüge zwängen, um sich ausreichend gepanzert dem alten weißen Mann auszuliefern. »Er ist wieder da. Der Fremde. Sie haben ihn umhergehen sehen. Immer näher an ihrem Zuhause«, eröffnet etwa die Stimme im Modul Cassidy Lane, bevor die Besucher dieses skurrilen Themenparks ihre Wahl treffen, die Polizei zu verständigen oder selbst zur Knarre zu greifen. »Denken Sie daran, es ist Ihr Zuhause, nicht seins«, mahnt die blecherne Stimme des Programms noch einmal. Wie die Wahl dann ausfällt, kann man sich denken.

Eine Gesellschaft, in der nicht-weiße Menschen als permanente Bedrohung inszeniert werden, muss sich Adjei-Brenyah nicht ausdenken. Er besuchte das College, als der 17-jährige Trayvon Martin von einem weißen Rassisten, dem der Teenager »verdächtig« vorkam, auf offener Straße erschossen wurde. Der Publizist Ta-Nehisi Coates schrieb nach diesem und anderen rassistischen Morden einen Brief an seinen Sohn, in dem er von der amerikanischen Tradition sprach, »den schwarzen Körper zu zerstören«. Die Historikerin Jill Lepore hat in ihrer eindrucksvollen Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika diese Tradition auf über eintausend Seiten belegt (siehe nachstehende Box).

»Die Amerikaner stammen von Eroberern und Eroberten ab, von Menschen die als Sklaven gehalten wurden, und von Menschen die Sklaven hielten, von der Union und von der Konföderation, von Protestanten und von Juden, von Muslimen und von Katholiken, von Einwanderern und von Menschen, die dafür gekämpft haben, die Einwanderung zu beenden. In der amerikanischen Geschichte ist manchmal der Schurke des einen der Held des anderen. Aber dieses Argument bezieht sich auf die Fragen der Ideologie: Die Vereinigten Staaten sind auf Basis eines Grundbestands von Ideen und Vorstellungen gegründet worden, aber die Amerikaner sind inzwischen so gespalten, dass sie sich nicht mehr darin einig sind, wenn sie es denn jemals waren, welche Ideen und Vorstellungen das sind und waren.« Jill Lepore: Diese Wahrheiten. Aus dem Englischen übersetzt von Werner Roller. C.H.Beck 2019. 1.120 Seiten. 39,95 Euro. Hier bestellen

Dem britischen Guardian sagte Adjei-Brenyah, dass er mit seinen Erzählungen dazu beitragen wolle, dass es nicht mehr so lapidar erscheine, wenn Schwarze umgebracht werden. Dafür lässt er die Geister dieser Tradition in seinen Erzählungen heftig mit ihren Ketten rasseln, zu Beginn sogar wortwörtlich. Sein Buch beginnt mit dem Mord an fünf schwarzen Jugendlichen. Die Finkelstein-Five – zweifelsohne eine Anspielung an die Central-Park-Five, denen Ava DuVernay die Netflix-Miniserie »When they see us« gewidmet hat – werden in der Erzählung von einem weißen Rassisten mit einer Kettensäge geköpft, weil der »glaubte, in Gefahr zu sein«, verteidigt ihn sein Anwalt. »Und wissen Sie, wenn Sie etwas glauben, irgendwas, dann ist das alles, was zählt«, überzeugt dieser die Geschworenenjury.

Das Protokoll der skurrilen Verhandlung wird immer wieder von der Erzählung eines jungen Mannes unterbrochen, der beschreibt, wie es ist, als Schwarzer in einer Gesellschaft zu leben, die Schwarze brechen will. Dabei beschreibt er in den unterschiedlichen Alltagssituationen den Grad seiner »blackness«, die er auch in bester Sonntagskleidung kaum unter den Wert von 3,0 gedrückt bekommt. Und je höher der Wert, desto stärker ist er der Brutalität der ihn umgebenden Gesellschaft ausgeliefert. Es stellt sich die Frage, wie lange man das mitmacht und wann der Zeitpunkt gekommen ist, auf Gewalt mit Gewalt zu reagieren.

»Friday Black« sei das Extrakt aus über 70 Stories, die er seit seinen frühen Zwanzigern geschrieben hat, hat Adjei-Brenyah gegenüber dem Guardian behauptet. Das, was es nicht ins Buch geschafft habe, sei Mist. Das kann man sich angesichts dieses kraftvollen Debüts kaum vorstellen, mit dem der Autor durch die Decke ging. Auf Anhieb erhielt er den renommierten PEN-Award, kam auf die Shortlist für den Dylan Thomas Prize und die Longlist für die Andrew Carnegie Medal. Der doppelte Pulitzer-Preisträger Colson Whitehead (»Underground Railroad«, »Nickel Boys«) nahm ihn 2018 in den Kreis der fünf wichtigsten US-Autoren unter 35 auf. Der Sohn eines Anwalts und einer Lehrerin, die aus Ghana in die USA einwanderten, studierte an der privaten New Yorker Syracuse University Creative Writing, Booker-Preisträger George Saunders und Authors-Autorin Lynne Tilmann gehörten dort zu seinen Mentor:innen.

Unter einem US-Präsidenten Donald Trump, der nicht erst seit dem brutalen Mord an George Floyd Rassisten und Neoliberalen nach dem Mund redet, erhält jede einzelne Zeile des Sohnes ghanaischer Einwanderer eine besondere Prägnanz. Trump sei »definitiv ein Symptom für etwas, das man jetzt nicht mehr ignorieren kann. Er sagt und tut schreckliche Dinge. Er ist ein hemmungsloser Frauenfeind, das ist auf vielfältige Weise nachvollziehbar gemacht und aufgezeichnet worden. Er hat keinerlei Interesse, sich nach normalen Maßstäben als guter Mensch auszugeben … Beängstigend jedoch ist, dass, selbst wenn er beseitigt wird, das Problem, für das er steht, nicht verschwindet«, so der Autor gegenüber dem Guardian.

Nana Kwama Adjei-Brenyah: Friday Black. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. Penguin Verlag 2020. 234 Seiten. 20,00 Euro. Hier bestellen

Die dystopischen Erzählungen von Nana Kwame Adjei-Brenyah sind originell, kraftvoll und im besten Sinne verstörend. Sie schaffen genau das, was gute Literatur vermag. Sie konfrontieren uns schonungslos mit uns und unserer Zeit. Die Zukunft, die der Amerikaner aufzeigt, ist nicht »nur auf ihrer Oberfläche trostlos futuristisch. Im Kern zeigt jede Geschichte – scharf wie ein Messer – auf etwas«, lobte Tommy Orange, Autor des fulminanten Romans »Dort, dort«, in der New York Times dieses Debüt.

Die titelgebende Erzählung ist etwa eine von insgesamt drei schrillen Stories, in denen er seine Protagonisten den Abgründen des freien Marktes aussetzt. Der traditionelle »Black Friday Sale« wird hier zum Hauptkampftag einer gierigen Menschenmenge, die wie Raubtiere auf Schnäppchenjagd gehen. Bei diesem blutigen Ritual werden Konkurrenten brutal aus dem Weg gestoßen oder im Eifer des Gefechts totgetrampelt. Die Überlebenden schleifen ihr frisch gekauftes Glück nach Hause, die Toten rotten im Food-Court vor sich hin. Der ungebremste Kapitalismus hat eben seinen Preis. Dieser Wahnsinn bringt selbst die Verkäufer an den Rand der Verzweiflung. Manche »machen die Lucy« und stürzen sich noch während des laufenden Geschäftes in den Tod, so wie die junge Verkäuferin, die in ihrer Mittagspause aus dem dritten Stock in die Tiefe sprang. »An Orten wie hier musst du dir das Glück schnappen, weil es nicht für alle ausreicht«, bemerkt der Erzähler, selbst ein Meister des Verkaufs, lakonisch.

Glück ist in diesen Erzählungen ein rares Gut. Die Geschichte »Die Alte Zeit« spielt in einer kalten Nachkriegsgesellschaft, in der genetisch »optiselektierte« und »klargeborene« Menschen die Erde bevölkern. Das Leben in dieser optimierten Welt ist jedoch so trist, dass sich die Bewohner Glücksserum spritzen müssen, um überhaupt durch den Tag zu kommen. Deprimierend ist auch das Leben in der abschließenden Erzählung »Durch den Blitz«, die ebenfalls in einer neuen, postapokalyptischen Zeit spielt. Die Protagonisten befinden sich, ähnlich wie die Geister in Saunders Booker-Prize-Roman »Lincoln im Bardo«, in einer Art ewigem Limbo, aus dem es kein Entkommen gibt. Egal, ob sie sich moralisch gut oder schlecht verhalten, irgendwann kommt der Blitz und alles geht von vorne los.

Und wenn die Welt am Ende an der Gier, dem Hass und der Rücksichtslosigkeit des Menschen zugrunde geht? Dann halten diese Erzählungen selbst für dieses Szenario einen Ratschlag vor. Denn »selbst die Apokalypse bedeutet nicht das Ende. Das kannst Du nur wissen, wenn du vor einem Licht stehst, so hell, dass es dich auslöscht. Und wenn du bei seinem Erscheinen allein bist, in der Pose einer Tänzerin dastehst, dann kommst du dir dumm und ängstlich vor. Und wenn du bei seinem Erscheinen mit deiner Familie oder sonst wem zusammen bist, kommst du dir auch dumm und ängstlich vor, fühlst dich aber wenigstens nicht allein.«


Dieser Text erschien in kürzerer Form in KULTURAUSTAUSCH 3/2020.

2 Kommentare

  1. […] Colson Whitehead ist einer, der die amerikanische Gesellschaft in seiner Literatur genauer hinsehen … In diesem Jahr nach »Underground Railroad« für »Die Nickel Boys« zum zweiten Mal mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, thematisiert er immer wieder die Verwerfungen des historischen Erbes von Rassenhass und Sklaverei. Diese spielen in der US-Literatur dieser Tage seltsamerweise eine eher geringere Rolle – zumindest wenn man sich die jüngere Geschichte ansieht. […]

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