Literatur, Roman

Raus aus der Hölle

Ta-Nehisi Coates gilt vielen als lebender Nachfolger von James Baldwin. Mit der Sklavengeschichte »Der Wassertänzer« liegt nun sein viel erwarteter Debütroman vor.

Der amerikanische Journalist und Essayist Ta-Nehisi Coates ist spätestens seit seinem bahnbrechenden Essay »Zwischen mir und der Welt« einer der profiliertesten Kritiker des US-amerikanischen Rassismus. In dem als Brief verfassten Text geht er der Frage auf den Grund, wie man in den USA, wo es Tradition ist, »den schwarzen Körper zu zerstören«, in einem schwarzen Köper leben soll. »Du darfst nicht vergessen, wie viel sie dir genommen haben und wie sie unsere Körper in Zucker umwandelten, in Tabak, Baumwolle und Gold«, mahnt er darin seinen Sohn. Gedanken wie diese haben es bis in die amerikanische Unterhaltungsindustrie geschafft. Bei den »Black Panther«-Comics und der erfolgreichen Kinoadaption hatte er seine Finger im Spiel.

Ta-Nehisi Coates: Der Wassertänzer. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Blessing Verlag 2020. 544 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen

Die Bezugnahme zur Sklaverei in seinen essayistischen Arbeiten teilt er mit keinem geringeren als James Baldwin. Während sich jener in seinem literarischen Werk ganz an der Gegenwart abgearbeitet hat, verlegt Coates seinen Debütroman in die Zeit vor dem Bürgerkrieg, als die Sklaverei noch zur brutalen Normalität gehörte. Sein Ich-Erzähler Hiram wächst auf einer Tabakplantage im Süden Virginias auf, wo die Hierarchie ganz klar ist. Ganz oben stehen die weißen Plantagenbesitzer und Sklaventreiber, dann folgen die niedrigen Weißen, die sich als Sklaven jagende Bluthunde verdienen, nach ihnen die wenigen freien Farbigen und ganz unten ackern, bluten und sterben die »Verpflichteten«. Zu denen zählt Hiram, wenngleich er als anerkannter Sohn des Plantagenbesitzers Howell Walker einige Vorteile genießt. So muss er nicht wie andere auf den Feldern ackern, sondern darf als Haussklave andere unterhalten und Lesen und Schreiben lernen.

Der Traum, eines Tages frei wie seine Besitzer zu sein, endet, als er zum persönlichen Sklave von Howells Sohn Maynard ernannt wird. Der ist ein Aufschneider und Spieler, dessen Schicksal ihn letztlich für seine Hybris straft. Bei einem Unfall ertrinkt er im Goose-River, während sich Hiram wie durch ein Wunder aus dessen reißenden Fluten retten kann. Er verdankt sein Leben der Gabe, sich (und andere) magisch von einem Ort zu einem anderen zu transportieren. Diese Fähigkeit ist es auch, die ihn in den Untergrund führt.

Cora ist nur eine von unzähligen Schwarzen, die auf den Baumwollplantagen Georgias schlimmer als Tiere behandelt werden. Alle träumen von der Flucht – doch wie? Da hört Cora von der Underground Railroad, einem geheimen Fluchtnetzwerk für Sklaven. Über eine Falltür gelangt sie in den Untergrund und es beginnt eine atemberaubende Reise, auf der sie Leichendieben, Kopfgeldjägern, obskuren Ärzten, aber auch heldenhaften Bahnhofswärtern begegnet. Colson Whiteheads Roman ist eine virtuose Abrechnung damit, was es bedeutete und immer noch bedeutet, schwarz zu sein in Amerika.

Colson Whitehead: Underground Railroad. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Hanser Verlag 2017. 352 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen

Dem hatte Colson Whitehead seinen 2017 mit dem National Book Award und dem Pulitzer-Preis prämierten Bestseller »Underground Railroad« gewidmet. »Der Wassertänzer« ist mehr als eine Variante davon, die Erzählung bewegt sich näher an der verbrieften Wahrheit. Coates lehnt sich stärker an die traditionellen Narrative der einschlägigen Klassiker an, seine Figuren spiegeln die Biografien legendärer Aktivisten wie die der Fluchthelfer William Still, Harriet Jacobs oder Frederick Douglass. Vor allem aber gelingt es ihm, die Underground-Aktivisten in all ihrer Zerrissenheit zwischen Angst, Mut und Hoffnung greifbar zu machen. An Whiteheads abhebende Prosa kommt Coates (in der Übersetzung von Bernhard Robben) nicht ganz heran, aber man tut sich ohnehin einen Gefallen, wenn man, statt den Vergleich zu suchen, offen für die Erweiterung der Sklavenerzählung ist.

Coates Held Hiram wird schließlich zu einem Fährmann in die Freiheit, nicht zuletzt auch, um seine große Liebe zu befreien. Am Ende, nach allen Erfolgen und Verlusten, antwortet diese Liebe auf die Frage, was sie jetzt seien: »Wir sind, was wir immer waren. Der Underground.«

Eine etwas kürzere Version des Textes ist in der Literaturbeilage der Galore Ausgabe 39 erschienen.

2 Kommentare

  1. […] kam auf die Shortlist für den Dylan Thomas Prize und die Longlist für die Andrew Carnegie Medal. Der doppelte Pulitzer-Preisträger Colson Whitehead (»Underground Railroad«, »Nickel Boys«) nahm ihn 2018 in den Kreis der fünf wichtigsten US-Autoren unter 35 auf. Der Sohn eines Anwalts […]

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